Bling Bling Edition

Chapter 14: Don’t be a Dick – Ungewollte Penisporträts in Rekordzeit anzeigen

Teilweise macht es Angst, Bilder von unbekannten Accounts in den Privatnachrichten zu öffnen, wenn man sieht, dass sich dahinter ein Foto verbirgt. Das berichten immer mehr Menschen, die auf Sozialen Netzwerken aktiv sind.

Jedes Mal liegt die Befürchtung nahe, dass sich dahinter ein Genital verbirgt, das man eigentlich nicht sehen möchte. In Österreich sind Betroffenen in so einem Fall (noch) die Hände gebunden. Der Tipp, die unerwünscht erhaltenen und als Belästigung wahrgenommenen Fotos einfach als Kompliment zu verstehen, bleibt auch unter häufiger Wiederholung kein guter Ratschlag, sondern allenfalls Victim-Blaming. 

Das Versenden eines Dickpics an jemanden, der nicht danach gefragt hat, stellt nach deutschem Recht eine Straftat nach § 184 Nr. 6 StGB dar. Deshalb hat es sich ein junges Team anfang des Jahres zum Ziel gesetzt, ein Tool zu entwickeln, das Betroffenen hilft, sich effektiv und anonym zu Wehr zu setzen.

Bianca Neumair aus dem Dickstinction Team ist Legal Engineer und war lange im Rechtsbereich beschäftigt. Im Interview erzählt sie uns unter anderem, wie dickstinction.com funktioniert, ob das Tool bald auch in Österreich anwendbar wird und wie die Staatsanwaltschaft Berlin auf die gehäuften Anzeigen reagierte.

Bianca, das Projekt Dickstinction gibt es seit Anfang des Jahres und seither explodierte es so, dass auch die Staatsanwaltschaft Berlin auf euch aufmerksam wurde. Wie ist euer Gründungsprozess abgelaufen? Woher stammt die Idee? 

Wir haben im Februar 2020 bei der Berlin Legal Tech teilgenommen. Das ist eine Konferenz im Bereich Legal Tech und daran angeschlossen gab es einen zweitägigen Hackathon. Da kommt man mit unterschiedlichen Leuten zusammen, die man vorher gar nicht kennt und brainstormt zu verschiedenen Problemstellungen, die man mit neuer Technik lösen kann. Bei uns war das dann eben die Idee, Dickpics über ein Online-Tool zur Anzeige zu bringen. In unserem siebenköpfigen Team haben wir den Hackathon mit dem Prototyp für dickstinction.com gewonnen. Mittlerweile führen wir das Projekt zu viert auf ehrenamtlicher Basis weiter, was für uns alle ein paar Stunden Arbeit pro Woche bedeutet, die wir ohne bezahlt zu werden investieren. Das ist auch abhängig davon, wann mal wieder was viral geht. 

Kommen wir gleich zur Funktionsweise. Wie läuft eine Anzeige über euer Tool ab? 

Für Deutschland kann man ein Dickpic zur Anzeige bringen, indem man Screenshots vom Nachrichtenverlauf anfertigt. Dabei sollte zu sehen sein, auf welcher Plattform der Übergriff passiert ist und dass die versendende Person nicht dazu aufgefordert wurde. Ebenso sollte der Username oder der echte Name der angezeigten Person zu sehen sein sowie der eigene. Auf dickstinction.com lädt man diese Screenshots dann hoch und füllt ein paar persönliche Daten aus. Das Tool fertigt dann ein Anzeigeschreiben an, das einfach heruntergeladen und ausgedruckt wird. Diese Anzeige schickt man dann einfach an die zuständige regionale oder zur Berliner Staatsanwaltschaft, die automatisch auf der Anzeige angegeben ist. Außerdem können die Anzeigen persönlich abgegeben werden. Wir werden dazu bald auf unserer Website weitere Erklärungen und FAQ ergänzen.

Mit derzeit über 5000 Follows auf Instagram seid ihr relativ schnell gewachsen. Das Bedürfnis nach eurem Tool scheint groß zu sein. Habt ihr konkrete Daten zur Nutzung eures Tools parat?

Aus Datenschutzgründen haben wir auf der Seite kein Tracking, damit auch wirklich keinerlei personenbezogene Daten gespeichert werden können, um das Tool anonym und sicher zu halten. Wir hatten aber über den Sommer eine Zeit lang ein Tracking drauf. Damals hatten wir pro Monat 9500 Besuche auf der Website. Bis zum Ende des Trackings Anfang Juli hatten wir über 500 Downloads von Anzeigen, seither steigt die Zahl aber eher mit wachsender Bekanntheit der Website. Es ist auf jeden Fall genug Traffic, sodass sich auch die Berliner Staatsanwaltschaft bereits bei uns gemeldet hat, weil die richtig viel zugeschickt bekommen. 

Es gibt deswegen wohl auch keine Möglichkeit nachzuverfolgen, was bei den Anzeigen, die mit Hilfe eures Tools versendet wurden, schlussendlich herausgekommen ist oder ob es gar zu einer Verurteilung kam?

Für uns nicht, das wäre ja auch datenschutzrechtlich ein Skandal. Was wir allerdings sehr gut verfolgen können sind Rückmeldung auf den Sozialen Medien. Da machen wir aktuell die Erfahrung, dass die Staatsanwaltschaft sehr langsam ist und die User*innen sehr lange auf Rückmeldung warten. Die erfreulichste Meldung war, dass die Staatsanwaltschaft es in mindestens einem Fall offensichtlich geschafft hat, über die IP-Adresse und durch Auskunft des Sozialen Netzwerks eine Person ausfindig zu machen.

Wie erfolgversprechend ist es, wenn ich dickstinction.com als in Österreich ansässige Person verwenden will? Funktioniert das jetzt schon? Ist eine Implementierung für Österreich geplant? Wann kommt die?

Wir haben auch viele Nutzer*innen aus Österreich und der Schweiz, obwohl unser Tool derzeit nur im deutschen Rechtssystem funktioniert, weil das ungewollte Versenden von Dickpics bisher nur in Deutschland als Straftat gewertet wird. Diesbezüglich haben wir uns beim Weißen Ring gemeldet, um die Rechtslage in Österreich zu erfahren, wurden aber leider damit vertröstet, dass sich das Gesetzespaket derzeit in Begutachtung befindet und deswegen noch nichts Konkretes gesagt werden kann. Das österreichische Strafrecht findet jedenfalls noch keine Anwendung, falls man ungewollt Dickpics zugeschickt bekommt. In Deutschland steht das im Paragraph und es wurden auch schon Leute rechtskräftig verurteilt, wenn auch „nur“ zu Geldstrafen.

Damit ist vermutlich das neue „Hass im Netz“-Gesetzespaket gemeint, das jedoch umstritten ist. Inwiefern tragt ihr mit eurem Tool dazu bei, dass sich die Situation beziehungsweise die Rechtsprechung eventuell in Zukunft ändern wird? Lassen wir es nicht länger offen. Was wollte die Staatsanwaltschaft von euch? 

Man kann sich das so vorstellen: Diese Anzeigen landen bei der Staatsanwaltschaft auf einem großen Papierstapel. Bisher lagen da kaum Anzeigen wegen Dickpics, aber seit die Leute unser Tool benutzen, stapeln sich die Anzeigen. Es ist teilweise auch verständlich, dass diese Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft nicht oberste Priorität haben, aber wenn der Stapel mal so hoch ist, dass man ihn nicht mehr ignorieren kann, wird da vermutlich die Aufmerksam erhöht. Das ist auch der Grund, warum wir das weiterhin verfolgen. Wir verfolgten die Thematik im Hackathon, weil zu der Zeit gerade jemand wegen Versenden eines Dickpics in Rostock verurteilt wurde. Es wird also schon verfolgt und vielleicht können wir dazu beitragen, dass die Problematik erkannt wird. Die Staatsanwaltschaft hat sich damals bei uns gemeldet, weil plötzlich so viele Anzeigen reingekommen sind. Über unser Impressum haben sie dann unseren Entwickler kontaktiert. Das war im Endeffekt aber recht unspektakulär, weil sie uns hauptsächlich Rückmeldung gegeben haben, wie wir unsere Website noch anpassen können, damit die Anzeigen gleich bei den zuständigen Staatsanwaltschaften landen. Also war es keine Beschwerde, sondern Unterstützung und die ist uns natürlich willkommen.


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