Amsterdam, 30. Juli, die Stimmung ist leicht beschwipst, der Look irgendwo zwischen männlich und weiblich angesiedelt und ich stehe vor den Toren eines der größten Schwulen-, Lesben- oder ich-weiß-noch-nicht-was-ich-bin-Festivals: Dem Milkshake – für boys who love girls who love girls who love boys who love boys.
Für zwei Tage ließen wir die Erde hinter uns und begaben uns in eine Welt in der in Sachen Sexualität und Geschlecht die totale, uneingeschränkte Freiheit herrschte. Noch nie zuvor habe ich einen Ort erlebt an dem Liebe, Individualität, Freiheit und sexuelle Orientierung so ausgelassen, ehrlich und bunt gefeiert werden. Unmengen an Künstlern, Drag Queens, DJs und Musikern waren zusammengekommen, um mitten in Amsterdam eine riesige, glitzernde Gay-Party zu feiern. Selbstredend hatten die Veranstalter aufgrund der Euro-Pride die Dauer des Milkshake zum ersten Mal auf zwei Tage verlängert, was hoffentlich auch in Zukunft so bleiben wird.
TAG 1
Nachdem wir uns in unserem Zimmer im Student Hotel für die Party bereit gemacht und uns ein wenig im Fotoautomaten in der Hotellobby vergnügt haben geht‘s los nach Westerpark, wo bereits eine riesige Menge aus verkleideten und/oder halbnackten Männern ungeduldig vor den Festivaltoren ansteht, um endlich in die Partywogen eintauchen zu können. Sobald wir drinnen sind tauchen auch wir in ein Meer aus Emotionen und Eindrücken. Auf den Bühnen läuft verschiedene Musik, man sieht Drag Queens, eine riesige Penistapete, gutaussehende Kerle in Leder, eine rosa aufblasbare Kirche in die man zum Tanzen geht und eine Rollschuhbahn, die die Pop-Bühne umringt – und damit sind nur die ersten paar Meter beschrieben! Der ganze Park ist bis in die letzte Ecke angefüllt mit Freude und Akzeptanz. Es dauert nicht lange, bis jemand vorbeikommt, um uns zu sagen, wie toll wir aussehen, und auch wir verteilen nach allen Seiten Komplimente, denn die Leute um uns rum stecken in klasse Outfits – na ja, zumindest einige, denn die meisten haben kaum was an. Von Drag Queens über Bären bis hin zu Clubkids und gender-free Leuten schwimmen alle auf einer Riesen Spaßwelle und lassen sich, wenigstens für eine Weile, aus ihrer Komfortzone locken? Wir beschließen, uns jede einzelne Bühne anzuschauen, und so vergehen vier Stunden wie im Flug. Wir tanzen, lernen klasse Leute kennen, trinken und sehen dem Auftritt einer, selbstverständlich fast nackten, Amanda Lepore zu, bevor uns nichts anderes übrigbleibt, als unseren schmerzenden Füßen nachzugeben und uns eine Weile auszuruhen.
Als der Tag sich seinem Ende zuneigt, gehen überall auf dem Festivalgelände die Lichter an und verwandeln den Park in einen riesigen Outdoor Club mit Lichteffekten. Nebel und Konfetti in Hülle und Fülle. Noch ein paar Stunden tanzen und schon ist es Zeit heimzugehen um gerade noch genug Schlaf für Tag Zwei des Festivals zu tanken.
TAG 2
Nach einem Frühstück bestehend aus ein paar Drinks im Hotelzimmer sind wir bereit für einen weiteren Tag voll Spaß und Abenteuer. Nun, da wir bereits wissen, auf was wir uns freuen können, kann es keiner von uns dreien erwarten, uns in unsere Outfits zu schmeißen und weiter zu tanzen. Mit ein paar Blumen im Haar, dem pinksten Shirt aus meiner Kollektion und einer Gay-Flagge mit Peace-Schriftzug verwandele ich mich im Handumdrehen in eine gay-girlie-Version meiner selbst und fühle mich pudelwohl dabei. Milkshake gibt dir die Freiheit, genau das zu tun, wonach dir ist und der/die/das zu sein, was du sein möchtest, ohne, dass du dir dabei auch nur eine Sekunde Gedanken über irgendwen oder irgendwas machen müsstest. Was für ein wunderschöner Ort, kann nicht einfach jeder Tag so sein wie hier?
Nach einem weiteren kurzen Abstecher in die Fotokabine noch ein paar Drinks für unterwegs und schon sind wir bereit loszulegen. Nur 45 Minuten später tanzen wir bereits wieder Seite an Seite mit den Überlebenden des gestrigen Tags und der Afterparty. Und das sind einige, die Amsterdamer sind anscheinend hart im Nehmen. Ich habe schon im Vorfeld von der berühmt-berüchtigten Partyszene in der niederländischen Hauptstadt gehört, aber das hier übertrifft trotzdem alle Erwartungen. Braucht denn hier überhaupt jemand Schlaf? Aber das einzige, was zählt, ist, dass alle hier sind und es gemeinsam krachen lassen. Wir treffen einige der Jungs vom Vortag wieder und tanzen ohne Unterlass von Bühne zu Bühne, bevor wir dem Tag mit dem Peaches Konzert die Krone aufsetzen. Als wir das Festival schließlich verlassen, sind unsere Herzen randvoll mit Freude, dem Gefühl kompletter Zugehörigkeit und einer Tonne an Erinnerungen, die ich gerne wieder und wieder und wieder erzählen werde.
FAZIT
Für alle Außenseiter, nicht-Angepassten, Künstlertypen, Homosexuellen und jeden, der seinen Ort und seine Gemeinschaft noch nicht gefunden hat, packt die Koffer, bucht einen Flug nach Amsterdam und kommt zum nächsten Milkshake. Denn dies ist ein Ort, an dem ihr sein könnt, was immer ihr wollt und dafür gefeiert und geliebt werdet.
Milkshake, wir sehen uns nächstes Jahr! Lest bald unseren Reisebericht über das Milkshake-Festival 2017!
Text + Bilder: Julian Behrenbeck