Heute ist Welt Aids Tag und wir wissen nicht ob das Glas halb voll oder halb leer ist.
Denn knapp 50% aller Menschen mit HIV wissen noch nichts über ihren positiven HIV-Status, dafür sind die anderen 50% in guter Behandlung. Selbst in den Dritte-Welt-Ländern geht die Sterblichkeit wegen AIDS kontinuierlich auf ein Minimum zurück.
Jetzt können wir heute entweder feiern und uns beruhigt zurück lehnen oder uns aufregen, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Welche Ignoranten in Politik und Kirche uns diese Epidemie überhaupt eingebrockt haben. Jene, die vor lauter falscher Moral und Bigotterie mit Scheuklappen durch die Gegend liefen und die das Virus solange geleugnet haben, bis sie nicht mehr an den Zahlen aus den Statistiken vorbei konnten. Es ist also kein Wunder, dass im konservativ-katholischen Ost-Europa und ebenso im nahen Osten der Anstieg an Neuinfektionen weiterhin erschreckend hoch ist. Kein Wunder, denn eine Epidemie kann man nicht weg beten. Hier braucht es Menschen, die Klartext sprechen und sich an den Fakten orientieren auch wenn es unbequem wird. Mit Märchenstunden ist uns hier nicht geholfen. Nachdem die Medizin HIV nun endlich in den Griff zu bekommen scheint, lähmt das Stigma rundum HIV und AIDS immer noch alle Beteiligten. In erster Linie leiden darunter alle Infizierten selbst, aber auch Eltern, Geschwister, Verwandte sind davon betroffen und im Endeffekt jeder, der sich für das Thema einsetzen will.
Auch wir haben das gespürt, als wir im April 2015 unser HIV+ Ausgabe veröffentlicht haben. Dabei haben wir Blut von drei HIV-positiven Blutspendern verwendet und mit der Druckerfarbe vermengt. Jeder Leser konnte somit zum HIV-Hero werden und ein Zeichen gegen das Stigma setzen.
Doch kaum einer, der in der Öffentlichkeit stand hat sich getraut, die Aktion zu unterstützen. Zu groß war bei allen die Angst vor der Thematik. Erst die Medien haben von der Kampagne berichtet und somit den Dialog über HIV in die Wohnzimmer der Menschen getragen.
Käufer der Ausgabe haben uns erzählt, dass sie sich mit ihrer Partnerinnen sogar gestritten haben, ob denn die Ausgabe gefährlich sei oder nicht. Wenn man sich die skurrilen Userkommentare unter den Medienberichterstattungen ansah, war leicht zu erkennen, dass es genau diese Diskussionen geben muss, um das Stigma endlich zu beseitigen.
Im Sommer 2015 wurde die Kampagne dann mit über 18 Auszeichnungen prämiert, darunter 9 der begehrten Cannes Lions, den „Oscars“ der Marketing Branche und auch Conchita Wurst und Adam Lambert haben sich zu den Unterstützern gesellt.
Ich hoffe, dass wir mit unserer HIV+ Ausgabe einen wichtigen Beitrag zu dieser Diskussion beigetragen haben und bin fest überzeugt, dass das Glas bald halb voll sein wird. Wer die Aktion unterstützen und noch eine Ausgabe erwerben will, kann dies noch tun.
Text: Julian Wiehl