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Die 92. Oscarverleihung wird zweifelsohne in die Annalen der Filmgeschichte eingehen: Niemals zuvor wurde ein nicht-englischsprachiger Film mit dem Hauptpreis als Bester Film ausgezeichnet und gewann zudem in den Königsklassen Regie und Drehbuch.
Die Oscars 2020 – Ein historischer, vom Aufbruch zu mehr Diversität und Internationalität geprägter kurzweiliger Abend.
DER GEWINNER DES ABENDS
Als Spiegelbild unserer Gesellschaft reflektiert das Medium “Film” diese bewusst oder unbewusst, lässt uns in die Freuden, Ängste und Sorgen anderer blicken, erzeugt dadurch eine für das soziale Zusammenleben so unerlässliche Empathie und bringt in ihrer vollendetsten Form innere oder abstrakte Zustände in eine äußere, bildliche Form. Der Sieger PARASITE schafft all dies in einer Virtuosität, die ihresgleichen sucht: Die umwerfend unterhaltsame Geschichte einer Familie aus der Unterschicht Seouls, der es mit findigen Tricksereien gelingt, die bisherigen Bediensteten einer sehr wohlhabenden Familie nach und nach loszuwerden, um sich selbst unverzichtbar für ihre neuen Herrschaften zu machen, ist Metapher für eine ob sozialer Ungleichheit zunehmend aus dem Ruder laufenden Gesellschaft. Vieles wird wortwörtlich genommen: Die Unterklasse wohnt tatsächlich im unteren Teil der Stadt in einem Kellergeschoss mit drastischen Verhältnissen, die Oberklasse auf dem Hügel über der Metropole Seoul in einem schicken transparenten Haus. Selbst das Klima nimmt Klassencharakter an: Während ein Regen den Reichen Abkühlung verschafft, spült er den Mittellosen ihr ganzes Leben weg. So unglaublich unterhaltsam und scharf wie in PARASITE wurde das Thema soziale Spaltung und Klassenkampf selten thematisiert und macht ihn damit nicht nur zu einem würdigen Gewinner sondern verleiht ihm als Zerrbild unserer Welt eine brandaktuelle gesellschaftspolitische Brisanz.
Den auch dieses Jahr fehlenden Host machten unter anderem eine spritzige Opening Show von Janelle Monáe und Billy Porter sowie launige Bonmots von Steve Martin, Chris Rock, Maya Rudolph und Kristen Wiig ebenso wett, wie ein straffer und kurzweiliger Ablauf des Abends, der zwar außer im genannten Endspurt keine Überraschungen bot, aber Weltstars wie Jane Fonda oder Elton John ebenso aufbot, wie nette Filmmontagen, bewegende Dankesreden und Gänsehaut-Feeling mit einer Live Performance von Billie Eilish und “Yesterday” (im Rahmen des In Memoriam Gedenkens der im letzten Jahr verstorbener Filmgrößen).
Die in Ihrer Zusammensetzung zunehmend diversere, jüngere und internationalere Filmakademie scheint damit in Zeiten der zunehmenden politischen und wirtschaftlichen Austerität der USA zumindest in Hollywood einen Paradigmenwechsel zur internationalen Öffnung einzuläuten und macht aus den Oscars das, was sie im 21. Jahrhundert sein sollten: Die höchste weltweite Auszeichnung für eine Kunstform, die keine politischen Grenzen kennt und wie keine andere das Ergebnis des Zusammenwirkens unterschiedlicher handwerklicher Talente ist, unabhängig von deren Nationalität, Geschlecht, Religion oder sexueller Ausrichtung.
Text Peter Sodoma
Header Jeremy Bishop / Unsplash