Die Nachrichten der letzten Tage sorgen für Entsetzen in der ganzen Welt: Russlands großer Krieg gegen die Ukraine machte Befürchtungen wahr, von denen wir alle hofften, dass sie sich nicht erfüllen würden. Eine besonders vulnerable Menschengruppe sind die LGBTQIA+ Personen in der Ukraine. Wie wird es für sie weitergehen? Und vor allem: wie kann man sie von Österreich aus unterstützen? Wir haben dafür mit Anja Sjablikowa, Co-Organisatorin der Charkiw Pride, gesprochen. Seit 2019 finden in der Millionenstadt, nur 40km von der russischen Grenze entfernt, von der EU unterstützte Pride-Demonstrationen statt.
Was erwartet ihr, wie sich die Situation in den nächsten Wochen entwickeln wird?
Anja: Ich denke an ein Best Case und Worst Case Szenario. Im besten Fall belegen alle Länder Russland mit harten Sanktionen. Nach der Revolution in Belarus war die Welt nicht hart genug – also trieben sie Lukashenko noch mehr in Putins Arme. Sanktionen müssen streng sein, sonst funktionieren sie nicht.
Das Worst Case Szenario wäre die Ausweitung der Situation, die wir nun seit acht Jahren in Donezk und Luhansk beobachten. Man muss verstehen, dass das kein Konflikt zwischen zwei gleichen Parteien ist. Es gibt einen Aggressor, der nicht nur unser Land bedroht sondern alle anderen ringsum und auch Europa. Die Ukraine liegt nicht weit entfernt von der EU. Das ist kein lokaler Konflikt, sondern betrifft ganz Europa.
Was wird sich für queere Menschen ändern, die unter russischer Besatzung leben müssen?
Russland bringt strenge Gesetze gegen die sogenannte ‘LGBTQIA+ Propaganda’ mit. Das bedeutet, dass selbst ein kleines Foto von der:dem Partner:in ausreicht, um verklagt und verurteilt zu werden. Russland wird dieses Gesetz definitiv in den besetzten Gebieten einführen. Außerdem, was viele Menschen gar nicht wissen, gibt es in den bereits besetzten Gebieten von Donezk und Luhansk ein Konzentrationslager namens ‘Isolazija’. Dort werden viele Menschen, eben auch queere, gefangen gehalten und gefoltert, sie werden mit Stromschlägen misshandelt. Das ganze ist ähnlich zu den Lagern in Tschetschenien. Wir erwarten, dass mit der Russischen Armee viele weitere dieser Camps entstehen werden und das ist extrem beängstigend für uns. Es existiert sogar eine Liste von queeren Menschen, die unter der russischen Besatzung verfolgt werden sollen. Es klingt, als wäre es der II. Weltkrieg. Wir haben große Angst, um alle queeren Menschen, die in der Ukraine leben.
Auf welche Weise können wir in Österreich queere Menschen in der Ukraine unterstützen?
Welche Hilfe wird am meisten gebraucht?
Ich sehe zwei Wege: zum einen Ressourcen und zum anderen emotionale Unterstützung. Ein Krieg wie dieser ist eine enorme Belastung – vor allem mental. Etwas Kreatives zu organisieren, und darin sind gerade Queers talentiert, ist sehr hilfreich. Man kann Mode oder Musik kreieren, die von der Ukrainischen Tradition inspiriert ist. Putin versucht zu negieren, dass es etwas wie Ukrainisches Volkserbe gibt, indem er sagt, Lenin hätte das Land erfunden. Man kann auch Techno-Partys und Ausstellungen organisieren und die Einkünfte an queere NGOs und das Ukrainische (LGBTQIA+) Militär spenden. Ich weiß, dass LGBTQIA+ Personen sensibel auf Militarisierung reagieren. Aber die Ukrainische Armee will nicht angreifen, wir wollen nur unsere Gebiete verteidigen und beschützen. Wenn Putin aufhört zu schießen, endet der Krieg. Wenn die Ukraine aufhört, sind wir verloren.
Und schließlich kann man Ukrainer:innen im Freund:innen- und Bekanntenkreis fragen, wie man der Ukraine helfen und sie unterstützen kann. Sie werden sehr dankbar sein.
Update, 24.02.2022 13:10: Die Pride-Organisationen der Ukraine rufen geschlossen zur Spende an das LGBTQIA+ Militär auf (Name: Sofiia Lapina, IBAN: UA12 32 200100 0002 6205 3157 32562). In zahlreichen Städten finden Demonstrationen vor russischen Botschaften statt, die man unterstützen kann.
Gibt es noch Informationen, die du gerne anbringen möchtest?
Ich hoffe wirklich sehr, dass Menschen aus allen Ländern uns ihre Hände reichen und versuchen mit uns Ukrainer:innen Verbindungen aufzunehmen, denn diese Unterstützung ist sehr hilfreich. Und ich hoffe auch, dass Putin weiter gegangen ist, als er ertragen kann – denn nun weiß die ganze Welt, dass er ein rechstextremer Diktator ist.
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