Astrologie. Die eine Hälfte der Gesellschaft verdreht bei diesem Begriff die Augen, die andere bekommt einen glänzenden Schleierblick. „Kein Wunder, dass wir uns so gut verstehen, wir haben den gleichen Aszendenten!“ Wie oft ich diesen Satz in letzter Zeit sowohl gehört als auch selbst gesagt habe, ist wohl nur in den Sternen zu finden. Plötzlich ergibt alles Sinn – jede Diskussion, jede Anziehung, jeder Gedanke. Und lieben wir Menschen es nicht alle, eine allgegenwärtige Ausrede für unser Verhalten zu haben?
„Ich kann mich beim Brunch nicht zwischen Omelette und Pancakes entscheiden, denn mein Aszendent ist nun mal Waage …“ Auf Twitter machen die Leute Witze darüber, dass sowohl Keanu Reeves als auch John Wick Virgos sind und weisen Medienunternehmen Sternzeichen zu. Die erste Vangardist-Ausgabe wurde übrigens am 10.12.2008 veröffentlicht, was uns zu einem dynamischen Schützen macht. Doch was steckt hinter diesem spirituellen Trend? Für viele Astrologie-Anhänger:innen wurde es zu einem willkommenen Kanal der Selbstreflexion, Antworten auf große Fragen im Universum zu finden. Ob Tarot, Astrologie, Meditation oder Kräuterkunde – diese Traditionen bieten den Menschen konkrete Möglichkeiten, auf einfache Weise Antworten auf komplexe Fragen zu finden. Für eine Generation, die in einer Welt voller Großindustrien, Umweltzerstörungen, repressiver Regierungen und giftiger sozialer Strukturen aufgewachsen ist – Probleme, die alle zu groß erscheinen, um sie ändern zu können –, kann dies unglaublich attraktiv erscheinen.
Maximale History
Gemäß der griechischen Tradition ist der Himmel nach den zwölf Sternbildern des Tierkreises eingeteilt, und die Sterne üben einen spirituellen Einfluss auf die menschlichen Angelegenheiten aus. Obwohl die Astrologie selbst keine Wissenschaft ist, gibt es eine lange Menschheitsgeschichte, die zu den Sternen aufblicken, um ihr Leben zu planen. Schon die alten Ägypter:innen nutzten den Himmel als Kalender, während Reisende den Himmel als Kompass zu Hilfe nahmen. Jahrhundertelang wurde Astrologie im Wesentlichen als dasselbe angesehen wie Astronomie. So galt der revolutionäre Astronom Johannes Kepler, der die Planetenbewegungen untersuchte, zu seiner Zeit als Astrologe. Das änderte sich mit Beginn der Aufklärung im späten 17. Jahrhundert. Sir Isaac Newton verwandelte den Himmel quasi in eine Rechenmaschine, indem er die Planetenbewegungen mathematisierte und erkannte, dass sie von der Schwerkraft gesteuert werden. Dazu sagt Astronom Sten Odenwald: „Das war der Moment, in dem die Astronomie als Wissenschaft anerkannt und die Astrologie als nichtig erklärt wurde.” Dazu ergab wiederum eine Umfrage der National Science Foundation aus dem Jahr 2014, dass mehr als die Hälfte der amerikanischen Millennials Astrologie sehr wohl für eine Wissenschaft hält.
Maximaler Narcism
Die Studie “Even the stars think that I am superior: Personality, intelligence and belief in astrology”, die von Psycholog:innen der Universität Lund in Schweden durchgeführt wurde, ergab, dass der Glaube an die Astrologie mit einem höheren Narzissmus und einem niedrigeren IQ verbunden ist. Die Forscher:innen analysierten die Persönlichkeit, das Intelligenzniveau und die astrologischen Überzeugungen von 264 Personen. Die Studie zeigte einen positiven Zusammenhang zwischen narzisstischen Tendenzen und dem Glauben an die Astrologie. Die Autor:innen spekulierten, dass dies auf eine egozentrische Weltanschauung zurückzuführen sei. Außerdem vermuteten sie, dass die Verbindung zwischen narzisstischen Merkmalen und Astrologie etwas mit der Tendenz von Horoskopen zu tun haben könnte, positiv formuliert zu sein. „Das verstärkt grandiose Gefühle und könnte Narzisst:innen deshalb eher ansprechen.“ Da haben wir es also: Wenn wir uns für Astrologie interessieren, könnten wir durchaus ein:e Narzisst:in sein oder zumindest derartige Tendenzen aufweisen.
Maximale Queerness
Die Avantgarde der modernen Astrologie sind junge queere Menschen, die den Wert des Lebens jenseits normativer Bedingungen erforschen. Als queere Person hatte man lange nicht das Privileg, am spirituellen Glauben teilzuhaben, da die religiösen Institutionen vieles ablehnen, was die queere Community im Kern ausmacht. Wächst man demnach in einer Kultur auf, die einen nicht anerkennt, sehnt man sich nach anderen Wegen der Reflexion. Die Astrologie ist somit ein Weg, ohne die konservativen Institutionen Zugang zur Spiritualität zu erhalten. Ist Astrologie somit eine Religion für diejenigen von uns, die keine Religion haben? Astrologie ist vielleicht kein Weg zur Gerechtigkeit, aber es dient einem spirituellen Bedürfnis – insbesondere Queers, denen das Recht auf ein spirituelles Leben oft verweigert wird.
I’m a universe of exploding stars
Fische sind in der Regel stark an Astrologie interessiert, was angesichts unseres Rufs für Überemotionalität wohl naheliegend ist. Ich habe eine natürliche Tendenz, Konflikte zu vermeiden, was ich nicht artikulieren konnte, bis ich von meinem Waage-Aszendenten erfuhr. Aufgrund der Anziehungskraft verschiedener Planeten war vieles plötzlich erklärbar: Mein Fische-Saturn fordert mich auf, den ganzen Tag im Bett zu liegen, während mein Löwe-Jupiter mich anfleht, Museen zu besuchen. Verantwortlich für den Drang, Gefühle zu kontrollieren, ist meine Venus im Steinbock. Und dennoch warte ich Meerjungfrauen-artig darauf, dass jemand vorbeiläuft, ich ihn in meine Pisces-tiefen Emotionsmeereswelten ziehe und er darin casually ertrinkt. Oder wie ich es nenne: How a Pisces smashes the Patriarchy.
Theodor Adorno schrieb 1953, dass die Astrologie „Menschen anzieht, die sich nicht mehr als selbstbestimmte Subjekte ihres Schicksals fühlen“, was erklärt, warum vor allem jüngere Generationen die Wiederbelebung der Sternzeichen vorantreiben. Nachdem sie eine verheerende Pandemie überlebt haben, werden Gen Z und Millennials einen sterbenden Planeten und ein kaputtes politisches System erben. Die Zukunft sieht ungewiss aus, wodurch die Astrologie einen alternativen Modus der Selbsterkenntnis, einen formloseren Weg zur Selbsterforschung repräsentiert.
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