SPOILER ALERT: Ryan Murphy kann es einfach nicht lassen. Mit RATCHED versucht der im Staccato produzierende Showrunner (AMERICAN HORROR STORY) nun, die psychischen Abgründe der vom American Film Institute in seiner Liste der 100 größten Schurken aller Zeiten auf den 5. Platz gewählten Schwester Ratched aus EINER FLOG ÜBER DAS KUCKUCKSNEST zu ergründen.
Der Plot: Krankenschwester Mildred Ratched fängt ihren neuen Job als Krankenpflegerin in einer psychiatrischen Klinik an. Doch unter ihrer makellosen Fassade lauert die Ausgeburt des Bösen.
Von Beginn an macht uns Murphy klar, dass Understatement nicht seine Sache ist. Alles ist over the top: Von grellen Grand Guignol-Schockeffekten, dem üppig-verschwenderischen Art-Deco-Produktions- und Kostümdesign, bis hin zu einer von Grün dominierten knallbunten Technicolor-Farbfotografie. Das alles ist auf den ersten Blick nett anzusehen, ergibt aber von Folge zu Folge immer weniger Sinn und wirkt ermüdend.
Murphy wildert dabei so unverblümt bei großen Meistern wie Hitchcock, Kubrick und David Lynch, als würde es kein Morgen geben und bedient sich so schamlos des musikalischen Œuvres von Hitchcocks Hofkomponisten Bernard Herrmann, dass die Grenzen von Hommage und Satire verschwinden.
Dem Ensemble (allesamt Veteranen aus Murphy‘s Stammbelegschaft mit den Gästen Sharon Stone, Cynthia Nixon und Judy Davis) kann nichts vorgeworfen werden, wenngleich Sarah Paulsons kapriziöse Rolleninterpretation mit dem Oscar prämierten, kontrolliert-subtilen aseptischen Spiel von Louise Fletcher aus EINER FLOG ÜBER DAS KUCKUCKSNEST nichts mehr gemein hat.
Überhaupt sucht man Anknüpfungspunkte zum Originalstück – aus dem lediglich der Name der Hauptfigur entnommen wurde – vergebens. Aus einem humanistischen Plädoyer und der Anklage eines inhumanen institutionellen Systems wurde ein knallbuntes Gruselkabinett, dessen plattem Drehbuch von Folge zu Folge die Luft ausgeht, bis es am Ende vollends implodiert.
Schaut hier den offiziellen Trailer zu RATCHED:
Man wünscht sich, dass auf Murphys momentane uninspirierte Produktivitäts-Diarrhoe eine Rückbesinnung auf seine besten Werke folgt: Der dokumentarischen Akkuratesse von THE PEOPLE VS. O.J. SIMPSON etwa oder der Anatomie eines Mordes in THE ASSASSINATION OF GIANNI VERSACE.
Sie und die von ihm zitierten Werke der Filmgeschichte zeigen nämlich, dass sich Unterhaltung und intellektueller Anspruch durchaus nicht ausschließen müssen. Deren Ent- und Wiederentdeckung wird daher ebenso wärmstens empfohlen, wie dass ihnen dieser kruden Mixtur aus dem repetitiven Murphy-Universe der Vorzug zu geben ist.
Alle Fotos © 2020 Netflix