Maximalist Edition

Cut The Norm Core – Wie Algorithmen unseren Kleidungsstil beeinflussen

Während die einen ihre Videos von der perfekten Capsule Wardrobe auf Social Media teilen, die großteils aus zeitlosen, schlichten Pieces besteht, präsentieren sich die anderen in bunten, ausgefallenen Looks. Mit jedem Like, das wir vergeben, wird die eigene Bubble definierter, werden die Videovorschläge konkreter. Plötzlich sehen wir überall die gleiche karierte Hose, den gleichen “House of Sunny”-Pullover, und alle haben auf einmal eine “Charlotte Simone”-Pelzkragen-Jacke. Wir haben uns dazu mit the one and only Strify aka „Pop Culture Weirdo“, wie er sich selbst nennt, unterhalten. Strify ist Sänger und Content Creator aus Berlin mit einem scharfen Blick für Fashion im Zeitalter der Social Media. Als ehemaliger Leadsänger von Cinema Bizarre (ihr wisst, von wem ich spreche, ihr MySpace-Babys und Bravo-Leser:innen von 2009!) hat er sich einst sogar mit Lady Gaga die Bühne geteilt.

Vangardist: Strify, welche Rolle spielt Mode in deinem Leben?

Strify: Mode ist sehr wichtig für mich. Ich habe dank ihr sehr viel über die Gesellschaft und mich selbst erfahren, weil ich immer das tragen wollte, worauf ich Lust hatte, ganz egal, von welchen Labels. Oft habe ich festgestellt, dass das auf Widerstand und Kritik trifft. Wenn man anders aussieht, versteht das nicht jeder – man wird entsprechend behandelt und wahrgenommen. In diesem Kontext ist Mode alles andere als oberflächlich. Sie hat mir einen Spiegel vorgehalten, wie die Leute mich wahrnehmen und wie die Gesellschaft mich und Menschen, die anders sind, sieht und behandelt.

V: Wie würdest du deinen Stil heute beschreiben?

S: Auf jeden Fall nicht einheitlich. Um meinen Stil mit einem Wort zu beschreiben, würde ich wahrscheinlich diesen wunderschönen, bedeutungsschwangeren Begriff „eklektisch“ nehmen – also hauptsächlich aus verschiedenen Einflüssen zusammengestellt. Ich habe dabei immer wieder verschiedene Phasen. Mode sollte nie langweilig sein. Egal, ob ich mich für den Club anziehe oder für zu Hause: Ich mag es, wenn zumindest ein Stand-out-Piece dabei ist.

V: Während der Pandemie hat Tiktok einen Peak erlebt, und viele Menschen haben sich in immer maximalistischeren Outfits gezeigt. Wie bewertest du das als Content Creator?

S: Ich glaube, dass sich die Leute auch gerade wegen Social Media – sei es Instagram oder Tiktok – extravaganter anziehen, um stärker aufzufallen. Ich finde auch, dass sich viele dadurch sehr ähneln. Da spielen meiner Meinung nach Algorithmen eine große Rolle. Durch Social Media kommt man sogar auf die gleichen Shops wie alle anderen, die ein ähnliches Ästhetikempfinden haben, und kann auf dieselben Pieces zugreifen. Früher musste man mehr nach Inspiration von außen suchen. Man ist in die Stadt gegangen, hat sich Vintage Shops angeguckt, Modemagazine durchgeblättert. Ich versuche, das immer noch zu machen, weil ich das Gefühl habe, dass der eigene Geschmack vielleicht untergeht, wenn ich mich nur von Social Media beeinflussen lasse. Weil man gar nicht bemerkt, wie sehr man durch den Algorithmus in einer Bubble mit Menschen ist, die ein ähnliches Ästhetikempfinden haben.

V: Trägst du gewisse Outfits nur für ein Foto auf Instagram,
aber privat nicht?

S: Nö, auf keinen Fall. Jeden Look, den ich fotografiere und auf Instagram zeige, trage ich auch außerhalb von Social Media. Aber gerade in der Pandemie plane ich mehr Shootings zu Hause. Für mich ist das wie ein Portfolio meines Kleiderschranks, wo ich sehe: „Hey, das habe ich letzte Woche geshootet, das hat mir gut gefallen, das würde ich heute gerne anziehen.“ Es kommt aber auch immer auf den Anlass an. Ich habe beispielsweise eine Hose, bei der man viel Po und viel Haut sieht – die ist so 2000er-mäßig geschnitten. Die würde ich jetzt nicht unbedingt im Supermarkt tragen. Aber vor Kurzem gab es ein Podcast-Jubiläum, wo die Hose gut gepasst hat.

V: Hast du das Gefühl, dass ein extravagantes Outfit
auf Social Media mehr Likes bekommt?

S: Bei mir auf jeden Fall. Wahrscheinlich, weil es in der Timeline auffälliger ist und die Leute einfach mal draufklicken und nicht sofort weiterscrollen. Vielleicht auch, weil es mehr zu sehen gibt. Bei mir wissen die Leute allerdings auch, dass ich das bin und folgen mir vielleicht genau wegen solcher Fotos. Ich weiß nicht, ob das bei anderen auch so funktionieren würde und den gleichen Effekt hätte, wenn die sonst super anders aussehen und dann plötzlich so „out of Character“ erscheinen.


„Ich kann mir eher vorstellen, ganz nackt zu sein,
als ein langweiliges Outfit zu tragen. “


V: In deinem neuesten Musikvideo „Go in” trägst du extravagante Outfits. Könntest du dir vorstellen, auch in etwas Dezenterem aufzutreten?

S: Tatsächlich kann ich mir eher vorstellen, ganz nackt zu sein, als ein langweiliges Outfit zu tragen. Das wäre ein größeres Statement. Aber sag niemals nie. Ich weiß nicht, wie sich meine Ästhetik ändern wird, und zu manchen Songs und Moods passt es auch, wenn man sich anders inszeniert. Aber im Herzen bin ich schon ein Maximalist.

 V: Du warst im Jahr 2009 als Leadsänger der Band “Cinema Bizarre” mit Lady Gaga auf Tour. Hat dich diese Erfahrung modetechnisch inspiriert?

S: Ich glaube, Lady Gaga hat sehr viele Leute positiv beeinflusst. Sie war eine der ersten, die dieses Maximalistische wieder in die Mode gebracht hat. Ich glaube, sie hat in den 2010er Jahren einen so großen Fußabdruck hinterlassen, dass sie bestimmt auch mich noch mehr gepusht hat – und ich war davor schon sehr gerne over the top. Lady Gaga hat mir persönlich nochmal mehr Mut gegeben, das zu tun, was ich wirklich will.

V: Danke dir für deine Einblicke und deine Zeit, Strify.

CREDITS

Editor
Sabrina Luger

Photography
Eli X. Scherer



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