Es kursieren ja viele Fake-News im Internet, doch was in Australien gerade passiert, übertrifft die schlimmsten Vorstellungen vieler Bürger*innen Down-Unders:
Im Zuge der Abstimmung in Australien über die gleichgeschlechtliche Ehe wurden in Melbourne mehrere Anti-LGBTQ+ Kampagnen gesichtet, die nicht nur in der queeren Community für enorme Aufregung gesorgt haben.
“92% der Kinder, die in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften aufwachsen, werden misshandelt, 51% leiden unter Depressionen und 72% von ihnen sind übergewichtig”, verkündet eines der Poster, das einen kleinen Jungen vor zwei regenbogenfarbenen Gürteln kniend zeigt. Ein weiteres Poster zeigt einen kleinen Jungen, der von einer großen, regenbogenfarbenen Hand bedroht zu sein scheint – dazu steht: [Schwule machen] 3% der Gesamtbevölkerung aus, [und bilden] 40% der Kindesmisshandler. Ein drittes Poster zeigt ein buntes Seuchenzeichen, daneben stehen wirre Statistiken über die sexuellen Krankheiten, die queere Menschen laut einer Studie der CDC in sich tragen sollen. Und auf jedem dieser Plakate prangt in großen Lettern: “Stoppt die Schwuchteln”.
Einige Aussagen der Plakate berufen sich auf eine Studie des verheirateten D. Paul Sullins, einem katholischen Priester, der im Magazin Depression Research and Treatment einen “wissenschaftlichen” Artikel mit dem Titel “Invisible Victims: Delayed Onset Depression among Adults with Same-Sex Partners” veröffentlichte. Der Verleger des peer-reviewed Journal, also eines Magazins, dessen Artikel auf ihren wissenschaftlichen Standart von Kolleg*innen überprüft wurden, hat sich in einem offenen Brief an den Pastor, sowie alle Kolleg*innen, die diesen Artikel für wissenschaftlich in Ordnung befunden hat, der Publikation gegenüber kritisch geäußert: “Schon im Juni 2016 haben diverse Leser*innen ihre Zweifel am wissenschaftlichen Standart dieses Artikels geäußert, da es sich bei der Studie um einen zu kleinen Datensatz handle, Gegenpositionen unzureichend diskutiert worden seien, und der Status eines katholischen Priesters Einfluss auf die Entstehung des Artikels gehabt haben könnte.” Ferner hat der Verleger den unabhängigen Wissenschaftler Dr. Nathaniel Frank darum gebeten, einen Brief an den Autor der Arbeit zu verfassen, der wissenschaftlich Gegenposition bezieht. Darin kritisiert Frank sprachliche Ungenauigkeiten Sullins, ebenso wie die vom Pastor ausgewertete Studie, die nicht repräsentativ sei. Außerdem kontert Frank mit harten Fakten, die Sullins Thesen widerlegen. Eine gesamte Fassung des Briefes lest ihr hier.
Some of the marriage equality "respectful debate" in the letterboxes of Hurstville this morning.
Content warning on this, LGBT friends x pic.twitter.com/qYhL11vMRG
— Sally Rugg 🏳️🌈 (@sallyrugg) August 19, 2017
Das dennoch eine nicht repräsentative Studie wie die von D. Paul Sullins solche Plakataktionen hervorbringen, und die Entscheidung unreflektierter australischer Bürger*innen beeinflussen kann, zeigt, wie heikel das Thema LGBTQ+ Rechte noch immer ist. Es ist nicht möglich, als Pastor mit erzkonservativen Werten im Sinne der Wissenschaft – deren Anspruch eine komplett neutrale Darlegung von Faktischem ist – eine Arbeit zu verfassen, die genau diesen Anspruch bei einem persönlichen, und vor allem subjektiv geprägtem Thema erfüllen will. Spätestens diese völlig falsche Studie sollte Wähler*innen auf der ganzen Welt dazu aufrütteln, selbst zu reflektieren, und sich nicht nur monomedial, sondern breit gefächert zu informieren.
Text: Alex Baur