Es sind Gesichtszüge wie aus einer anderen Welt – und dennoch wirken sie auf skurrile Art und Weise harmonisch. Ein Wesen, das auf den ersten Blick nicht irdisch erscheint, dennoch etwas Vertrautes und Menschliches hat, das die Neugier in uns weckt: Hungry zieht uns durch seine Wandelbarkeit in den Bann. Hinter der Kunstfigur steckt mit Johannes Jaruraak ein Künstler, der selbst in der extravaganten Drag-Szene durch das eigens kreierte Genre „Distorted Drag“ hervorsticht und mit maximaler Verwandlung und Kreativität immer wieder Neues erschafft. Als Make-up-Artist tourt Hungry gerade gemeinsam mit Sängerin Björk im Zuge der “Cornucopia Tour” durch die Metropolen der USA und Europas. Wir haben mit Hungry über Einzigartigkeit, Grenzen und das Unterwandern von Schönheitsidealen gesprochen.
Vangardist: Zu Beginn: Was macht Hungry aus?
Hungry/Johannes: Hungry ist eine Kombination aus Modedesign, Kostüm und Make-up – also aus den kreativen Sparten, in denen ich arbeite. Durch das geplante Zusammenspiel dieser drei Bereiche versuche ich mit jeder Kreation eine kleine Welt zu erschaffen und entweder durch Performance, Fotografie oder Videos einen Einblick in diese zu ermöglichen. Man kann Hungry als eine Art Organismus beschreiben, der gerade noch auf dem Menschen beruht, aber sich durch biologische und kulturelle Faktoren an ein anderes Umfeld anpassen musste.
V: Ist Hungry ein Alter Ego,
in dem sich Johannes maximal entfalten kann?
H/J: Gewissermaßen – es ist auf jeden Fall sehr viel von meiner Person und meiner Identität darin enthalten. Ich sehe Hungry aber eher als Prisma, in dem ich meine Visionen, meine Handschrift und meine Ästhetik, die ich über die Jahre entwickelt habe, aufspalten und somit verschiedene Wege einschlagen kann. Ich komme allerdings immer wieder zum Ausgangspunkt zurück und schaue, in welche Richtung ich das nächste Mal gehen kann. Oft nehme ich aus den einzelnen Bereichen auch etwas mit, finde neue Formen und Ideen, die mich inspirieren und meinen Katalog für zukünftige Kreationen bereichern.
V: Wo hört Johannes auf, und wo fängt Hungry an?
H/J: Die meisten Leute in meinem Alltagsleben kenne ich durch Hungry, weshalb mich viele auch so nennen. Dadurch verschmelzen die beiden Bereiche ein wenig. Grundsätzlich ist aber alles, was sich hinter den Kulissen abspielt, noch Johannes. Die Vorbereitung, die Bearbeitung, die Planung und die Konzeption erfolgt also durch ihn, der dann die Kunstfigur Hungry so präsentiert, wie er sich das vorstellt.
V: Mit deinem Stil brichst du die gängigen Schönheitsideale –
was möchtest du durch dein Auftreten bei anderen auslösen?
H/J: In erster Linie Interesse. Mir war immer wichtig, dass Elemente vorhanden sind, die verständlich genug sind, um die Menschen mit reinzuziehen. Wenn man in dem einen oder anderen Merkmal Schönheit findet, kann man vielleicht auch im Rest des Werkes das Schöne sehen und in weiterer Folge hinterfragen, wie man selbst die Schönheit kategorisiert und definiert. Wenn es mir gelingt, dass andere Menschen aufgrund meiner Kreationen ihre Idee von Schönheit und Ästhetik überdenken, werte ich dies als großen Erfolg.
„Bei jedem abgeschlossenen Werk finde ich mich dabei wieder, nicht aufhören zu können und weitermachen zu wollen, da ich es nie für gut genug halte. Das heißt nicht, dass ich unzufrieden damit bin, sondern dass ich noch Potenzial sehe.“
V: Welchen Einfluss hat deine Kunst auf deine eigene Persönlichkeit?
H/J: Jede meiner Kreationen inspiriert mich für Neues und treibt mich weiter voran. Bei jedem abgeschlossenen Werk finde ich mich dabei wieder, nicht aufhören zu können und weitermachen zu wollen, da ich es nie für gut genug halte. Das heißt nicht, dass ich unzufrieden damit bin, sondern dass ich noch Potenzial sehe. Hier und da kann man immer etwas verändern und auch beim nächsten Mal verbessern – hier bin ich quasi nimmersatt.
V: Sind deine Kreationen eine Art maximale Persönlichkeitsentwicklung?
H/J: Sie sind auf jeden Fall eine Methode, mich persönlich und charakterlich weiterzuentwickeln. Ich setze mich immer wieder mit neuen Dingen auseinander, daher ist es eine Art des permanenten Lernens. Auch die Präsentation von Hungry führt dazu, dass ich mich selbst weiterentwickle – je nachdem, wie aktiv und produktiv ich bei den einzelnen Kreationen bin.
„Wenn ich nicht erreicht hätte, etwas Originelles und Relevantes zu kreieren, hätte ich mir vermutlich nicht erlaubt es weiterzuverfolgen.“
V: Durch deinen exzentrischen Stil schaffst du es, dich in eine fast schon bizarr wirkende Figur zu verwandeln. Worin siehst du das größte Potenzial in Veränderungen und im Mut zum Risiko?
H/J: Ich bin damals aus reinem Hobby heraus und ohne direkte Ambitionen in die Drag- und Performance-Szene gerutscht. Allerdings hatte ich immer schon den Anspruch an mich, etwas Neues zu erschaffen. Wenn ich dabei also nicht erreicht hätte, etwas Originelles und Relevantes zu kreieren, hätte ich mir vermutlich nicht erlaubt es weiterzuverfolgen. Das durch diese Strenge entstehende Risiko, sich nicht auf bekannten Methoden auszuruhen, forderte in dem Sinne schon Mut. Aber durch viel Probieren – und auch viel Sturheit- gebar es meine eigene Ästhetik. Das ist nicht unbedingt eine Regel, die ich anderen Künstler:innen aufzwingen würde, war aber für mich persönlich sehr wichtig.
V: Setzt du dir selbst Grenzen?
H/J: Nicht wirklich. In erster Linie fühlt sich alles noch sehr körpergebunden an, weil ich sehr gerne an und mit meinem Körper oder um ihn herum arbeite. Daher wäre das vielleicht als eine Art von Grenze anzusehen. Seit ich aber mit Björk an der Show arbeite und die Verbindung der digitalen Welt über die Musik mit Körper und Person gesehen habe, erkenne ich da schon sehr viel Potenzial. Dennoch würde ich den Grenzbereich auf meinen Körper und das Drumherum legen, da mir auch die Haptik und die reale Textur meiner Kreationen wichtig sind. Im Grunde gibt es keine Grenzen, allerdings liegt mein Fokus letztendlich in der physischen Welt.
CREDITS
Artist
Hungry | @isshehungry
Photography
Albert Sanchez | @sanchezzalba
Pedro Zalba | @sanchezzalba
Editor
Robert Altenbacher | @robert_altenbacher