INA HOLUB AND HER INCLUSIVE HAIR SALON SOFT & CUT
Für gewöhnlich kann in Frisiersalons durch große Fenster von außen hineingeschaut werden. Vielen ist es jedoch unangenehm, beobachtet zu werden, während der*die Friseur:in an den Haaren herumwerkelt. Um eine Frisur zu tragen, die die eigene Identität passend repräsentiert, begibt man sich mit einer anderen Person in eine sehr intime Situation – eine Situation, die sehr unbehaglich sein kann. Daher ist es verständlich, wenn Menschen nicht dabei gesehen werden wollen. Für viele ist es ja bereits unangenehm, darauf zu antworten, wenn die*der Hairstylist:in nach dem eigenen Job fragt oder wie der Tag bis jetzt war.
Viele haben aber ganz andere Sorgen, die manche nicht nachvollziehen können, weil sie bestimmten Gruppen nicht angehören. Was ist zum Beispiel, wenn Friseur:innen sich nicht mit deiner Haarstruktur auskennen oder dir raten, eine bestimmte Frisur nicht zu tragen, weil sie angeblich nicht zu deinem Gesicht passt? Oder wenn die standardmäßigen Sessel nicht für deine körperlichen Gegebenheiten ausgelegt sind? Auch für Menschen mit Autismus und ADHS kann der regelmäßige Frisierstudiobesuch, gelinde gesagt, befremdlich sein.
Seit Mitte Februar gibt es im 7. Wiener Gemeindebezirk den Frisiersalon Soft & Cut, der sich der Probleme von marginalisierten Gruppen annimmt und ihnen einen Safe Space während des Stylings bietet. Dort sind die Kund:innen nicht nur durch Vorhänge vor unangenehmen Blicken von außen geschützt, sondern es wird auf viel mehr Rücksicht genommen. Dahinter steckt Frisiermeisterin Ina Holub, die selbst als mehrgewichtige, homosexuelle Frau unterschiedlichen marginalisierten Gruppen zugehörig ist und daher zahlreiche Diskriminierungen selbst erlebt hat.
Im Interview verrät sie ihre wichtigsten Beweggründe und gibt einen Überblick darüber, was bei Soft & Cut grundsätzlich anders läuft, um ein barrierefreier Salon zu sein, in dem sich alle wohlfühlen dürfen.
VANGARDIST: Wie würdest du deine Identität beschreiben?
Ina Holub: Ich bin eine fette homosexuelle Frau.
V: An was machst du sie fest?
IH: In dieser westlichen und patriarchalen Gesellschaft mache ich meine Identitäten unter anderem an jenen Punkten fest, die abgelehnt werden und zu denen ich mir selbst Akzeptanz und Wohlwollen erarbeiten musste.
V: Wann hast du beschlossen, dich gegen gängige Stereotype zu wenden und dir selbst eine eigene Schublade zu machen?
IH: Ich habe erst lange Zeit probiert, mich an die Mehrheitsgesellschaft anzupassen, und mich dann an teils sehr reproduzierenden Ideen und Klischees von Queerness orientiert. Irgendwann habe ich für mich entdeckt, dass beides so nicht funktioniert – gerade auch wegen der Intersektion von Fett-Sein und Queer-Sein –, und habe daher versucht, mir mithilfe von anderen Aktivistinnen etwas Eigenes zu schaffen.
V: Was hat sich dadurch für dich verändert?
IH: Ich bin sehr viel selbstsicherer, und ich mag mich mehr. Ich reagiere auf Diskriminierung anders: Auch wenn sie mich noch immer trifft – was ja auch gewollt ist –, kann ich jetzt viel besser die Struktur dahinter erkennen. Das hilft mir.
V: Was machst du im Salon anders und welche Bedürfnisse bedienst du dadurch?
IH: Der Fokus jeder meiner aktivistischen Arbeiten liegt darauf, marginalisierte Personen und deren Bedürfnisse ernst zu nehmen, ihnen zuzuhören und sie so gut wie möglich abzuholen. Ich bin selbst von Diskriminierung betroffen und weiß deshalb, wie wichtig es ist, sie ernst zu nehmen. Daher versuche ich, Bedürfnissen von verschiedensten Personen – z. B. No-Small-Talk-Termine, gedämmtes Licht, Vorhang, besonders zarter Umgang – nahe zu kommen.
V: Wie berätst Du Deine Kund:innen und inwiefern unterscheidet sich die Beratung bei Dir im Salon von “gewöhnlichen” Salons?
IH: Ich versuche, unterschiedlichste Lebensrealitäten, Identitäten und Wünsche ernst zu nehmen und all diese Faktoren in den Style einer Person mit reinzudenken. Mich interessieren nicht Herbst- oder Wintertyp, sondern wer du bist und wie du nach außen hin wahrgenommen werden möchtest. Ich nehme mir für jeden Termin sehr viel Zeit und biete auch reine Beratungstermine an. Außerdem ist mir superwichtig, keine westlichen Beauty-Ideen zu reproduzieren. Ich habe z. B. oft erlebt, dass mir von Frisuren abgeraten wurde, weil diese mein Gesicht zu dick erscheinen lassen würden. Für viele Schwarze Personen ist es zum Beispiel nicht möglich, in klassische Salons zu gehen, da diese nicht für ihr Haar ausgerichtet sind. Sowohl das Wissen als auch die passenden Produkte fehlen.
V: Wer kommt zu dir in den Salon?
IH: Personen mit Locken und Coils, queere Personen, mehrgewichtige Personen, Personen mit Behinderung – und diverse Intersektionen dieser Gruppen.
V: Was macht deinen Frisiersalon besonders und barrierefrei für deine Kund:innen und welche Barrieren sollen noch überwunden werden?
IH: Soft & Cut ist barrierefrei, hat extra weite Sitze ohne Armlehnen für mehrgewichtige Personen, antiallergene Wandfarbe, ein Farbkonzept, das beruhigend auf neurodivergente Personen wirkt, eine diverse Produkt- und Treatment-Palette für verschiedenste Haut und Haartypen. Darüber hinaus habe ich eine entsprechende Zusatzausbildung für Locken und Coils von Schwarzen Personen. Außerdem ist die Preisgestaltung nicht genderbasiert, und ich habe einen Vorhang, der vor allen Blicken von außen schützt, wenn z. B. Personen mit Kopftuch kommen. Zurzeit wird noch an dem Websitetool gearbeitet, mit dessen Hilfe jede:r zusätzlich Allergien, No-Talk-Termin-Wunsch, Assistenztier oder -person und mehr angeben kann. An erweiterten Konzepten mit Dolmetsch-Personen für österreichische Gebärdensprache oder Blindenschriftbanner wird gerade noch gearbeitet.
V: Glaubst du, dass sich das Konzept von inklusiven Frisörsalons durchsetzen wird?
IH: Das Problem ist dabei: Es bleibt in der Mehrheitsgesellschaft nur das bestehen, was auch von der Mehrheitsgesellschaft genutzt und gewollt wird – und das sind eben meist nicht die Needs von marginalisierten Personen. Aber ich bin überzeugt und merke auch, dass das Konzept in den entsprechenden Communities gut ankommt und sich innerhalb derer auf jeden Fall durchsetzt.
V: Wie wird es wahrgenommen, dass du nicht mit Frisurenmodels wirbst?
IH: Sehr gut! Darüber freue ich mich wahnsinnig, da mir besonders wichtig war, Personen in meinem sehr nahen Umfeld darzustellen und dabei auch meine Arbeit zu zeigen. Außerdem sind alle abgebildeten Personen queer, das war mir auch ein Anliegen. Es sind weitere Shootings geplant für den Salon, immer mit Fokus auf den Communities, für die er gedacht ist.
Oft wird mit einer Diversität geworben, die nicht erfüllt werden kann, weil Know-how und Produkte fehlen, oder auch mit Wissen und einer fachlichen Professionalität, die nicht mit der Realität übereinstimmt. Mir war es wichtig, genau darzustellen, was du erwarten kannst!
Text
Moritz Lenzen (he/him) | Instagram: @turbolenzen123
Interviewpartner:in
Ina Holub (she/her) | Instagram: @inaholub
Photos
Josefien Hoekstra (she/her) | Instagram: @josefienhoekstra