Es ist kurz nach Mitternacht, ich habe ein fast leeres Sektglas in der Hand und jedes Jahr beginnt das gleiche Spiel, das Ringen mit mir selbst: “Dieses Jahr hörst du mit dem Rauchen auf! Und außerdem verschwendest du deine Zeit nicht damit, jede Kardashian-Spinoff zu sehen! Und überhaupt, dieses Jahr muss das mit dem Fitnessstudio endlich klappen!” Aber dieses Silvester möchte ich endlich damit aufhören – während jeder um Mitternacht zwanghaft seine Vorsätze vor sich hin murmelt, werde ich mir ins Fäustchen lachen – denn dieses Jahr nehme ich mir absolut gar nichts vor!
Nennt mich undiszipliniert, hochnäsig oder überheblich – aber 2018 scheiß ich auf diese Vorsätze für’s neue Jahr. Warum? Weil ich sie eh nicht in die Tat umsetze! Ich verstehe den Hype nicht mehr: Jedes Jahr auf’s neue soll die Welt besser werden, der Hund öfter Gassi geführt werden, auf die Kohlehydrate nach 18 Uhr verzichtet werden, und Alkohol unter der Woche gibt es sowieso nicht mehr. In den ersten beiden Januarwochen ist die Menschheit dann wohl so diszipliniert wie sonst kaum, die Fitnessstudios sind maximal ausgelastet, die halbe Weltbevölkerung steht vor 9 Uhr auf und in der Tabak- und Alkoholindustrie bricht eine absolute Krise aus. Dass ab Mitte Januar dann plötzlich niemand mehr vormittags auf dem Crosstrainer steht, sondern lieber ein Bier vor dem Fernseher genießt, wird generell gerne übergangen – und das finde ich dann wiederum heuchlerisch. Ich selbst bin da ja nicht besser: Wie oft habe ich schon verkrampft die “letzte Zigarette” geraucht, nur um am nächsten Tag wieder anzufangen, den Crosstrainer aufgesucht, nur um mir danach eine ganze Tüte Chips reinzuballern, oder Foucault gelesen, aber danach Kim Kardashians fünfte Hochzeit im Livestream verfolgt. Enttäuscht habe ich am Ende vor allem eine Person: mich selbst.
Klar, diese Vorsätze zum neuen Jahr haben bestimmt auch etwas Gutes: Man kommt erst mal zum Überlegen, was man in seinem Leben eigentlich ändern sollte. Man nimmt sich die Zeit zur (Selbst-)Besinnung, ist selbstkritisch und hat den Mut und Elan, endlich an sich zu arbeiten. Ich finde jedoch, dass man diese Bereitschaft immer zeigen sollte. Einfach mal auf der Geburtstagsparty deines besten Kumpels sagen: Nein, ich hör jetzt mit dem Rauchen auf! Einfach mal spontan den Wecker stellen und in Richtung Fitnesscenter dackeln, weil man Lust drauf hat. Einfach mal im Streitgespräch mit dem / der Partner*in zugeben: Eigentlich hast du recht, ich bin gerade einfach zu stur. Einfach mal die dritte Folge Frauentausch weglassen und stattdessen ein Buch in die Hand nehmen. Spontane Lust zur Veränderung! Aber dass auch das natürlich nicht so leicht ist wie es klingt, ist mir bewusst – sonst wär ich mittlerweile die beste Version meiner selbst. Alex 2.0.
Denn überhaupt müssen wir wohl den Anspruch, die beste Version unserer Selbst zu sein, aufgeben.
Never gonna happen. Denn egal wie sehr man sich abmüht, man kann nicht perfekt sein. Man kann nicht immer auf den / die Partner*in eingehen, man schafft es nicht immer auf die Hantelbank und manchmal ist Frauentausch einfach zu spannend. Und anstatt dann Mitte Januar wieder enttäuscht von mir selbst Zigarette rauchend und Chips essend vor dem Fernseher zu sitzen, möchte ich mir dieses Jahr alle Optionen offen halten. Ich möchte mich nicht ändern, weil wir dem Weltuntergang wieder ein Jahr näher sind. Ich möchte mich ändern, weil ich das auch will.
Text: Alex Baur