INTERVIEW MIT VLAD DOBRE
A COFFEE TABLE BOOK ABOUT THE HEART AND SOUL OF VIENNA’S UNDERGROUND CREATIVE SCENE
Mit seinem Tabletop-Fotobuch VIENNA NIGHT CREATURES taucht Vlad Dobre in die Welt des Wiener Untergrundes ab und ein. Mit seiner Linse lichtet er deren Kreaturen gekonnt und stilsicher ab: Drag Queens, Designer, Tänzer:innen, die sich dort alle durch extravagante Kostüme, bezaubernde Performances und kühne Selbstsicherheit ausdrücken. Eine Feier von Individualität und ein starkes Statement für Toleranz.
VANGARDIST: Was hat dich dazu inspiriert, ein Buch über die schillernden Persönlichkeiten des Wiener Nachtlebens zu erstellen und warum hast du dich besonders für die queere offene Szene entschieden?
Vlad Dobre: In jungen Jahren war ich, wie die meisten, auf der Suche nach Menschen, die kreativ sind, mich inspirieren und ein ähnlich offenes Mindset haben. Ich war davon überzeugt, dass ich dafür ins Ausland muss. Aber zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass Wien eine Stadt mit vielen Gesichtern ist: Exzess, Dekadenz und Freiheit kennt man hier sehr gut. Der Life Ball hat über die Jahre eine große Kreativszene in Wien aufgebaut. Meine Generation kennt das aber nur aus Geschichten. Durch meinen Beruf als Fotograf hatte ich die Möglichkeit, in diese Welt einzutauchen und selbst Teil davon zu werden. Der Fokus des Buchs liegt darauf, ein Spotlight auf Wiens Kreativszene zu setzen – die alte und die neue Generation vereint – und sie an die Oberfläche zu bringen. Das Buch zeigt viele queere Künstler:innen und Persönlichkeiten, aber nicht nur. Es geht um Ikonen aus dem Wiener Nachtleben. Talent liegt in meinen Augen nicht im Queersein. Es geht um Mut, Authentizität und persönliche Expression. „Vienna Night Creatures“ ist mein persönlicher Liebesbrief an Wiens kreative Szene.
V: Kannst du uns etwas über deine Arbeitsweise erzählen? Wie gehst du vor, um die einzigartigen Momente und Charaktere der Nacht einzufangen?
VD: Bei Performances tanze ich mit, was im ersten Moment lustig klingt – dadurch bin ich aber auf derselben Wellenlänge wie die Künstler:innen vor meiner Kamera. Ich drücke dann ab, wenn der Beat passt. Das kommt aus Erfahrung und Intuition. Ich kenne die Leute mittlerweile gut und bin Teil des Ganzen. Die Aufnahmen stellen das echte Leben dar. Sie sind geprägt von Spontanität, entstehen in Clubs, auf der Straße.
V: Welche persönlichen Erfahrungen oder Begegnungen in der Wiener Nachtszene haben deine Arbeit und deine Sichtweise auf das Projekt beeinflusst?
VD: Ein eindrückliches Erlebnis war die Begegnung mit Disco-Caine. Es war im Frühjahr 2020 bei Ivy Room, und ich habe mich sofort in sein Talent verliebt. Dieser Moment hat mich darin bestärkt, allen zu zeigen, was für begabte, geile Künstler:innen es in Wien gibt. Im Ausland glaubt mir keiner, dass man hier gut feiern kann. Mit der Schillerin und Philisha in den Volksgarten zu gehen, ist das Lustigste, das man erleben kann. Auch Rhinoplasty zieht seit 17 Jahren ein einzigartiges Publikum an, das bei jeder Veranstaltung für die beste Stimmung sorgt. Dort habe ich meinen Stil entwickelt, da Andy (einer der Veranstalter. Anm. d. Red.) meinte: „Mach, was du willst mit den Fotos. Ich freue mich darauf.“
V: Welche Werte möchtest du mit deinen Fotografien vermitteln, insbesondere in Bezug auf Vielfalt, Offenheit und Akzeptanz innerhalb der queeren Community?
VD: Ich möchte dazu anregen, den Normen der Gesellschaft zu entfliehen. Man kann rebellieren, etwas riskieren und dabei trotzdem glamourös sein. Die Beauty-Standards, die man aus Fernsehen und Social Media kennt, sind eine Lüge. Schönheit hat so viele Facetten. Einzigartigkeit ist das, was einen Menschen dazu bringt, sich nach jemand anderem auf der Straße umzudrehen.
V: Wie siehst du die Rolle der Fotografie bei der Darstellung und Dokumentation von alternativen Lebensstilen und subkulturellen Bewegungen wie der Wiener Nachtszene?
VD: Fotografie, wie jede andere Kunstform auch, soll in erster Linie Emotionen wecken und zum Denken anregen. Die Ästhetik spielt dabei eine zentrale Rolle. In zweiter Linie hat sie einen dokumentarischen Charakter. Ein Moment wird festgehalten, der in dieser Art und Weise nie wieder passieren wird. Somit kann sie in dritter Linie auch politisch werden. Vieles wirkt auf den ersten Blick „nur“ ästhetisch, aber unter der Oberfläche liegt oft eine starke Message. Im Fall von „Vienna Night Creatures” heißt diese: Sei rebellisch genug, um du selbst zu sein. Die Kunst des Ausdrucks wird eine Manifestation der Liberalität.
V: Gibt es eine bestimmte Botschaft oder ein bestimmtes Gefühl, das du den Betrachter:innen deiner Fotografien vermitteln möchtest?
VD: Ich hoffe, dass die Menschen, die meine Fotos erreichen, sich selbst ein Stück näherkommen, mehr Vertrauen in ihren eigenen Instinkt haben, vielleicht sogar ein bisschen selbstbewusster werden. Es ist so schwer und gleichzeitig so wichtig, sich selbst treu zu bleiben und die Normen der Realität anderer nicht über die eigenen zu stellen. Auch ich selbst schaue jeden Tag in mich hinein und probiere, ein Stück näher an mein wahres Ich zu kommen.
V: Welche Herausforderungen hast du bei der Zusammenstellung deines Bildbands „Vienna Night Creatures” erlebt und wie bist du damit umgegangen?
VD: Wie so oft in der Kunstwelt war die größte Hürde der finanzielle Aspekt. Die Mittel zu finden, um eine so kleine Auflage zu produzieren, war nicht leicht. Mit der Entscheidung, dieses Herzensprojekt mithilfe einer Crowdfunding-Kampagne zu finanzieren, bin ich wirklich happy. Es hat dadurch schon im Vorhinein großen Anklang gefunden und wurde zu einem „Wir-Projekt“. Als die Kampagne lief und noch unklar war, ob wir den notwendigen Betrag erreichen, sind immer wieder Freunde und Wegbegleiter auf mich zugekommen und wollten wissen: „How far along are we?“ Für mich war es von Beginn an „unser“ Buch, und so hat es die Community auch aufgenommen.
V: Wie hast du die Balance zwischen der Darstellung der Energie und der Exzentrik der Nacht und der Wahrung der Würde und Integrität deiner Motive gefunden?
VD: Gute Frage. Fotoaufnahmen bei Feiern in der elektronischen Musik-Szene sind ohnehin ein großes Thema. In Berlin ist es ein No-Go. Wien steht dem lockerer gegenüber, trotzdem ist es mir wichtig, nicht in die Privatsphäre von Partygeher:innen einzudringen. Bei Veranstaltungen wie Gaze oder Hausgemacht habe ich immer nach Consent gefragt. Die Balance zwischen gestellten und echten Fotos zu finden, war nicht immer leicht.
V: Welchen Einfluss, glaubst du, könnte dein Buch auf die Wahrnehmung und Repräsentation der queeren Community in Wien haben?
VD: Queere Menschen schreien nach Integration. Sie besuchen trotzdem nur queere Partys, wahrscheinlich fühlen sie sich nur da safe. In anderen Städten wie Barcelona, Amsterdam oder Berlin muss man sich darüber überhaupt keine Gedanken machen, da feiern alle mit allen. Meine Motivation war es, immer mit dem Projekt über die bestehenden Grenzen hinauszugehen und Barrieren zu brechen. Da ist noch ganz viel Luft nach oben. Ich freue mich auf den Tag, an dem das auch in Wien kein Thema mehr ist und hoffe, dass die hiesige queere Community für ihr Talent gesehen wird, nicht für ihre Queerness, und somit auch die Anerkennung bekommt, die sie verdient.
V: Welche Hoffnungen oder Ziele hast du mit „Vienna Night Creatures” und welche Rolle siehst du für dich als Fotografen innerhalb der Wiener Nachtszene und darüber hinaus?
VD: Meine Hoffnung ist, dass das Buch dazu beiträgt, Vorurteile abzubauen und die Akzeptanz gegenüber unterschiedlichen Lebensentwürfen zu fördern. Es soll ein Zeugnis der progressiven und toleranten Seite Wiens sein und gleichzeitig als Inspirationsquelle für die nächste Generation dienen. Ebenso möchte ich einzigartige Momente für die Ewigkeit konservieren. Es treibt mich an, die Wiener Kreativszene, die ich kennen und lieben gelernt habe, ins Rampenlicht zu rücken. Ich möchte dadurch auch unsere Erlebnisse teilen. In der schnelllebigen digitalen Welt halten wir selten inne. Fotografien werden digital konsumiert, meistens auch nur für ein paar Millisekunden. Analoge Kunstformen hingegen setzen voraus, dass man sich Zeit nimmt und sie mit allen Sinnen erlebt. Daher kann ich es kaum erwarten, bis die Künstler:innen das Buch zum ersten Mal in Händen halten und sich beim Durchblättern selbst entdecken. Vielleicht sitzen wir in 50 Jahren wieder beieinander und lassen die gemeinsamen Nächte Revue passieren.
Editor
Julian Behrenbeck (he/him) | Instagram: @julianbehrenbeck
Photo
Vlad Dobre (he/him) | Instagram: @vladdobre