Zeitgeist

Wenn minimalistisches Theater Großes schafft – “mutterseele. dieses leben wollt ich nicht.”

Es ist 10 Minuten bevor die Vorstellung anfängt. Die Türen öffnen sich und das Publikum findet sich auf der großstufigen Tribüne ein. Währenddessen stehen die Darsteller wie eingefroren auf der Bühne. Es fühlt sich an, wie ein COS Showroom. Von dem grauen Filz, der den ganzen Raum erfüllt bis zur gezielten Beleuchtung. Thomas Perles „mutterseele. dieses leben wollt ich nicht“ im Werk X Eldorado schafft mit weniger, viel viel mehr.

Das Stück beginnt, die Schauspieler, vorhin noch wie leblose Puppen, geben dem Publikum kaum Zeit sich einzufinden. Kein Vorhang der aufgeht, keine Musikeinlage.
 
Reduziert ist bei „mutterseele“ allerdings auch das Bühnenbild. Die Schauspieler stehen in drei großen Stufen vor einer Wand, mit ihrer Kleidung und einer Handvoll Requisiten ausgestattet. Kernstück der Kulisse ist neben den Schauspielern die hinterste Wand, welche Zug um Zug eine Veränderung durchlebt. Sie ist der rote (oder gelbe) Faden, der das Stück leitet.
 
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Minimalistisch ist allerdings nicht nur das Bühnenbild, sondern auch sprachlich ist das Stück sehr reduziert. Sätze werden abgehakt, Verben werden ausgelassen. Das Publikum wird nie losgelassen, darf sich nicht nicht konzentrieren. Es wird eingeladen, sich die Satzenden selber zu bilden, sich selber für eine Bruchsekunde zu beteiligen. Bis das Stück den Zuseher wieder bei der Hand nimmt.
 
All diese Aspekte, welche gezielt eingesetzt wurden, erzeugen ein wundervolles Gefühl. Man fühlt sich als Publikum ständig involviert, ständig mitten im Geschehen. Es ist das Publikum das sich die Kulissen der Szenen selbst malt, es ist das Publikum, der den Protagonisten das letzte Wort in den Mund legt.
 

„mutterseele.“ handelt von Rita und ihrem Leben, das sie so niemals wollte. Sie lernt Gerhard, kennen, wird schwanger und heiratete ihn. Sie gebärt eine Tochter, Marie. Doch für Rita wird das Eheleben schnell zur Hölle. Der Alkohol wird zu ihrer Ausflucht. Marie, nun schon erwachsen, traumatisiert von ihrer Kindheit mit der alkoholkranken Mutter, versucht ihr Leben anders zu führen. Um nicht zu enden wie ihre Mutter. Doch sie verliebt sich und die Geschichte nimmt seinen Lauf.

 
Erzählt wird diese Geschichte mithilfe von drei Zeitebenen, welche auch durch die große Stufung der Bühne symbolisiert wird. Auf einer Ebene wird das Kennenlernen von Rita und Gerhard, sowie die frühe Ehe erzählt. Auf einer anderen wird die Geschichte von Marie, sowohl teilweise in ihrer Kindheit als auch im Erwachsenenleben dargestellt. Auf der letzten Ebene erlebt man Rita in ihrer Beziehung mit der erwachsenen Marie.
 
Da es nun zwei Ritas gibt und wild auf dem Zeitstrang hin- und hergehüpft wird, muss man auch als Zuseher ständig achten, wo in der Geschichte man sich befindet. Es schafft ein quasi-interaktives Element und gibt dem Publikum eine Aufgabe. Man wird mit Puzzleteilen beworfen, die sich mehr und mehr einem einzigen Gebilde ähneln. Mit jeder Szene wird das Bild klarer.
 
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mutterseele. dieses leben wollt ich nicht.
Enstanden im Rahmen des interkulturellen Autorentheaterprojekts WIENER WORTSTAETTEN
Eine Produktion von perlen vor die säue. In Kooperation mit WERK X
 
Inszenierung: Lina Hölscher
Bühne und Kostüme: Julia Grevenkamp und Santo Krappmann
Mit: Claudai Carus, Lilly Prohaska, Lisa Weidenmüller, Nikolaij Janocha, Florian Stohr
 


Autor: Alexander Jud

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