Wien, dritter Bezirk: Inmitten von unzähligen Baustellen ragt ein großer Häuserblock hervor, auf welchem in unverkennbaren Buchstaben die kryptische Botschaft „LOST!“ geschrieben steht. Was auf den ersten Blick dem Hauptquartier heldenhafter Protagonisten eines Science-Fiction-Streifens gleicht, entpuppt sich bei nochmaligem Überprüfen der Adresse tatsächlich als die ehemalige Sigmund Freud – Universität. Hier findet das diesjährige Parallel Vienna Festival statt, bei welchem etablierte sowie junge Künstler eine Chance bekommen, ihre Kunstwerke zu präsentieren.
Bereits beim Eintreten kann man sich gut vorstellen, wie hier früher emsige Studenten ein- und auskehrten: Die altmodische, scheinbar seit Jahren unveränderte Ausstattung hilft bei diesem nostalgischen Ausflug, auf das Interieur der 70er Jahre ist in all seiner nüchternen Schrecklichkeit Verlass.
Studentenzimmer oder Gefängniszelle?
„Das Verschwindende“ sei das Thema dieses Jahr, wird uns gleich zu Beginn von den Veranstaltern erklärt. Nachdem wir jedoch die Ausstellungen im zehnten Stock besichtigt haben, bei welcher Künstler*innen die Möglichkeit bekamen, alte Studentenzimmer selbst zu gestalten und einzurichten, taufe ich es gedanklich feierlich auf „Das Bedrückende“ um. Die Zimmer der ehemaligen Kommilitonen sind unglaublich klein, die Badezimmer scheinen dank der braunen Fliesen bereits damals schon so schmutzig wie heute gewesen zu sein und die spärliche Einrichtung erinnert ein bisschen an eine Gefängniszelle. Dennoch verstanden es die Künstler*innen, das Potenzial der ihnen zur Verfügung gestellten vier Wände originell zu nutzen – auf über 5000 Quadratmetern Fläche (auf solche Zahlen stößt man in „gewöhnlichen“ Museen wie dem Mumok nicht!) findet sich eine große Auswahl an künstlerischer Ideenvielfalt. Trifft man in einem Zimmer auf einen Boden und eine Dusche voller Flaschendeckel und rebellischer Aufschriften wie „Fuck similiar!“, so stolpert man im nächsten Raum über eine gespenstisch ausgeleuchtete, halb eingelassene Badewanne, künstliche Kriechtiere, zertretene Glühbirnen und kaputte, scheinbar herausgerissene Waschbecken.
Letzte Chance für Nostalgiker!
In den unteren Etagen wurde in den Zimmern nicht von den Künstlern „interveniert“, sondern „Artist Statements“ hinterlassen. Hier trifft man auf große Namen: Ein Zimmer gehört den Kunstwerken von niemand geringerem als dem berühmt-berüchtigten Hermann Nitsch, dem österreichischen Tierblut-Maler, der sich auch diesmal nicht scheut mit provokanten Bildern und Videos zu experimentieren – ganz frisches Material aus Tasmanien, wird mir erklärt.
Als ich das eindrucksvolle Gebäude nach dem Abklappern sämtlicher Stockwerke und Ausstellungen verlasse, keimt trotz der teilweise bedrückenden Atmosphäre Nostalgie auf. Im Oktober soll die alte Universität abgerissen werden – allein deshalb schon ein Grund, der Ausstellung der etwas anderen Art vom 19. bis zum 24. September 2017 noch einen Besuch abzustatten und sich persönlich zu überzeugen!
Alle Interessierten sollten das Parallel Festival auf Instagram oder Facebook auschecken.
Text: Mona Harfmann
Bilder: Parallel Vienna