Krisztian Paczolay on self-optimization and self-awareness
Krisztian Paczolay begeistert mit AR-Filtern, die er entwickelt und in denen futuristische Elemente auf die Realität treffen. Ursprünglich aus Ungarn, wohnte er in Shanghai, Birmingham und Barcelona, bis es ihn nach Berlin zog, wo er heute sein eigenes digitales Kreativstudio betreibt. Alles, was er über die Entwicklung von Augmented Reality weiß, brachte er sich selbst bei. Mit uns hat er über Kreativität und Selbstverwirklichung gesprochen, was Filter mit uns und unserem Selbstbild machen und welche versteckten Potenziale er in A.I. sieht.
Vangardist: Hey Krisztian, erst mal vielen Dank für deine Zeit. Ich starte mal direkt mit der ersten Frage ins Thema. Sind KI- und AR-Filter unser kreatives Paradies oder machen sie uns nur noch mehr fake?
Krisztian Paczolay: Ich mag den Ausdruck kreatives Paradies, weil es das ziemlich genau auf den Punkt trifft. Filter bieten einen Raum voller Möglichkeiten, sich in allem und vor allem mit sich selbst ausprobieren zu können. Ähnlich wie Make-up helfen sie, sich selbst auszudrücken. Fake wird es meiner Meinung nach erst dann, wenn Filter genutzt werden, um unrealistische Erwartungen zu erfüllen – sowohl die der anderen als auch die an sich selbst. Natürlich ist das nicht vermeidbar, aber ich mag die Betrachtungsweise, dass wir nicht unser wahres Ich hinter den Filtern verstecken wollen, sondern dass sie uns die Möglichkeit geben, unsere Persönlichkeit zu entfalten und uns damit so zu präsentieren, wie wir wirklich sind.
V: Wir stehen häufig unter dem Druck, uns von unserer besten Seite zeigen zu müssen. Denkst du nicht, dass Filter diesen Druck zur Optimierung nur noch weiter befeuern?
K: Ich würde gar nicht pauschal sagen, dass bei der Nutzung von Filtern das Ziel zwangsläufig Optimierung ist. Jede Generation nutzt Social Media anders und die Verwendung hat sich mit der Zeit stark gewandelt. Als Millennials sich zu Beginn im Internet bewegt haben, sollte jeder Online-Auftritt noch perfekt aussehen, das stimmt. Heute ist das aber anders! Gen Z und jüngere Nutzer:innen sind mit einem ganz anderen Anspruch unterwegs. Der Trend heute ist Imperfektion. Die meisten Personen wollen echte Menschen sehen, mit denen sie sich identifizieren können. Meiner Meinung nach geht es bei Filtern mittlerweile weniger darum, Makel zu verstecken, als darum, Dinge zu visualisieren und zu ergänzen. Ich glaube nicht, dass sie weiteren Druck aufbauen, auch weil den meisten Nutzer:innen mittlerweile bewusst ist, dass eben nicht alles echt ist, was im Internet zu sehen ist.
V: Filtern wird häufig vorgeworfen, das Selbstbild negativ zu beeinflussen. Aber verhelfen sie nicht auch gleichzeitig zu mehr Selbstbewusstsein?
K: Absolut! Ich will nicht abstreiten, dass es für Nutzer:innen verunsichernd sein kann, sich in einem digitalen Raum voller scheinbar perfekter Menschen zu bewegen. Aber wie ich eben schon angeteasert habe, hat sich der Trend gewandelt. Natürlich sind immer noch Beauty-Filter präsent, die das Äußere bis zur Unkenntlichkeit optimieren. Aber ich glaube, dass Filter hier das Chaos, das sie vielleicht ursprünglich mitverursacht haben, auch wieder in Ordnung bringen können. Weil alle sie nutzen und somit die Vergleichsebene wieder dieselbe ist. Also, ja, sie können durchaus zu mehr Selbstbewusstsein verhelfen. Wichtig ist dabei nur, im Hinterkopf zu behalten, dass die wahre Schönheit in unserer Echtheit und nicht in unserer Perfektion liegt.
V: Wir leben in einer Zeit, in der es heißt, dass wir alles tun und sein können, was wir wollen. Wie unterstützt uns A.I. dabei?
K: Ich persönlich denke, dass der Schlüssel ist, mit der Technologie zu arbeiten und nicht gegen sie. Fast wöchentlich kommen neue A.I.-Technologien heraus und somit gibt es immer mehr Möglichkeiten. Manche haben negative Gefühle, wenn es um A.I. geht, weil sie Sorge haben, dass bestimmte Jobs nicht mehr benötigt werden und der Kapitalismus immer weiter vorangetrieben wird. Produktivität wird in unserer Gesellschaft großgeschrieben, meiner Meinung nach zu groß. Dadurch vergessen wir leider oft unsere wahren Passionen. Ich denke, dass A.I. uns helfen wird, den Fokus wieder auf unsere Berufungen und Leidenschaften zu lenken.
V: Gibt es Facetten deiner Identität, die du im realen Leben zwar nicht ausleben kannst, deren Umsetzung aber durch AR-Filter möglich wird?
K: Definitiv! Ich persönlich liebe es, mich optisch in einen Alien zu verwandeln, der eine Gottheit oder einen Dämon verkörpert. Es gibt mir etwas Machtvolles, etwas, das ich nur schwer in Worte fassen kann, was mir im analogen Raum aber niemals möglich wäre. Mit dem optischen Kreieren einer neuen Persönlichkeit merke ich jedes Mal, wie wohl ich mich darin fühle und wie sehr es meine Gefühle ausdrückt. Ich denke, dass Filter einen Safe Space kreieren, in dem Menschen in verschiedene Identitäten schlüpfen können. Das Besondere ist, dass dabei keine Parallel-Realitäten geschaffen werden, sondern dass das wahre Ich in die Fotos und Videos integriert wird. Das macht es für mich so persönlich, so einzigartig und reizvoll.
V: Welche Möglichkeiten bieten sich durch diese zunehmende Verschmelzung von Fiktion und Wirklichkeit?
K: Was so spannend ist, ist die Tatsache, dass die Verschmelzung von Fiktion und Realität in beide Richtungen geschieht. Das analoge, sogenannte echte Leben inspiriert digitale Kreationen und die virtuelle Welt findet sich in der realen wieder. Schauen wir uns zum Beispiel das Thema Mode an. Am Anfang war 3D-Mode dazu da, um reale Mode zu imitieren. Heute versuchen Designer:innen hingegen, 3D-animierte Mode in echte, tragbare Mode umzusetzen. Die Grenzen verschwimmen immer mehr. Das Herz kann nicht zwischen Fiktion und Realität unterscheiden. Wenn jemand sich online wohlfühlt und seine Identität dort am besten ausleben kann, lässt sich genau das auch auf das echte Leben übertragen.
V: Ich habe gesehen, dass du auch gern zeichnest. Wie unterscheidet sich deine Kunst, die du haptisch greifen kannst, von deiner digitalen Kunst?
K: Malen war für mich immer schon eine Art Meditation. Wenn ich Kunst mache, konzentriere ich mich nur auf die Leinwand und die Farbe. Meine Mama ist Bildhauerin und jeden Abend zeichnet sie, um ihren Gedanken freien Lauf zu lassen. Durch sie habe ich gelernt, dass ich, wenn ich größere Projekte habe und mehrere Tage vor dem Laptop verbringen muss, zwischendurch immer etwas Physisch-Kreatives machen muss. Der Kontakt zwischen dem eigenen Körper und der Leinwand hat schon fast etwas Spirituelles. Ohne die traditionelle Kunst wäre ich niemals in der Lage, meine digitale Arbeit umzusetzen. Es ist nicht miteinander vergleichbar, inspiriert sich aber gegenseitig.
V: A.I. ist mittlerweile fester Bestandteil unseres alltäglichen Lebens. Was denkst du, sind die drei größten Potenziale, die sie uns bietet?
K: A.I. definiert Produktivität und die Bedeutung von Arbeit neu. Die Priorität verschiebt sich von der Leistungsorientierung hin zu mehr Lebensqualität. Wiederholende Arbeiten werden vermieden, Fehlerquoten verringert und Menschen haben den Raum, sich auf Projekte zu fokussieren, die menschliche Intelligenz und Bindungen benötigen. Der menschliche Input, die investierte Zeit, Gedanken und Referenzen, die in Details gesteckt werden, haben einen viel höheren Wert. Je künstlicher die Intelligenz wird, desto menschlicher werden wir bei der Arbeit.
Der zweite Punkt sind Entscheidungen. Da es ermöglicht wird, größere und detailliertere Analysen zu tätigen, können wir unsere Entscheidungen mithilfe ganz anderer Informationen, die wir vorher nicht zur Verfügung hatten, treffen. Ärzte zum Beispiel können ihren Patient:innen effizienter helfen, da sie durch A.I.-gesteuerte Programme eine personalisierte Behandlung veranlassen können.
Das dritte große Potenzial sehe ich darin, den Werten, die uns menschlich machen, wieder mehr Raum einräumen zu können. Ich denke, dass das sehr wichtig ist, denn in der heutigen Zeit, in der sich so viel um Leistung dreht, haben wir unsere eigenen Seelen vernachlässigt. Die produktive Intelligenz hat die emotionale Intelligenz verdrängt und menschliche Gefühle werden schon fast als Störung der Produktivität angesehen. Doch nun kann sich das wieder ändern. Emotionen, Empathie und Gefühle werden wieder wichtiger, da sie den Unterschied zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz ausmachen. Ein wundervoller Gedanke.
CREDITS
Editor
Svenja Reipert (she/her) / @_svennika
Fotografie
Sophia Emmerich (she/her) | Instagram: @sophia.emmerich