Artificial Intelligence Edition

GENERATIVE A.I. IS VASTLY OVERRATED

Is artificial intelligence taking away the value of art?

Kunst, egal in welcher Form, lebt von Kreativität. Bisher brauchte es Menschen, die als Künstler:innen etwas erschufen, das wir als Kunstwerk betrachten. Doch mit den neuesten Entwicklungen steht die Frage im Raum, ob künstliche Intelligenz menschliche Kreativität vollständig ersetzen kann und wird. Wir haben mit Philipp Pieh-Sandpeck, Geschäftsführer eines Wiener Büros für Kommunikationsdesign und Kopf hinter der Ausstellung „Die künstlerische Intelligenz“ gesprochen – über den Wert von traditioneller Kunst, darüber, ob KI diese ersetzen wird und welche Rolle menschliche Kreativität in der Zukunft überhaupt noch spielt.

Vangardist: Hey Philipp, vielen Dank für deine Zeit! Was denkst du, wie wirkt sich KI auf den kreativen Prozess von Künstler:innen und Kunstschaffenden aus?

P: Gefühlt lassen sich Kunstschaffende in zwei Kategorien einteilen lassen: Auf der einen Seite diejenigen, die Angst um ihre Existenz haben und auf der anderen die, die mit riesiger Euphorie herausfinden wollen, wie sie diese Technologie für ihre eigenen Prozesse einsetzen können. Bei allem Staunen über die Fähigkeiten, die generative KI bereits besitzt, wird sie aber immer noch maßlos überschätzt. Die KI wird nicht von Inspiration erfüllt, hat keine Vorstellungskraft und versteht grundlegende Konzepte – zumindest noch – nicht, die wir als Menschen bereits im Säuglingsalter zu begreifen imstande sind. Ein kurzes Beispiel, um das zu veranschaulichen: Wenn wir einen Elefanten sehen, dann erkennen wir ihn als dreidimensionale Figur im Raum. Das verändert sich auch nicht, wenn der Elefant teilweise durch hohes Gras verdeckt wird. Unser Gehirn kann ihn weiterhin als solchen identifizieren und sich die Beine hinzudenken. Wir sind auch schon als Kinder in der Lage, uns vorzustellen, wie ein Elefant aus der Vogelperspektive aussieht, auch wenn wir das noch nie selbst gesehen haben. All das fehlt der KI. Generative KI ist heute nichts anderes als ein hochtechnologischer Pinsel, ein Werkzeug, das menschliche Eingaben und Vorstellungen interpretiert und zu einer Bildgestaltung umwandelt. Manchmal ganz nah am ursprünglichen Befehl des KI-Künstlers, manchmal überraschend weit weg. Der Mensch als inspiriertes, empathisches und kreatives Wesen hat hier immer noch einen einzigartigen Vorteil gegenüber der generativen KI. Ob das die traditionelle Kunst auf- oder entwertet, bleibt abzuwarten, aber ich bin mir sicher, dass die KI-Kunst neben allen anderen Kunstformen ihren Platz einnehmen wird.

Viele Kritiker:innen argumentieren, dass KI-generierter Kunst die „Seele” fehlt. Stimmst du dieser Kritik zu?

P: Die Frage, ob KI-Kunst tatsächlich Kunst ist, umfasst zwei Aspekte: Inwiefern kann KI transformative Arbeit leisten, also beispielsweise neue Stilrichtungen entwickeln, und welchen Stellenwert hat die handwerklich-zeitliche Komponente bei der Erstellung eines Kunstwerks? Meiner Meinung nach ist nur ein winziger Bruchteil der Menschen, die durch Text-zu-Bild-Techniken KI-generierte Bilder erschaffen, überhaupt daran interessiert, Bilder mit künstlerischem Mehrwert zu schaffen. Für die meisten ist es eine Spielerei und vielleicht auch eine kleine Flucht in eine andere Welt, etwa wenn sie Bilder von sich selbst im Stil von Marvel-Superhelden generieren lassen. Das Internet wird mittlerweile von diesen Bildern überschwemmt. Diejenigen, die versuchen, die Grenzen des Machbaren auszuloten, transformativ zu arbeiten, um Kritik an der Gesellschaft zu üben, neue Ästhetiken zu formulieren oder einen andersartigen künstlerischen Mehrwert zu schaffen, nehmen diese Technologie auch anders wahr. Ich denke da zum Beispiel an die KI-Künstlerin Stephanie Meisl und ich kann voller Überzeugung sagen, dass in ihrer Arbeit sehr viel menschliche Seele steckt.  

V: Einige Stimmen argumentieren, dass KI-Kunst keine „echte Kunst” wäre, da die kreativen Entscheidungen letztlich von einer Maschine und nicht von Menschen getroffen werden. Wie stehst du zu dieser Argumentation?

P: Ich denke, es ist genau andersherum: Die kreativen Entscheidungen trifft der oder die Auftraggeber:in und damit der Mensch. Wir tendieren schnell dazu, die KI zu vermenschlichen. Aber sie meldet sich nicht und sagt „Hey, ich habe eine Idee!“ Sie trifft ihre Entscheidungen auf Basis der Eingaben der Anwender:innen. Natürlich kann man der KI mehr oder weniger Freiraum lassen, denn je weniger genau ein Zielbild beschrieben wird, desto höher stehen die Chancen, dass die KI eigene Interpretationen einfließen lässt. Aber auch das kann eine Quelle menschlicher Inspiration sein.

V: Glaubst du, dass KI-generierte Kunst die traditionellen Formen ersetzen wird oder wird sie die bestehende Kunstlandschaft lediglich bereichern?

P: Ich bin mir sicher, dass diese Technologie langfristig gesehen einen Platz neben all den anderen Kunstformen einnehmen wird. Ich denke gerade an die Erfindung des Fotoapparats. Damals war sie ein Affront gegen die Portrait- und Landschaftsmalerei. Plötzlich konnte in Sekundenschnelle aufgenommen werden, wofür Menschen vorher Wochen brauchten. Die Technologie des Fotoapparats brachte mit sich, dass plötzlich die Realität abgebildet wurde, was nicht allen gefiel. Portraitmalereien von Monarch:innen in ganz Europa waren bewusst geschönt und das konnte man mit einem Fotoapparat nun einmal nicht – im Endeffekt hatten somit beide Techniken ihre Existenzberechtigung. Heute würde niemand behaupten, dass Fotografie kein Kunstwerk sein kann. Es kommt doch auf die Inspiration des Schaffenden an und darauf, was die Betrachter:innen im Kunstwerk sehen.

V: Inwiefern kann KI-Kunst als ein Instrument zur Demokratisierung der Kunstwelt gesehen werden und welche Herausforderungen ergeben sich daraus für Künstler:innen, die versuchen, von ihrer Arbeit zu leben?

P: Künstler:innen leben von ihrem eigenen Stil, ihrer Community, Kunstliebhaber:innen und Förder:innen. Das gelingt nicht immer, was oft schmerzhaft für die Künstler:innen ist. Sie sehen ihre Kunstwerke – zurecht – als Ausdruck ihrer Weltsicht, als Spiegel ihrer Seele oder auch als Einladung an andere, zu reflektieren. Die monetäre Wertschätzung dieser Kunstwerke hält jedoch oft nicht Schritt mit diesem Anspruch, weshalb neben der Existenzfrage der emotionale Aspekt existiert. Ich denke, diese Dynamik wird es immer geben, mit oder ohne KI. 

Höhlenmensch ©Gebrüder Pixel

V: Gibt es ein bestimmtes KI-Kunstwerk oder eine Ausstellung, die dein Verständnis von Kunst in Frage gestellt hat?

P: Es gab und gibt bislang nicht viele Ausstellungen dazu. Ganz oben auf der Liste steht aber Edmond de Belamy vom Künstlerkollektiv „Obvious“. De facto hat das Kollektiv mit seiner Arbeit schon 2018 ein ganzes Fass an Fragen aufgemacht, zum Beispiel nach der Urheberschaft oder wie viel eigene Schaffenskraft wirklich notwendig ist, wenn man einen trainierten Computer bedient. Sehr zu empfehlen ist auch die Arbeit der österreichischen Medienkünstlerin Stephanie Meisl alias s.myselle, vor allem „Schiele’s Ghost“. Sie hat ein KI-Modell ausschließlich mit Werken von Egon Schiele trainiert und diese KI anschließend 10.000 Bilder in seinem Stil generieren lassen. Ausschnitte davon sind auf Instagram und ihrer Website zu sehen. Man kann erkennen, wie die KI nach und nach dazulernt und immer bessere Ergebnisse erzielt. Neben dem künstlerischen Aspekt wirft es auch die Frage auf, ob wir längst verstorbene Menschen mithilfe der KI zu neuem Leben erwecken können.

V: Wie stellst du dir die zukünftige Entwicklung der Beziehung zwischen KI und der Kunstwelt vor, und welche Auswirkungen wird dies auf Künstler:innen und ihre Arbeit haben?

P: Ich bin in meiner Rolle als Kommunikationsdesigner und Freizeit-Künstler davon überzeugt, dass der Hype verschwinden und sich die generative KI als Sparring-Partner für Künstler:innen und Gestalter:innen aller Art etablieren wird. Manche Berufe in der Kreativwirtschaft werden obsolet und neue kommen hinzu, aber das war schon immer so. Ich finde es beruhigend zu wissen, welche meine unersetzlichen menschlichen Stärken sind und kann der auf den ersten Blick fähigeren KI daher recht gelassen begegnen. Ich werde weiterhin ihre Entwicklung beobachten, mit meiner Agentur erforschen, wie wir sie sinnvoll einsetzen können und kritisch bleiben. Die Potenziale lassen sich zu diesem Zeitpunkt nur erahnen, im Positiven wie im Negativen. Mein Wunsch wäre es, dass wir die KI als Gesellschaft so entwickeln und einsetzen, dass sie uns jene Arbeiten abnimmt, die unsere menschlichen Fähigkeiten nicht benötigen, sodass uns am Ende mehr Zeit dafür bleibt, Mensch zu sein. 


CREDITS

Editor
Svenja Reipert (she/her) / @_svennika

Fotografie
Copyright: Gebrüder Pixel / Valentin Waltenberger

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