Activist Edition

What makes you an Activist? Vier Aktivist:innen im Interview

PHENIX

(she/her, @thisisphenix)

Phenix kann Podcast-Host, Model und seit kurzem auch Autorin – in erster Linie ist sie aber eine Kämpferin, wenn es um die Rechte der LGBTQIA+ Community geht. Im Podcast “Freitagabend” und auf ihren Social-Media-Kanälen thematisiert sie regelmäßig ihre Erfahrungen als trans Person. Im April erschien mit „Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau“ zudem Phenix‘ erstes Buch, in dem sie über das trans Sein, ihren Weg als Frau und das Aufwachsen in einer wenig inklusiven Gesellschaft erzählt. Wir haben mit ihr über die Tätigkeit als Aktivistin gesprochen und gefragt, worauf es für sie dabei ankommt.

VANGARDIST: Was bedeutet Aktivismus für dich, wo fängt er an und wo hört er auf?

Phenix: Sobald ich als Person einer marginalisierten Gruppe Raum einnehme, hat das aktivistische Züge – mindestens die Außenwirkung, durch die geschaffene Sichtbarkeit. Auch wenn es im Beitrag oder der Situation gar nicht um eine aktivistische Message geht, so ist allein unsere Anwesenheit ein Schritt in die richtige Richtung. 

V: Warum bist du Aktivistin geworden?

Ph: Ich hatte keine Wahl. Das ist einfach so passiert, als ich erkannt habe, wie mit mir als trans Frau umgegangen wurde. Und auch, wie wenig Wissen, selbst in meinen Kreisen in Berlin, teilweise vorhanden war – so viele Unsicherheiten, so viel internalisierte Trans-Feindlichkeit. 

V: Gab es jemals einen Moment, an dem du aufhören wolltest?

Ph: Manchmal empfinde ich es als ermüdend, immer wieder breitzutreten, dass ich trans bin und wie meine Erfahrungen diesbezüglich sind. Ich finde das zwar wahnsinnig wichtig und mache es gerne, freue mich aber auf den Moment, an dem ich Dinge in meiner Karriere umsetze, weil ich gut und nicht, weil ich trans bin. 

V: In welchen Bereichen fehlt es deiner Meinung nach an Aktivismus?

Ph: Einzelne Bereiche kann ich hier schwer rausziehen, da geht es ja immer um gesamtgesellschaftliche Phänomene. Aber klar ist: Nur wenn ehrliche Aufklärung stattfindet, bewegt sich wirklich etwas in den Köpfen der Menschen. Als besonders relevant empfinde ich vielleicht medizinisches Fachpersonal. Hier muss umfassenderes Wissen vorhanden sein, damit etwa trans Menschen sicherer Zugang zu medizinischer Versorgung geboten werden kann.

MIREILLE NGOSSO

(she/her, @mirelle_ngosso)

Dr.in Mireille Ngosso ist Assistenzärztin für Allgemeinmedizin und seit 2020 Mitglied des Wiener Gemeinderates. Sie hat die Wiener Black Lives Matter Demo 2021 organisiert und ist nebenbei noch Mutter und Aktivistin by heart. Als Vierjährige mit ihren Eltern aus der Demokratischen Republik Kongo geflüchtet, lebt und engagiert sie sich in ihrer Heimat Österreich für Antirassismus, Frauen und Minderheitenrechte sowie Gesundheit, Gendermedizin und Bildung.

VANGARDIST: Was bedeutet Aktivismus für dich, wo fängt er an und wo hört er auf?

Mireille: Aktivismus bedeutet für mich Energie und Kraft. Er treibt mich an, gibt mir das Gefühl, lebendig und mit anderen Menschen verbunden zu sein. Außerdem hilft er mir dabei,  die Wünsche und Ängste der Menschen in die Politik zu tragen und ihnen zu helfen.

V: Warum bist du Aktivistin geworden?

M: Nach unserer Ankunft in Österreich habe ich schon früh mitbekommen, welche Bedeutung gegenseitige Unterstützung hat. Und zwar nicht nur innerhalb der eigenen Community. Ich selbst bin sehr sensibel und setze mich daher gerne für andere ein. Bei Diskriminierung kann ich nicht wegsehen. Gerechtigkeit ist mir wichtig.

V: Hat sich dein Leben verändert, nachdem du Aktivist:in wurdest?

M: Ich habe ein viel größeres Blickfeld bekommen und sehr viel über Rassismus und Sozialisierung erfahren. Dabei habe ich mich selbst besser kennengelernt und meine eigene Geschichte tiefer verstanden. Auch das Einfühlungsvermögen für Menschen, die von einer anderen Diskriminierungsform betroffen sind – z. B. LGBTQIA+ oder Muslim:innen – hat sich erweitert, was mich auch bei meinen politischen Vorhaben unterstützt. 

V: In welchen Bereichen fehlt es deiner Meinung nach an Aktivismus?

M: Ich glaube, was fehlt, ist manchmal noch die gute Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Gruppierungen. Wir haben vielleicht nicht alle dasselbe Thema, aber dasselbe Ziel, denn im Endeffekt sitzen wir alle im selben Boot.

MARIO LINDNER

(he/him, @mariolindner82)

Mit dem Sozialdemokraten Mario Lindner befindet sich ein offen homosexueller Politiker als Abgeordneter im Nationalrat. Der Steirer ist SPÖ-Sprecher für Gleichbehandlung, Diversität & LGBTQIA+ sowie SoHo Bundesvorsitzender und ÖGB-Regionalsekretär. Sowohl im Beruf als auch in seiner Freizeit setzt er sich mit ganzem Herzen für die Rechte der queeren Community ein. Wir haben mit Mario über seine aktivistische Tätigkeit und die damit verbundenen Herausforderungen gesprochen. 

Mario Lindner
© Mo Blau

VANGARDIST: Was bedeutet Aktivismus für dich, wo fängt er an und wo hört er auf?

Mario: Aktivismus hat viele Gesichter – das seh ich an meinem eigenen Beispiel. Ich bin Politiker und überzeugt davon, dass man auch als gewähltes Mitglied des Nationalrats Aktivist*in sein kann – und eigentlich sein sollte. Ich bin ja nicht für mich selber gewählt, sondern für das, wofür ich eintrete: Gleiche Rechte, soziale Gerechtigkeit, Vielfalt. Damit stehe ich Seite an Seite mit den vielen Menschen, die sich in Vereinen, sozialen Bewegungen und anderen Kontexten engagieren. Aktivismus ist keine Frage davon, wo ich gerade aktiv bin oder auf welchen „Spielfeldern“ ich mich bewege, sondern immer davon, wofür ich mich einsetze!

V: Warum bist du Aktivistin geworden?

M: Ich bin auf einem sehr klassischen und vielleicht trotzdem ungewöhnlichen Weg aktiv geworden: über die Gewerkschaften. Als Elektroinstallateur-Lehrling bei den ÖBB hab ich früh gemerkt, wie wichtig es ist, sich für andere einzusetzen. Dieses Mindset bestimmt seitdem mein Leben und meine Arbeit. Und deshalb ist es für mich auch der logische Schritt, von der Gewerkschaftsarbeit zum LGBTQIA+ und Menschenrechts-Aktivismus zu kommen. Am Ende des Tages geht’s nämlich bei all diesen Themen immer um dasselbe Ziel – ein gutes, sicheres und selbstbestimmtes Leben für alle Menschen!

V: In welchen Bereichen fehlt es deiner Meinung nach an Aktivismus?

M:  Ich glaube wir erleben so viel Aktivismus wie selten zuvor. Für ganz verschiedene Themen – Klimagerechtigkeit, Vielfalt, Menschenrechte, Sozialpolitik, Umverteilung und vieles mehr. Und das ist gut so. Aber was aus meiner Sicht oft fehlt, ist, dass wir über unseren eigenen Tellerrand schauen und Bündnisse schließen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir gemeinsam mehr schaffen können. Wir brauchen Bündnisse zwischen Arbeitnehmer:innen und der LGBTQIA+ Community, zwischen der Frauenbewegung und allen, die sich gegen die Klimakatastrophe einsetzen. Unser Kampf für eine gerechte Gesellschaft hat viele Gesichter, und wir werden ihn nur gewinnen, wenn wir zusammenarbeiten.

V: Wie kann sich jede:r Einzelne von uns selbst aktivistisch betätigen?

M:  Aktivismus ist immer eine Frage der Ressourcen. Nicht alle von uns haben die Zeit und die Möglichkeiten, sich Hals über Kopf in ein Projekt zu stürzen und das ist ok. Oft reicht es, kleine Beiträge zu leisten: Eine Spende an eine Organisation, die uns wichtig ist, ein aufklärendes Gespräch in der Familie und im Freundeskreis, eine Demo besuchen oder einmal Flyer verteilen. Wir alle können irgendetwas tun und genau das macht es aus – denn am Ende sind wir ein großes Ganzes!

SAMANTHA GOLD

(she/her in Drag, @gold.samantha)

Glamourös, pompös, elegant und großherzig: Samantha Gold tritt mit einer unverwechselbaren Präsenz in Erscheinung. Mit ihrem Motto „lebe einzigartig“ macht sie  anderen Mut, sich selbst zu lieben und das Leben nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten. Als Aktivistin setzt sie sich für Body Positivity und die LGBTQIA+ Community ein. Samantha Gold – mit bürgerlichem Namen Bernd Heinrich – ist in der Steiermark aufgewachsen und heute eine internationale Größe der Drag-Szene. Wir haben sie zum Interview getroffen und über ihre aktivistische Tätigkeit gesprochen.

Samantha Gold
© Martin Schoeller

VANGARDIST: Was bedeutet Aktivismus für dich, wo fängt er an und wo hört er auf?

Samantha: Für mich bedeutet Aktivismus, dass ich meine Anliegen, Meinungen und Überzeugungen öffentlich in Form einer Aktion teilen darf, um damit Menschen ein Stück positive Energie zu vermitteln – nicht mit dem Vorschlaghammer, sondern auf feinfühlige und emotionale Art. Eine Vision, die in der Gesellschaft platziert wird und etwas verändern soll. Ich will als Aktivistin der Mensch sein, den ich früher gebraucht hätte, um zu zeigen, dass man keine Schubladen braucht, in die man reinpassen muss.

V: Warum bist du Aktivistin geworden?

S: Die Grundsteine für meine aktivistische Arbeit gegen Bodyshaming in der Öffentlichkeit wurden in der Vorbereitungsphase auf die TV-Show “Queen of Drags” gelegt. Ich wollte mich als Samantha klar für Body Positivity einsetzen, um nicht nur die Drag-Kunst zu zeigen, sondern sie auch als Sprachrohr zu nutzen. Ich war schon mein ganzes Leben mit Bodyshaming konfrontiert. Sei es der Sportlehrer, meine ehemaligen Mitschüler:innen oder der Bäcker im Heimatdorf – hier gibt es leider sehr viele Beispiele. In der Schule habe ich mich gegen meine Mitschüler:innen gewehrt – nach außen hin. Aber insgeheim habe ich viel nachgedacht, mich ständig auf Diäten gesetzt und immer wieder Gewichtsschwankungen durchgemacht, um den vorgegebenen Idealen zu entsprechen. Als der Erfolg mit Samantha zunahm, haben viele Menschen zu mir gesagt, dass ich es niemals schaffen würde, nach ganz oben, da ich zu dick, zu pompös und zu divenhaft sei. Andere wiederum haben mir geraten, mich mit Dicken-Witzen zu präsentieren, um andere zu unterhalten. Das ist ein absolutes No-Go! 

V: In welchen Bereichen fehlt es deiner Meinung nach an Aktivismus?

S:  Generell kommt der Kampf gegen Bodyshaming viel zu kurz, da in der Gesellschaft die Wichtigkeit des Äußerlichen sehr stark verankert ist. Menschen kommentieren andere Menschen ungefragt – und diese Art der Diskriminierung wird leider durch Ratschläge und kleine Scherze zusätzlich legitimiert. Vielleicht lacht man zuerst, aber es ist alles andere als zum Lachen. Man nimmt das mit nach Hause und negative Gedanken kreisen im Kopf. Auch in der queeren Community – in der Respekt, Toleranz und Gleichberechtigung gefordert werden – gibt es diese Art von Intoleranz. Wir werden in unserer eigenen Community oft angefeindet und aus den eigenen Reihen heraus diskriminiert. Unsere Körper stehen nicht zur Diskussion, und keiner hat das Recht, über andere zu urteilen – jede:r von uns ist einzigartig, und das ist richtig so.

CREDITS

Photography
Phenix: Lina Tesch
Mireille Ngosso: Alexander Müller & Ina Aydogan
Mario Lindner: Mo Blau
Samantha Gold: Martin Schoeller

Editors
Britta Tess | @brittatess
Robert Altenbacher | @robert_altenbacher



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