Lifestyle

Die Hölle der ewigen Jugend

Wir wollen nicht erwachsen werden! Die Jugend bedeutet uns alles und danach kommt nur der Tod. Das sagt sich leicht, wenn man im ersten Semester Kunstgeschichte studiert, die Eltern einem die Bude finanzieren, weil die versoffenen Partyraupe dereinst als bunter Schmetterling durch die Galerien von London, Madrid und New York flattern wird und der harte Aufprall am Boden der Realität in weiter Ferne liegt. Zehn Jahre später hat man dann kapiert: Es geht nicht ums Wollen. Wir können nicht erwachsen werden. Was die Hölle der ewigen Jugend für uns Millennials bedeutet, haben wir anhand von fünf Aspekten einer postmodernen Existenz für euch zusammengetragen…

Job

 

Wenn es um die berufliche Karriere geht, gibt es für uns Millennials ein ungeschriebenes Gesetz, das da lautet: Wenn du bis 30 nicht zumindest einen Fuß in der Aufzugtüre Richtung Penthouse hast, kannst du in Zukunft den Rufknopf betätigen, sooft du willst – sie wird sich nie mehr für dich öffnen. Dabei beschreiben diese 30 Jahre weniger eine konkrete Zahl an Lenzen, welch – auf dem Buckel versammelt – das Ende der Jugend bedeuten, als vielmehr jenen Moment, in dem man sich eingestehen muss, dass man den Lift nach ganz weit Oben ein für allem mal verpasst hat. Begleitet wird dieser schmerzliche Erkenntnisprozess von einem Phänomen, für das wir von älteren Generationen gern belächelt werden: Der Quarterlife-Crisis. Sie markiert – spät aber doch – das Ende einer Illusion der unbegrenzten (Karriere-)Möglichkeiten. Dabei übersehen die vornehmlich älteren Semester, welche diese Lebenskrise spöttisch als Luxusproblem einer verwöhnten Generation betrachten, die wahre Tragweite dieses Phänomens. In einer Welt, in der dein Job dein Leben ist, bedeutet das vorzeitige Ende der Karriereleiter nichts weniger als den gesellschaftlichen Tod. Und genauso wie wir alles tun, um unseren physischen Verfall zumindest eine Zeit lang aufzuschieben, versuchen wir verzweifelt, auch im Job die Jugend zu bewahren. Weil man da noch träumen und noch hoffen kann, dass der Durchbruch doch noch kommt. Den Jungen gehört schließlich die Welt. Für alle, die jetzt schon vor der verschlossenen Aufzugtüre stehen, darf hier aber gesagt sein: Solang man Beine hat, die einen tragen, kann man immer noch die Treppe nehmen. Mag sein, dass einem irgendwann die Puste ausgeht, aber mittelfristig lohnt es sich, weil gut fürs Herz und so.
 

Sex

 

„Forever Young“ als Devise unserer Generation heißt doch vor allem eins: Sex, Sex und nochmal Sex! Wir sind aufgeklärt und tabulos wie nie, die Welt der Online-Pornos für umme hat uns von Kindesbeinen an gezeigt, das alles – wirklich alles – was man sich nur irgendwie ausdenken kann, auch möglich ist und Tinder wie Grindr ersparen uns das unnötige soziale Getue drum herum, was uns zu den effizientesten Fuck-Machines in der Geschichte unserer Spezies macht. Or does it? Nicht, dass das jetzt die heißeste Neuigkeit des Planeten wäre, aber es ist doch immer wieder erstaunlich zu hören: WIR HABEN WENIGER SEX ALS UNSERE ELTERN! Wie ist das möglich? Wir haben doch diese Apps, sind ein halbes Leben lang Single und dabei permanent auf der Suche nach neuen Hookups. Die Antwort: Genau deshalb. Wir haben zwar immer mehr Sexualpartner, aber ein überwiegender Teil dieser Casual-Dates sind One Night Stands. Ein erfolgreicher Tinder-Match führt statistisch gesehen zu 1,3 tatsächlichen Begegnungen – bei Grindr ist die Zahl noch niedriger. Ähnlich wie bei der Karrierefrage bedeutet die ewige Jugend für uns vor allem eines: Sich alle Optionen so lang wie möglich offen zu halten. Warum jemanden näher kennen lernen, wenn nach dem nächsten Swipe vielleicht schon was Besseres wartet? Hat man im Schnitt zwei Dates pro Woche (das sind 104 im Jahr, das schafft keiner der noch nen Job hat und was werden will) und jedes Zweite endet in einem F*ck (ebenfalls sehr ambitioniert) hat man 1x pro Woche Sex. Im ersten Jahr einer wie auch immer gearteten Beziehung vögelt man 3-5x die Woche. Alles klar? Natürlich gibt es nichts Aufregenderes als neue Fuckbuddies aber der allererste Sex ist selten wirklich gut. Kombiniert mit den gnadenlosen Gesetzen der erfolgreichen Selbstdarstellung auf Social Media (und Dating Apps sind Social Media) ist der von uns so ostentativ gepflegte Casual Sex oft alles, nur nicht casual. Dass man dann oft keinen Bock hat, weil zu anstrengend und man lieber was für seine Karriere tut, ist vor diesem Hintergrund nicht mehr so verwunderlich. Wir sind schließlich jung, um zu performen, nicht um zu leben.
 

Familie

 

Eine seit über 40 Jahren durchgeführte amerikanische Studie zur Entwicklung der Family Values junger Erwachsener (Monitoring the Future) hat unlängst erstaunliches zu Tage gefördert: Die Zahl der unter 30 Jährigen mit progressiven, egalitären Ansichten zum Thema Familie ist in den vergangenen 20 Jahren zurückgegangen – teilweise signifikant. Mitte der 90er Jahre haben 58% der Befragten angegeben, das traditionelle Familienkonzept von Ernährer, Hausfrau, Ehe und Kindern abzulehnen – eine klare Mehrheit. Bei derselben Erhebung 2014 waren es nur mehr 42%, was bedeutet, dass 58% ein Familienleben a la Don und Betsy Draper wieder für erstrebenswert halten. Das mag vielleicht das eine oder andere Welt- und Selbstbild erschüttern, aber wir Millennials sind conservative as fuck! Zumindest in der Theorie. Was einen Großteil der Studienteilnehmer von 2014 nämlich ebenfalls auszeichnet, ist, dass sie weder verheiratet sind noch Kinder haben. Die Anzahl der Familiengründungen unter 30 ist in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch zurückgegangen. Das hat vermutlich mit der härter gewordenen Job-Realität unserer Generation zu tun, die einen jahrelang von Praktikum zu Praktikum zu Bullshit-Job hoppen lässt, in der Hoffnung, irgendwann genug Leverage zu haben für eine ordentliche Position. Aber woher kommt dieser erzkonservative Backlash? Sind wir so besessen von der ewigen Jugend, dass wir uns ein bürgerliches Erwachsenenleben nur mehr als spießige Vorstadthölle ausmalen können? Oder ist unsere forever young Kultur in Wirklichkeit so anstrengend, dass wir uns in die beschauliche Kleinkariertheit der 50er Jahre zurückträumen? Wie auch immer, die Realität unterscheidet sich jedenfalls grob von diesen seltsamen Wünschen. Kinder bekommen heute nur mehr die Armen und die ganz Reichen. Der Rest von uns bleibt ewig jung und träumt von der Beschaulichkeit im guten alten Patriarchat.
 

Existenz

 

Wir wollen nicht einfach einen Job, wir wollen glänzen – entweder durch richtig viel Geld verdienen oder über soziales Prestige. Und wenn wir das nicht bekommen, arbeiten wir lieber gar nicht. Wir wollen mit 30 keinen Wohnungskredit abbezahlen und zum Wohle unserer finanziellen Zukunft daheim Nudeln mit Pesto essen, wir wollen Party, Cocktails, Restaurants und so ein Fahrrad ohne Bremsen, das 3000 Tacken kostet und sagt: „Ich bin kein Spießer“, auch wenn das verdammt spießig ist. Kurz: Wir wollen kein „schaffe schaffe Häusle baue“, wir wollen das gute, sorglose Studentenleben, und zwar für immer. Mit Anfang 20 ist das kein Problem, und bis man ein Alter erreicht hat, wo das langsam eines werden könnte, dauert es eine gefühlte Ewigkeit. Schwuppdiwupp sind zehn Jahre um und man fühlt sich keinen Deut bereiter, jetzt erwachsen zu werden. Das schlechte Gewissen setzt ein und der Katzenjammer wird von Tag zu Tag größer. Zu Unrecht, eigentlich. Zumindest was die materiellen Dinge betrifft. Wer mit Anfang 30 mit dem Erwachsenwerden hadert, gehört mit großer Wahrscheinlichkeit zu jener privilegierten Mehrheit, die sich um ihre ökonomische Zukunft keine allzu großen Sorgen machen muss. Es mag für den Berufsjugendlichen von heute bedeuten schwieriger sein, ein Vermögen für die Zukunft zu erwirtschaften, es ist aber häufig auch nicht notwendig. Noch nie hat eine Generation in dieser Breite so viel geerbt wie die Unsere. Die Rede ist jetzt nicht von Millionen, aber irgendwas erwartet die allermeisten: Omas Häuschen am Land, eine kleine Wohnung in der Stadt und vielleicht noch ne Lebensversicherung, die Mama Anno 1986 für einen abgeschlossen hat und irgendwann ein bescheidenes Einkommen ohne Arbeit verspricht. Viele von uns haben das Privileg, von der Aufgabe einer rudimentären Vermögensbildung befreit zu sein. Wir müssen die Eigentumswohnung nicht kaufen, wenn unsere Eltern das schon getan haben. Zwei braucht schließlich keiner. Das bedeutet wiederum, dass es eigentlich ok ist, wenn wir weniger verdienen. Wenn man ein halbes Erwerbsleben lang die Raten für den Immo-Kredit wegrechnet, bleibt uns vermutlich auch bei einem Bullshit-Job mehr Kohle zum verballern, als unseren Erzeugern. Dem Ewigen Studentenleben steht somit eigentlich gar nicht so viel im Weg. Und wer jetzt empört sagt: „Ja, aber was ist mit den Leuten, die nicht das Glück einer kleinbürgerlichen Erbschaft in Aussicht haben?“, dem könnte man entgegnen: „Die haben dieses Luxusproblem ohnehin nicht. Sich mit 30 überlegen zu müssen, ob man erwachsen werden möchte, ist ein klassisches Mittelschichtsproblem.“
 

Gott

 

Frankreich hat neuerdings einen Präsidenten, der so jung ist, dass man ihn theoretisch als Millennial bezeichnen könnte. Dasselbe gilt für Kannada und die kleine Republik Österreich hat seit einiger Zeit einen Außenminister, der mit 31 Jahren vielleicht bald alles erreicht haben wird, was man in der Politik erreichen kann. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass noch 2017 ein europäisches Land einen Regierungschef haben wird, der Jahrgang 1986 ist, 1986!!! „Disruption“ nennt man diesen Zug hin zur radikalen Erneuerung in der Welthauptstadt Silicon Valley und als zugrundeliegendes Prinzip lässt es sich auf den herrschenden Zeitgeist ganz gut anwenden. Die Jugend ist zuständig für die kreative Zerstörung und die wollen wir um jeden Preis. Schließlich lässt einen der fortgeschriebene Status Quo ganz schnell alt aussehen (no pun intended) und das wäre das unerträglichste, was einer Gesellschaft, deren Credo „forever young“ ist, wiederfahren könnte. Das saturierte, politische Establishment – um den unseligen Trump-Terminus zu bedienen – steht fassungslos daneben, rauft sich die Haare und versucht verzweifelt ins Treffen zu führen, dass diese Jungs (es sind leider immer Jungs) doch keine Ahnung haben können, weil teils noch im Studentenalter. Damit haben sie vermutlich auch Recht. Wer es mit 27 zum Außenminister gebracht hat, kann sein junges Leben ausschließlich der Karriere gewidmet haben. Im engsten Sinne. Intellektueller Weitblick muss dabei notwendigerweise auf der Strecke geblieben sein. Ist aber auch egal. Wir machen diese jungen Überflieger aus gutem Hause nicht zu Staats- und Regierungschefs, weil wir sie für kompetent halten. Was wir wählen, sind Götter. Verklärte Idealtypen von Biographien, die wir selber gerne hätten, weil man uns in jungen Jahren erfolgreich eingeredet hat, zu ganz Großem bestimmt zu sein. Jesus hat mit 33 auch alles erreicht, was man erreichen kann. Nicht zuletzt eine Art ewiger Jugend: Die Unsterblichkeit.
 


Text: Klemens Gindl

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