Zeitgeist

Ein Gastkommentar von Gerald VDH zum Ergebnis der NRW in Österreich

Meine Analyse zum vorläufigen Ergebnis der NRW: Österreich hat gewählt. Der Staat im Herzen Europas zeigt bei einem gewaltigen Rechtsrutsch seine wahren Farben. Rechts und Rechtsrechts kommen gemeinsam nahe an die 2/3-Mehrheit. Einziger Hoffnungsschimmer: Wien bleibt stabil.

Es erwartet uns eine schwierige Zeit. Man muss absurderweise fast auf eine möglichst kurze Schwarz-Blau Phase mit einer starken SPÖ als Opposition hoffen, da die Alternative nur Wiederwahl heißen kann. Und eine Wahl innerhalb der nächsten Monate mit Hofer an der Spitze der FPÖ wäre bestimmt keine Sache, die ich mir wünsche.
 
SPÖ: Die SPÖ war in den Umfragen schon bei 20 %. Das Ergebnis ist respektabel. Vor allem, weil der Boulevard (und leider auch viele andere politisch wenig gebildete Menschen), der SPÖ ein Alleinstellungsmerkmal „Dirty Campaigning“ angedichtet haben, obwohl die Aufklärung dieser Wahl-entscheidenden Titelblatt-Story noch aussteht. Vorverurteilungen halte ich für mindestens so verwerflich wie Dirty Campaigning. Es gab tausende Gründe nicht die SPÖ zu wählen, aber sicher nicht diesen Bullshit. Kern geht in Opposition. Das ist jetzt schon absehbar. Und ich wünsche mir, dass er die Signale erkennt und aus der SPÖ wieder eine – zumindest im Ansatz – linke Partei macht.
 
ÖVP: Was soll man da sagen? Schlager gewinnt. So läuft das in Österreich. Der Hansi Hinterseer der Politik singt Lieder über die Heimat und gewinnt mit FPÖ-Rhetorik diese Wahl. Dieses Land hat bekommen, was es verdient. Man kann es nicht leugnen, dass in dem Satz „Das Problem heißt Österreich!“ vielleicht doch mehr als nur ein Funke Wahrheit steckt. Ein ultra-reiches und privilegiertes Land mit einer komplett unsolidarischen und nur auf den eigenen (Heim-)Vorteil bedachten, reichen und wohlstandsverwahrlosten Mitte, wählte sich ihren Häuptling, der ihre Schäfchen ins Trockene bringen soll. Das Motto „Wir haben viel zu viel um euch etwas abzugeben.“ gewinnt diese Wahl.
 
FPÖ: Es war das große Glück der SPÖ und auch der ÖVP, dass Strache gestartet ist. Mit Hofer wäre ein noch besseres Ergebnis für Rechtsaußen möglich gewesen. Es war andererseits das große Glück der FPÖ, dass sich die SPÖ und ÖVP gegenseitig an das Bein pinkelten und der Mutterpartei des Dirty Campaigning die Rolle des unbeteiligten Dritten geschenkt haben. So etwas kann man auch nicht erfinden. Und sich auch in keinem anderen Land in dieser Form vorstellen.
 
GRÜN: Zwei Faktoren haben dieses historisch schlechte Ergebnis zu einem großen Teil zu verantworten: die Direktwahl von Julian Schmid auf den Pilz-Platz und Ulrike Lunacek. Ich habe Lunacek immer geschätzt. Unter den Grünen hielt ich sie für eine der Besten. Aber jede*r die / der diesen Wahlkampf so intensiv verfolgt hat wie ich, muss eines festhalten: sie war nicht ausreichend vorbereitet. Ich rede da nicht von Rhetorik. Ich rede von inhaltlicher Sattelfestigkeit.
Wie kann ich mich in TV-Konfrontationen setzen, wenn ich dermaßen unbewaffnet bin, dass ich bei meinen Kernthemen ständig nachlesen muss? Wie kann ich beispielsweise bei dem eigenen Kompetenzthema „Ehe für alle“ vergessen, dass es außer dem Unterschied in den Namen „Ehe“ bzw. „Eingetragene Partnerschaft“ noch andere Formen der Diskriminierung gibt, die daraus resultieren? Das war verantwortungslos. Hier geht es um die Top-Sequenz der Kernkompetenz der Grünen und Ulrike Lunacek, selbst eine Frau die Frauen liebt, kennt die wichtigsten Fakten dazu nicht? Mir tut das regelrecht weh über die einzige Frau unter den Spitzenkandidat*innen so ein Urteil fällen zu müssen. Aber Ulrike Lunacek muss sich den Vorwurf gefallen lassen, sich nicht entsprechend in die Themen eingelesen zu haben um gegen inhaltlich schwache Frontmänner wie Kurz, Strache oder Strolz mithalten zu können. Das war zu wenig.
Gegen Strolz war sie minutenlang am stottern und stammeln, wie es um das Thema „Mieten“ ging. Ich bin auch hier direkt betroffen und rotierte in meinem Sessel. Diese Konfrontationen sind auch eine Chance die Lügen des neoliberalen Mainstreams aufzudecken. Doch anstatt Strolz zuzuhören um danach seine billigen Argumente zerfetzen zu können, sah man Lunacek im Skriptum lesen, weil sie auf das Thema einfach nicht vorbereitet war. Das ist erbärmlich. Und man kann es echt nicht anders formulieren.

Unverschämt und peinlich finde ich jedenfalls jene Grünen, die nun in einer Trotz-Reaktion den zu der SPÖ abgewanderten Wähler*innen die Schuld geben. Das Sunshine-Reggea-Programm, die unsäglichen Plakate und die respektlose Julian Schmid „Ich bin reich und privilegiert, aber spiele im Sommer arm“-Aktion, haben die Grünen selber zu verantworten. Punkt.

Ich wünsche mir übrigens schon, dass die Grünen in den NR einziehen. Es ist eine unbestrittene Tatsache, dass es besser wäre, sie würden mit knapp 4 % einziehen, als die Mandate würden aliquot an ÖVP und andere Parteien wandern.
 
NEOS: Uff. Die Liberalen halt. Egal ob Stronach, LIF, Lugner oder NEOS. Ein gewisses Potential haben diese Schauspieler*innen in Österreich jederzeit. Sie haben es wirklich wieder geschafft sich selbst einen Job für die nächsten Jahre zu schaffen. Wir zahlen. Sie feiern sich selbst. Das wars. Next.
PILZ: Pilz, auch wenn ich ihn aus verschiedenen Gründen für unwählbar hielt und noch immer halte, hat eine wichtige Rolle in diesem NR zu erfüllen. Ja, er ist ein Spalter. Nein, er ist nicht schuld am möglichen Aus für die Grünen. Das waren die Dachgeschoß-Feel-Good-Grünen ganz alleine. Er wird uns aber bestimmt sehenswerte und durchaus wichtige Momente als Oppositionspolitiker bescheren. Ohne Zweifel.
 
KPÖ: Wahlkabine hin, Wahlkabine her. Zu keinem Moment hatte ich je den Eindruck, dass die KPÖ in den Nationalrat einziehen kann (oder will). Es wäre so wichtig eine linke Kraft neben der SPÖ aufzubauen. Aber die KPÖ wird das nicht sein. Never ever. Neoliberale würden sagen: „Das Geld liegt auf der Straße!“ Wie leicht es Pilz (voraussichtlich) in den NR geschafft hat zeigt doch, dass ganz viele Menschen, ganz dringend eine Alternative suchen, die sie auch nur annähernd für wählbar halten. Wer gründet endlich eine echte linke Partei? Und wann? (Und bitte eine internationale und keine nationalistische Linke, wie in Deutschland.)

Was unterm Strich bleibt ist ein Auftrag an die außerparlamentarische Linke. Unser Widerstand muss überall fühlbar sein. Am Arbeitsplatz, auf der Straße, am Kühlregal, in den Schulen, and den Unis, in den Linienbussen, am Würstelstand und – ja! – in den sogenannten Clubs dieser Stadt. Ich weiß, was auf mich zukommt. Ich werde mich noch klarer positionieren. Und ich erwarte mir das auch von anderen Clubmenschen.
Zum Abschluss noch einmal der Silberstreif am Horizont: Wien bleibt stabil.

Anifascista x sempre.
Gerald VDH

 


 

GERALD-2

 


 

Gerald VDH ist DJ, Musiker und Veranstalter aus Wien.

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