Maximalist Edition

La Démence: Drei Tage Madness auf Europas größter Gay Circuit Party

Ein Gastbeitrag von Martin Langner und Daniel Majse

La Démence – aus dem Lateinischen abgeleitetes Wort für Wahnsinn – ist eine der wichtigsten Circuit Partys in Europa. Für alle, die nicht wissen, was das ist: Circuit Partys sind riesige sexpositive Gay-Events. Im Falle von La Démence kommen regelmäßig bis zu 8.000 Menschen aus aller Welt nach Brüssel. Es wird drei Tage lang gefeiert, getanzt und gevögelt bis zum Morgengrauen. Martin, ein Freund der Redaktion, der schon seit Jahren Circuit Partys auf der ganzen Welt bereist, hat uns im Oktober 2021 mit auf die La Démence genommen.

Die erste Nacht

Am Freitag fahre ich gemeinsam mit Daniel und Giovanni zum ersten Teil der Party in den FUSE Club, der bekanntesten Techno-Location in Belgien. Nach fast zwei Jahren Pandemie können wir es kaum erwarten, uns in die Menschenmasse zu stürzen. Vor lauter Vorfreude hat jeder von uns mindestens einen Koffer, gerammelt voll mit Outfits, Make-up und Accessoires mitgebracht. Beim Eingang wird uns nach der Green-Pass- und Bracelet-Kontrolle das Awareness-Team sowie eine Anleitung für Safer Drug Use vorgestellt. Finden wir gut. Dann werden wir weiter zu den Lockers geführt, um Straßenkleidung und alles Weitere verstauen zu können. An alle sexpositiven Veranstalter*innen Österreichs: So was brauchen wir hier auch!

Nachdem wir uns endlich entblößen konnten, ziehen wir zum Main Floor. Anfangs sind wir etwas überfordert, so viele sexy Menschen auf einem Haufen zu sehen, aber das legt sich nach dem ersten Gin & Tonic. Es ist halb zwölf, langsam trudeln mehr Gäste ein, und wir sind bereit, die Party richtig anzugehen. Wir verabreden eine Uhrzeit, zu der wir uns an der Bar wiederfinden wollen, und teilen uns auf. Giovanni geht direkt die Stahltreppe hinauf. Dort ist der Eingang zum Darkroom, den er gemeinsam mit einem großen, wildfremden Mann in kompletter Harness-Montur betritt. Ich finde einen Freund aus Deutschland wieder und unterhalte mich erstmal ein Weilchen mit ihm. Daniel bemerkt eine weitere Stahltreppe, die zu einem kleinen, quadratischen Raum führt: ebenfalls ein Darkroom, nur kleiner und etwas einschüchternd. Die Darkrooms sind nicht vollkommen abgedunkelt, man kann noch relativ gut sehen, mit wem man es zu tun hat. Lange hält man es dort drinnen aber ohnehin nicht aus, weil es einfach so heiß ist. Im Barbereich wird versucht, diesem Problem durch den Einsatz von Sprinkleranlagen beizukommen.  Snacks und Wasser gibt es dort genug. Wir empfehlen dringend, viel Wasser zu trinken – vor allem beim Drogenkonsum.

Das Main Event

Die Main Party findet im Palais 12 statt. Die 115.000 Quadratmeter große Arena wird für das Event in eine gigantische Location mit Bars, Dancefloors, Live Acts, Videoproduktionen und einem 600 Quadratmeter großen Playroom verwandelt. Jepp, 600. Darkrooms sind ebenfalls vorhanden, aber auf dem Dancefloor, den WCs und überall, wo es sich anbietet, wird einfach herumgevögelt, was das Zeug hält. Ganz vorne in der Play Area steht ein großes Podest, auf dem buchstäblich gelegen, gesessen und gefickt wird. Dahinter hängen mehrere Slings, von denen aus Leute in allen möglichen Konstellationen die Schwerkraft herausfordern. Vor einem der Slings müssen wir kurz innehalten: Keiner von uns hat bis zu dem Zeitpunkt jemals einen Arm samt Ellbogen so weit in jemandem verschwinden gesehen. Okay, weiter zu meinem Lieblingsteil der Main Party: den Shows. Von Drag und Impersonation bis hin zu Akrobatik und hochqualitativen Videoproduktionen ist alles dabei.

Safer Sex & Safe Spaces 

Eine Sache, die uns Neulinge sehr überrascht hat, ist der Mangel an Safe Sex. Da Präexpositionelle Prophylaxe (PrEP) mittlerweile relativ einfach zu bekommen ist und vor der Übertragung von HIV schützt, interessiert sich so gut wie niemand mehr für Kondome. Ich habe zwar die anlassbezogene PReP-Version für die Party eingenommen – das bedeutet, dass ich die Tabletten nur im Zeitraum um den Sex herum nehmen muss. Dennoch schützen sie nicht vor anderen sexuell übertragbaren Krankheiten, weshalb wir trotzdem auf Nummer sicher gehen – und dafür geshamed werden. Wiederholt werden wir dazu aufgefordert, es “doch mal zu versuchen”, weil ja eh alles safe sei. An einem Punkt des Abends werde ich einfach mitten in einem Blowjob sitzen gelassen, weil ich beim nächsten Schritt ein Kondom benutzen will. Der Typ ruft mir noch “don’t think so” hinterher, bevor er sich in eine Gruppe von fünf oder sechs Männern stürzt, die alle bareback (“ungesattelt”) auf der Couch neben der Bar ficken.

Es geht wieder zum FUSE Club. Die Musik ist noch immer top, die Energie lässt bei allen allmählich nach, aber wir machen weiterhin unser Ding. Normalerweise geht die Sonntagsparty bis 14 Uhr, aber diesmal schließt der Club ”schon” um zwölf. Passt, wir fahren in die Sauna. Die Macho Sauna (das belgische Äquivalent zum Kaiserbründl in Wien) hat während des Festivals von Freitag bis Montag durchgehend geöffnet. Wir schließen uns also einer Gruppe an und verbringen den Rest des Montags dort. Wir verabreden, wie am ersten Abend, eine fixe Uhrzeit und schlagen getrennte Wege ein. Ich mache mich auf zur Lounge, Daniel versucht derweil, im sogenannten Labyrinth auf nette Kumpanen zu treffen, und Giovanni geht auf Entdeckungsreise. Irgendwann finden wir uns alle in einem der Orgy Rooms wieder. Ich bin gerade einer Orgie mitten im Geschehen entflohen, weil mir nach kurzer Zeit alles zu viel wurde. Das ist ein komplizierter Aspekt, der uns alle im Nachhinein beschäftigt. Auf sexpositiven Partys soll es ja um Sex gehen. Bist du dann ein “Spielverderber”, wenn du plötzlich aussteigst? Antwort: Nein. Du tust das, was du willst. Und wenn’s dir zu viel wird, dann gehst du. 

Wichtig ist auch, an dieser Stelle zu erwähnen, dass wir uns in keinem Moment während dieser drei Tage unsicher gefühlt haben. Wir wissen, dass das bei sexpositiven Partys keine Selbstverständlichkeit ist, auch mit Awareness-Teams vor Ort. Was diese Partys ebenfalls ausmacht, ist das Knüpfen von weltweiten Netzwerken. Man lernt sich kennen, trifft sich auf einer anderen Party wieder, mit manchen entwickelt sich eventuell eine besondere Connection. La Démence war dieses Mal lauter, größer und schöner als je zuvor. Vielleicht reisen wir bald bis ans andere Ende der Welt für das nächste große Event?

CREDITS

Editors
Martin Langner
Daniel Majse

Photography
Martin Darling



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