Wir sind gefangen in unseren nine to five Jobs, dem Studium zum Taxischein, den grauen Fassaden unserer Stadt oder der bröckelnden Stuckdecke der überteuerten Altbauwohnung. Wir arbeiten, lernen, feiern, schlafen wenig, meistern Herausvorderungen, aber verkacken auch immer und immer wieder. Was wir alle mal brauchen, das ist eine Pause vom sich drehenden Hamsterrad. Weg aus dieser Stadt, weg vom schlechten Bürokaffee. Die Perspektive auf unser Leben weiter verschieben, als den Bildschirm auf unserem Schreibtisch. Deshalb habe ich diesen Sommer beschlossen, meine Taschen zu packen und loszufahren – es ging, gemeinsam mit meinem Freund, in den Norden!
MAASTRICHT
09.07.2017: Wir beginnen unseren Roadtrip mit einer circa achtstündigen Fahrt nach Maastricht. Der graue Golf, der für die nächsten drei Wochen unser Zuhause sein wird, legt tapfer die Strecke von München bis in die kleine Studentenstadt am Dreiländereck zurück. Die Stadt, die ihren Namen von der Maas, dem Fluss, der sich durch das Zentrum zieht bekommen hat, ist vor allem für Student*innen und Shoppingbegeisterte interessant: Die Maastricht University deckt ein breites Spektrum an Studiengängen ab, und das Stadtzentrum beherbergt wirklich jedes große Modelabel, egal ob Luxus Designer oder schnelle Kettenmode. Während wir gemütlich durch die Innenstadt schlendern, vorbei an vielen Frittenbuden (Fritten schmecken tatsächlich mit der landestypischen Erdnusssoße super!) kommen wir an der Buchhandlung Dominicanen vorbei: Das Geschäft, das sich in einer 1294 erbauten Kirche befindet, bietet nicht nur holländische, sondern auch englische Literatur. Das gesamte Bauwerk beherbergt nun Bücher aus aller Welt und ein Café, das die ehemalige Stelle des Altars einnimmt.
Nachdem wir die Stadt erkundet haben, treibt es uns etwas weiter auf das Umland Maastrichts: Wir haben von einem riesigen amerikanischen Friedhof erfahren, dem Netherlands American Cemetery Memorial. Der Friedhof, komplett in amerikanischem Stile erbaut, ist ein Denkmal an alle gefallenen US-amerikanischen Soldaten des zweiten Weltkrieges. Er befindet sich auf einem von Bäumen gesäumten Hügel in ruhiger Lage, und bietet einen schönen Blick über das Umland. Am Eingang sehen wir viele Informationen über die verschiedenen Kriegszonen des 2. WK, und bei unserem Spaziergang über das Areal fühlen wir uns wie auf einem ganz anderen Kontinent.
AMSTERDAM
Gundula, so heißt unser grauer Quietschegolf nun, rollt auf den Parkplatz des Radisson Blu Hotel Schipol Airport – das etwas außerhalb gelegene 4-Sterne Hotel kann mit dem günstigsten aller Hotelpreise aufwarten: Wir zahlen hier wesentlich weniger als in einem zentralen 8er Hostel-Schlafsaal, und bekommen 4* Luxus und die kostenlose Parkmöglichkeiten noch dazu. Mit dem Hotelshuttel kommen wir direkt zum Flughafen, und können von dort aus mit einem Zug direkt ins Zentrum Amsterdams starten. Da wir hier drei volle Tage verbringen, gönnen wir uns das 72h Ticket der Öffis. Unseren ersten Tag in Amsterdam verbringen wir erst mal zu Fuß, und spazieren an den typischen Krachten entlang, durch Viertel mit blumenbewachsenen Häusern, vorbei an süßen Cafés und Restaurants. Immer wieder zieht es uns in den östlichen Teil des Zentrums der Stadt, das ruhig und malerisch schön ist. Da Essen gehen in Amsterdam recht schnell kostspielig werden kann, setzen wir uns meistens mit einer Flasche Wein und Käse aus dem Supermarkt an eine der Krachten und beobachten die vorbeifahrenden Schiffe.
Natürlich lassen wir uns auch ein paar Sehenswürdigkeiten in Amsterdam nicht entgehen, und quetschen uns durch das Anne Frank Huis, bewundern die Architektur des EYE Filmmuseums, und drängen uns mit gefühlt allen Touristen durch das weltbekannte Rotlichtviertel Amsterdams. Etwas außerhalb des unmittelbaren Stadtzentrums lädt der Oosterpark zum Spazieren ein und wir nehmen uns die Zeit, um in einem der vielen kleinen und stilvoll eingerichteten Cafés in der Innenstadt einen Cappuccino zu genießen. Besonders gemütlich und geschmackvoll eingerichtet ist das Café PLUK: Der Ableger eines Einrichtungsgeschäfts verkauft hier Kaffee, Kuchen, kleine warme Gerichte und eine große Auswahl an Smoothies. Während wir also unseren Cappuccino schlürfen und die vorbeilaufenden Menschen beobachten, können wir Amsterdam genauso genießen, wie es die Einheimischen tun.
NOORDPOLDERZIJL
Nach zwei holländischen Städten sind wir bereit für etwas Nordseeluft. Also suchen wir uns – ohne jegliche Recherche – einen Punkt an der Nordseeküste Hollands aus und haben Glück: Wir nehmen die Nordroute aus Amsterdam über den beeindruckenden Breezandijk, einen Deich über dem Eiselmeer, den wir mit dem Auto kostenlos überqueeren können. Hier machen wir in der Mitte des Deichs Halt, um den Aussichtsturm hinaufzusteigen, und einen unglaublichen Ausblick zu genießen! Die Strecke nach Noordpolderzijl, der kleinen Küste, die wir auf der Karte markiert haben, führt durch winzige holländische Dörfer an der Nordsee entlang, vorbei an grasenden Kühen und klassisch niederländischen Windmühlen. Noordpolderzijl selbst ist ein winzig kleiner Ort, der eigentlich nur aus einem Wirtshaus und einem kostenlosen Parkplatz, auf dem man auch über Nacht im Auto schlafen darf, besteht. Von hier aus starten wir eine kleine Wattwanderung, schnuppern in der ruhigen Landschaft entspannt Nordseeluft, und schauen den Kühen und Schafen beim Grasen zu. Nach einer Woche Stadturlaub genießen wir unser Abendessen, bestehend aus Kuchen und Wein, direkt mit Blick auf die Nordsee, ohne irgendeinen Menschen um uns herum – nur irgendwo in der Ferne blökt ein Schaf.
HAMBURG
Circa drei Stunden dauert die Fahrt in die Hansestadt, und wir erreichen so am Spätnachmittag unser Airbnb in Eimsbüttel – inklusive kostenlosem Parkplatz direkt vor der Haustür! Nur einen vollen Tag haben wir für Hamburg eingeplant, und da sich mein Freund perfekt in der Stadt auskennt, bekomme ich das volle Hamburg-Programm abseits der Touristenströme aufgetischt: Wir laufen durch den alten Elbtunnel, um einen guten Blick auf den Hafen zu bekommen, spazieren durch die Schanze und essen dort Ofenkartoffeln, machen eine kostenlose Hafenrundfahrt auf einer der HVV-Fähren, essen Eis am Jungfernstieg und besichtigen die Elbphilharmonie – ebenfalls kostenlos! Abends schlagen wir uns den Magen in der Pizza-Bande nahe der Reeperbahn voll und gucken uns den Sonnenuntergang von Park-Fiction aus mit Blick über den Hafen an – Hamburg an einem Tag erleben, das haben wir irgendwie hinbekommen -ganz ohne Stress.
SCHWEDEN
Unsere bislang längste Fahrt steht bevor: Um uns die teilweise sehr hohe Brückenmaut und den Sprit auf dem Weg nach Schweden zu sparen, beschließen wir mit einer Fähre von Rostock nach Trelleborg überzusetzen. Die Fähre bringt uns elendig langsam nach über 6 Stunden Fahrt an unser Ziel, und an der Grenze werden wir zunächst von der (unfreundlichen) schwedischen Polizei aufgehalten – nachdem unser Gepäck dann auf den Kopf gestellt wurde, geht es hinter der schwedischen Grenze aber schon viel gastfreundlicher zu: Wir wohnen in der Studentenstadt Lund, circa 15 Minuten von Malmö entfernt. Von Lund aus lässt sich das Meer mit dem Fahrrad ganz einfach erreichen – besonders schön ist der Lomma Beach mit seinem breiten Sandstrand und schönen Dünen, der zum Glück nicht allzu überlaufen ist. Hier verbringen wir einen entspannten Strandtag und tanken Energie für unsere Sightseeing Tour durch Lund, die wir auf eigene Faust wagen. Es geht weiter mit dem Auto in Richtung Norden nach Helsingborg: Hier besuchen wir das Museum, das international schon für Wirbel gesorgt hat: Das Museum of Failure stellt in einem Raum lauter Produkte aus, die den Markt revolutionieren sollten – und dann komplett gefloppt sind. Am Ende der Aussstellung darf jeder Besucher noch selbst seinen größten Misserfolg aufschreiben, und ich verbringe lange Zeit mit abwägen.
COPENHAGEN
Copenhagen lässt sich von Schweden aus am leichtesten mit dem Zug über die Öresundbrücke erreichen: Nach nur einer Stunde Zugfahrt (wovon wir gut 10 Minuten auf der Brücke, die Dänemark mit Schweden verbindet, verbringen) finden wir uns im Zentrum Copenhagens wieder: Wir besuchen eine Performance von Marina Abramović mit dem Titel Method for Treasures, die im ikonischen Black Diamond stattfindet.
Ebenfalls sehenswert finden wir die Freetown Christiania, der Teil der Stadt “ohne Regeln”: Die Wände sind hier bunt gestrichen, Hunde laufen genauso frei herum wie jegliche Art von Menschen. Aus Bauruinen haben Kommunen und Querdenker*innen hier eine Welt geschaffen, die sich vom Rest der Stadt abgrenzt, und faszinierend anders ist. Nachdem wir noch das Design Museum Denmark besucht haben, geht es für zurück, vorbei am Tivoli Freizeitpark im Zentrum der Stadt zum Meat Packing District: Der Fleischmarkt bietet nicht nur architektonisch eine interessante Stimmung – bei Tommi’s Burger Joint schlagen wir uns die Bäuche mit wirklich guten, fettigen Burgern voll. Mit vollem Magen geht es also wieder zurück nach Schweden, und wir genießen den Sonnenuntergang, als wir die Öresundbrücke erneut passieren.
BERLIN
Von Schweden aus nehmen wir wieder die Fähre zurück nach Rostock – die Fahrt zu unserem letzten Ziel, Berlin, vergeht schneller als gedacht. Berlin besichtigt man ja mittlerweile schon gar nicht mehr, weil man eh viel zu cool für Sightseeing in der deutschen Hauptstadt ist – der hippe Berlin Besucher denkt also nur an Berghain und Ballern. Da wir nicht zum Feiern in der Stadt sind, schlendern wir gemütlich durch Kreuzberg und Friedrichshain, essen vegane Donuts bei Brammibal’s (auch, wenn wir gar nicht vegan leben, aber “reguläre” Essensoptionen in Berlin zu finden gestaltet sich teilweise als etwas schwierig) oder scharfes Kimchi bei Kimchi Princess, und trinken Gin Tonic im Prenzlauer Berg. Hätten wir noch mehr Zeit in Berlin verbracht, wär ich vermutlich an einer Überdosis Club-Mate oder Gin verstorben.
Das waren also drei Wochen, weit weg vom alltäglichen Hamsterrad, dem Schreibtisch, der überfüllten U-Bahn und der grauen Stadt. Wir haben drei Hauptstädte besichtigt, vier Länder besucht, wir haben die Weite der Nordsee gesehen, sind durch enge Gassen spaziert, haben im Auto oder in Hotelbetten geschlafen, und knapp 3400 Kilometer zurückgelegt. Während wir unseren tapferen Golf in Richtung Heimat steuern und die letzten Wochen Revue passieren lassen, wird mir klar: So schlecht ist der Bürokaffee eigentlich gar nicht – ein klein wenig habe ich ihn sogar vermisst.
Alle Interessierten können eine leicht abgeänderte Route hier einsehen:
Text: Alex Baur