Während alternde Generationen aufgrund von Cambridge-Analytica-Skandalen und allgegenwärtigen russischen Bots immer mehr zu Social-Media-Zyniker:innen werden, definieren die Millennials den Online-Raum neu. Sie zwingen Social Media zu einem Re-Branding, gestalten den öffentlichen Raum als Bühne, auf der jede:r Platz findet. Doch damit auf dieser Bühne kein chaotisches Theaterstück stattfindet, auf der lediglich versucht wird, einer dogmatischen Rolle nachzukommen, braucht es Personen, die Orientierung bieten.
Die Redaktionsleiterin der sozial-politischen Website Upworthy, Amy O’Leary, spricht vermehrt über die Schema-Theorie, ein psychologisches Konzept über neurologische Frameworks. Jede erlebte Situation baut in unserem Gehirn einen Rahmen dafür, wie wir die Welt sehen. Vor 20 Jahren gab es zum Beispiel kein Schema welches erlaubte, sich eine weibliche Bundeskanzlerin vorzustellen. Wir brauchen also Sichtbarkeit, um die Möglichkeiten der Welt wahrnehmbarer zu machen. Die Millennials haben verstanden, dass es insbesondere Online-Aktivismus ist, welcher hilft genau diese gesellschaftspolitischen Möglichkeiten sichtbar zu machen, und unsere Schemata dadurch zu erweitern.
Um zu verstehen, was es eigentlich bedeutet, Aktivist:in zu sein und ob diese Online-Arbeit überhaupt etwas nützt, sprechen wir mit Sophia Sailer, auch bekannt als „@die_millennial“. Auf ihrer Plattform hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, gesellschaftspolitische Themen informativ aufzuarbeiten. Sie zeigt dabei, dass Aktivismus nichts ist, was man hobbymäßig dienstags oder donnerstags tut, sondern ein bewusster Lebensstil.
VANGARDIST: Dein Instagram-Name lautet: die Millennial. Wieso hast du ausgerechnet diesen Namen gewählt? Ist das eine Anspielung auf deine Generation?
Sophia: Der Name war tatsächlich der Grund, warum ich diesen Account lange nicht gestartet habe. Da mich schon immer so viele Themen interessiert haben, wie Mental Health, Queerness oder Feminismus, hatte ich große Probleme damit, einen Namen zu finden, der mir nicht direkt ein Label aufdrückt und mich dadurch thematisch einschränkt. „Die Millennial“ war dann ein spontaner Einfall, bei dem ich dachte: Das ist meine Generation, das bin ich.
V: Wie definierst du für dich persönlich Aktivismus?
S: Das ist eine schwierige Frage, die sich wahrscheinlich alle Medienschaffenden sehr oft stellen. Bin ich durch meine Themensetzung schon Aktivistin oder nicht? Grundsätzlich würde ich Aktivismus als soziales Engagement mit einer bestimmten politischen Agenda definieren. Was man auf „die Millennial“ sieht, ist Online-Aktivismus. Ich finde das wichtig zu benennen, weil Aktivismus, der online stattfindet, oft belächelt wird, obwohl er super schwellenlos sein kann. An Offline-Demos können einige Personen nicht teilnehmen, da sie Care-Arbeit leisten, eine Behinderung oder psychische Erkrankungen haben. Diese Gruppen werden aus bestimmten aktivistischen Räumen ausgeschlossen, können aber auf Online-Aktivismus zurückgreifen. Deswegen finde ich diesen so relevant.
V: Inwiefern unterscheidet sich deiner Meinung nach der Aktivismus deiner Generation vom Aktivismus anderer Altersgruppen?
S: Ich bin überzeugt, dass diese Generation eine Veränderung darstellt. Eine Veränderung, die natürlich mit Social Media einhergeht, denn dieser Online-Raum trägt trotz möglicher Shitstorms dazu bei, dass Medien Demokratisierungsprozesse durchlaufen.
Ich finde, man sollte aufhören, Online-Aktivismus als Spielerei anzusehen. Stattdessen sollte der virtuelle als öffentlicher Raum begriffen werden, in dem besonders bei politischen Debatten tatsächlich etwas bewirkt werden kann.
V: Würdest du sagen, dass digitaler Aktivismus den Offline-Aktivismus braucht, um wirkungsvoll zu sein?
S: Ich glaube, dass beides eine legitime Form von politischer Partizipation ist, die es geben muss, auch wenn es da natürlich nicht aufhören darf. Also, der Online-Aktivismus ist ein wesentlicher Bestandteil des allgemeinen Aktivismus, und es ist beides notwendig, um tatsächlich wirkungsvoll zu sein.
V: Gibt es etwas, was du der heranwachsenden Generation zum Thema Aktivismus raten würdest?
S: Ich bin ein Social-Media-Pflänzchen und wurde durch das Internet komplett politisiert. Gerade wenn man jung ist, muss man erstmal herausfinden, wo man inhaltlich Prioritäten setzen möchte und wo der eigene Raum ist. Wo muss ich sein und wo nicht? Grundsätzlich glaube ich, dass auch da Online-Aktivismus eine besonders gute Möglichkeit bietet, sich zu vernetzen und Anknüpfungspunkte zu finden.
CREDITS
Editor
Lena Pfeffer | @leni_pfeiffer
Photography
Simon Gerlinger