Fluidity Edition

Prologue

Panta rhei – alles fließt.

Mit dem Ausspruch “panta rhei” fasste Heraklit seine Sicht auf die Welt zusammen, in der alles fließt und nichts stabil bleibt. Das war vor ca. 2500 Jahren. Die Vorstellung von so viel Fluidität bereitet uns Menschen aber Unbehagen. Wir wollen lieber Sicherheit und Beständigkeit. Die Einteilung der Welt in klare Kategorien war eine Grundbedingung für die Entwicklung der Menschheit. Was aber, wenn uns manche dieser Kategorien eher einschränken? Was, wenn wir Denkmuster gelernt haben, die den Blick auf das Wesen der Welt verzerren? Dann werden die Einteilungen plötzlich zum Hindernis und in manchen Fällen sogar zum Gefängnis.

Deshalb widmen wir uns diesmal dem Thema Fluidität. Natürlich ist die Einteilung in zwei Geschlechter sehr einfach. Aber nüchtern betrachtet ist es etwas befremdlich, wenn man seine komplette Existenz, seinen Charakter und zahlreiche Eigenschaften auf die Form des Genitals reduziert. Niemand würde auf die Idee kommen, bei einer Jobbewerbung von der Körpergröße oder der Kopfbehaarung auf die Qualifikationen zu schließen.

Woher kommt das? Man könnte sagen, wir leben im Westen in einer Post-Reproduktions-Kultur. Wir erinnern uns: Sex aus reinem Vergnügen war früher eine Sünde. Man hatte einen Sinn im Leben, und der wurde vom Geschlechtsteil vorgegeben. Aber diese Ära ist dank unseres Wohlstandes am Ende. Heute definieren sich 21 Prozent der Generation Z als queer, und wir haben nun die Freiheit, unsere Existenz nach Belieben und Gefühl zu gestalten. Hier reichen die Kategorien Mann und Frau einfach nicht mehr. Auch allen, die mit den Begriffen Mann und Frau vollkommen einverstanden sind, hilft ein Aufweichen der Stereotype dabei, sich weiter zu entfalten. Kleine, schwache Männer weichen dann plötzlich nicht mehr von der Norm ab, und starke Frauen sind keine Gefahr mehr, sondern willkommene Partnerinnen. Für alles dazwischen werden wir gemeinsam neue Begriffe finden.

Wie immer, wenn eine neue Zeit anbricht, kann es dabei zu skurrilen Irrläufern kommen – zu Trends, die nach einer Zeit wieder verschwinden. Diese werden dann auch gerne von reaktionären Kräften missbraucht, um die queere Bewegung zu spalten. Es ist also notwendig, dass wir als Community wie als liberale Gesellschaft zusammenhalten. Wir brauchen einen sachlichen und undogmatischen Dialog, geprägt von Verständnis und Respekt für das Gegenüber. Und auch, wenn das Neue uns am Anfang unverständlich und fremd scheint, sollten wir dafür offen sein. Denn die Geschichte zeigt, dass vieles, was uns heute neu und absurd erscheint, morgen schon die Vergangenheit ist, an der wir festhalten werden.


CREDITS

Editor
Julian Wiehl he/him | Instagram: @the.vangardist.editor

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