Im Geografieunterricht sollten wir ein Referat über eine Stadt unserer Wahl halten, damals war ich 14, und ohne auch nur darüber nachdenken zu müssen war mir klar, ich kann selbstverständlich nur über Tokyo sprechen.
Seit meiner frühen Kindheit hat mich Japan fasziniert. Die Zeichentrickserien aus dem Land des Lächelns, das Essen, Origami, ja eigentlich die gesamte Kultur haben mich in ihren Bann gezogen und bis Heute nicht mehr losgelassen.
Aus meiner Vorliebe für Anime und Manga, wurde später, mit zirka 16, eine Vorliebe für Gothic & Lolita Mode.
Diese Modeerscheinung der 90er, und der Milleniums Jahre ist stark vom Visual Kei Musikstil beeinflusst.
Visual Kei Bands sind Rockbands die zur Unterstützung ihrer Musik enormen Wert auf ihr visuelles Konzept legen. Und hier näherte ich mich mit sehr schnellen Schritten, auf unmöglich hohen Plateausohlen, meinem heutigen Beruf an, der Kunst der Verwandlung, der Kunst der Drag Queen.
Seit über 10 Jahren arbeite ich als Drag Queen und einer meiner besten und wichtigsten Kunden ist “Wien Tourismus”. Zuständig für die Vermarktung unserer Hauptstadt, entdeckte Wien Tourismus den LGBTI Markt und ich habe das Privileg, immer wieder als queeres Testimonial für sie zu arbeiten.
Der japanische Markt ist natürlich ein sehr wichtiger für den Tourismus in Wien. Klimt, Sachertorte, Oper und Amadeus sind in Japan sehr beliebt. Aber Wien kann auch anders: Wir haben eine bunte Partyszene, hippe Lokale, schöne Shoppingmöglichkeiten, und die Stimmung in der Stadt ist insgesamt offen gegenüber der LGBTI Community.
Obwohl es aus dem Westen oft nicht so aussehen mag, ist Japan doch ein recht konservatives Land. Bis Dato ist die LGBTI Community sehr klein, es ist eher unüblich sich zu outen, und von Gleichberechtigung kann keine Rede sein.
Aber die LGBTI Community erlebt derzeit in Japan einen Boom.
Seit 13 Jahren gibt es nun eine Gay Pride in Tokyo, die Community beginnt langsam sich zu zeigen, und nachdem der Start gemacht wurde, schliessen sich immer mehr Menschen an, um endlich offen und frei leben zu können, ohne ihre Identität zu verstecken. Es geht voran.
Wien Tourismus ist auf der “Tokyo Rainbow Pride” vertreten, um der japanischen LGBTI Community zu zeigen, dass Wien sie willkommen heisst. Im Tokioter Yoyogi Park wird jedes Jahr ein “Pride Village” aus Ständen und Zelten aufgebaut. Neben Unterhaltung und Kulinarik, sind auch internationale Stände vor Ort, die Länder oder Städte repräsentieren.
Wien glänzt in Gold.
Gustav Klimts berühmtes Gemälde “Der Kuss”, strahlt an zwei sonnendurchfluteten Tagen mit den Gästen der Gay Pride um die Wette.
Davor ermuntere ich in einem “Lena Hoschek Tradition” Dirndl aus wunderschön bedrucktem Leinen die illustre Menge, sich mit mir fotografieren zu lassen. Wer das Foto auf Instagram oder Twitter mit dem Hashtag #wienima, also #wienjetzt postet, kann eine Reise nach Wien gewinnen. Und der Plan ging auf!
Am Anfang sind die meisten Japaner doch etwas schüchtern, also war es meine Aufgabe, mit geschickt eingesetzten japanischen Floskeln die Gäste zu ermutigen ein Erinnerungsbild zu machen, und bald schmolz das Eis im warmen Maiwetter dahin, und es bildete sich zeitweise sogar eine Warteschlange, um vor Klimts Kuss mit dem Wiener Mädel ein Foto zu machen.
Die bunte Mischung der Gäste bewegte mich sehr. Alte Damen, lesbische Paare, Tokioter Drag Kolleginnen, Cosplayer, und schwule Männer jeden alters kamen zum Wien Stand, und nicht ein einziger Gast war unangenehm. Ich wurde mit Komplimenten überschüttet, unentwegt angelächelt, bewundert und bestaunt. Der Ausruf: “Kawaii!” klingt mir jetzt noch in den Ohren. Oft wollten die Gäste nachdem das Foto gemacht war, einfach meine Hände in die ihren nehmen um sich zu verbeugen und zu bedanken. In meiner gesamten Zeit als Drag Queen habe ich noch nie einen solchen Respekt vor meiner Arbeit erlebt.
Eine Japanerin mittleren alters, ausgestattet mit “Manner” Tasche outete sich als größter Wien Fan. Sie kam extra ins Pride Village um den Wien Stand zu besuchen.
Die eigentliche Parade heisst in Japan “Tokyo Rainbow Pride”, und so eine Pride in Japan läuft wirklich vollkommen anders ab als man ähnliche Events im Westen kennt:
Die rund 30.000 Teilnehmer der Parade stellen sich vor dem Start auf eine großen Platz neben dem Pride Village auf und warten in Reih und Glied auf den Start. Man macht Fotos und Snaps, stösst auf die Pride an, und erfreut sich am offenen Miteinander. Dann beginnt aus dem vordersten Truck die Partymusik zu dröhnen, und ein MC heizt der Menge ein. Und die tobt!
Um 12:00 Uhr mittags beginnt sich der Zug durch den Stadtteil Shibuya zu bewegen, am Strassenrand stehen winkende Passanten, die Teilnehmer der Parade geben ihnen High Five, und man ruft sich gegenseitig zu: Happy Pride!
Eine so einfache Geste, die so viel bedeutet. Jedesmal fühlt man sich stärker, respektierter, besser.
Das Pride Village schliesst um 18:00 – natürlich pünktlich – seine Pforten, und dann zieht die Crowd weiter zur Afterparty in einem Club auf der angesagten Shoppingmeile “Omotesando”. Der Eintritt ist frei, ein Drittel der Bareinnahmen geht an die Rainbow Pride.
Um 20:00 habe ich meinen dritten Longdrink intus, und tanze inmitten von halbnackten Jungs zu dröhnender Partymukke.
Besonders DJane Ipek aus Berlin heizt der Meute mit einem oriental angehauchtem Set richtig ein.
Der Club macht um 22:00 dicht, zurück ins Hotel fahre ich ganz entspannt mit der U Bahn, denn in Tokyo ist es vollkommen egal, was man anhat. Die anderen Fahrgäste sehen einen nicht einmal an. Keine blöden Kommentare, keine starrenden Blicke, einfach nur eine U Bahnfahrt im Dirndl, ganz entspannt
Ich konnte es selbst nicht wirklich glauben, aber ich war vor Mitternacht abgeschminkt und mit meinem Abendessen im Bett.
Text: Tamara Mascara
Bilder:
Shin Yasui