Zeitgeist

Über den Scherbenhaufen einer Familie: “mutterseele. dieses leben wollt ich nicht.”

Es ist Theater auf Augenhöhe: “mutterseele. dieses leben wollt ich nicht.” nennt sich das Stück unter Regie von Lina Hölscher, das den Zuschauer*innen tief in die Augen blickt – und manchen aus der Seele spricht. Autor Thomas Perle erzählt mit “mutterseele.” eine Familienchronik parallel auf verschiedenen Ebenen, getränkt und getrübt von Alkohol.

So spiegelt schlichtweg der Bühnenraum schon die verschiedenen zeitlichen Ebenen, auf denen wir uns bewegen, wider: Auf mehreren Stufen sehen wir den Verlauf des Familiendramas. Über Rita, einer jungen Frau, die bedingt durch eine Schwangerschaft überstürzt heiratet und beginnt, die Zuflucht in der Flasche zu suchen, thront ihr älteres Ich, verbittert, vom Alkoholmissbrauch vernebelt. Ihre Tochter Marie wankt dazwischen, immer wieder hin- und hergerissen, sie möchte sich einlassen auf den einfühlsamen, gutherzigen Sven, doch der Scherbenhaufen, den ihre Mutter hinterlässt, hält sie immer wieder davon ab. Dieser Scherbenhaufen, durch den sich alle Charaktere bewegen, findet sich auch in der fragmentierten Sprache wider: Kalt brechen immer wieder Sätze ab, Rita, ihrem Mann Gerhard, Marie und Sven fehlen oftmals schlichtweg die Worte.

 
vangardist_mutterseele.-Lilly-Prohaska,-Florian-Stohr&Lisa-Weidenmüller_2_Foto-von-Edi-Haberl
 

Diese Worte, verfasst im Rahmen der Wiener Wortstaetten von Autor Thomas Perle, sind oftmals eiskalt ehrlich und bohren sich in die Zuschauer*innen. Schon im Frühjahr 2017 war “mutterseele. dieses leben wollt ich nicht.” unter der Regie von Lina Hölscher im Werk X-Eldorado zu sehen. Das Familiendrama wird nun also zum zweiten Mal erzählt – allerdings handelt es sich dabei um viel mehr als eine bloße Wiederaufnahme: Nicht nur durch die neue kuratorische Leitung des Haues, Cornelia Anhaus, bekommt das Stück hier und da “frischen Wind” – der schon in der Uraufführung imposant schlichte Bühnenraum wurde weiter an die Geschichten von Rita, Sven, Marie und Gerhard angepasst. Autor Thomas Perle selbst erklärt uns: “Ein Stück ist immer ein Prozess, Theater niemals in sich abgeschlossen. [Es] muss immer offen bleiben.”

 
vangardist_mutterseele.-Claudia-Carus,-Lilly-Prohaska&Lisa-Weidenmüller_Foto-von-Edi-Haberl
 

Doch das Grundensemble ist noch dasselbe, und bringt uns die Geschichte gekonnt nah: Lilly Prohaska verkörpert die egoistische, hoffnungslos verbitterte, alt gewordene Rita. Dabei schwebt sie stets in der Vergangenheit, verliert sich in Reue und Missmut. Als Zuschauer*in selbst wird man auf eine Zerreissprobe aus schamhaften Ekel, Mitgefühl und Angst vor solch einer Zukunft gestellt. Wie sehr ihre Tochter Marie unter der Mutter-Tyrannei leidet, zeichnet Lisa Weidenmüllers Performance ungeniert ab: Es ist ein Kampf, den Marie da mit sich selbst auf der Bühne führen muss – sie möchte nicht so Enden wie ihre Mutter, und dennoch scheint ihr Weg vorgezeichnet. Da scheint auch Liebhaber Sven (gespielt von Florian Stohr) nicht viel ausrichten zu können.

 
vangardist_mutterseele.-Lilly-Prohaska&Lisa-Weidenmüller_2_Foto-von-Edi-Haberl
 

Wie Ritas Wandlung zur selbstbemitleidenden Zynikerin sich vollzogen hat, zeigt auch Claudia Carus als junge Rita mit ihrem Ehemann Gerhard (Nikolaij Janocha), die zwei (Bühnen-)Stufen tiefer ihr Schicksal an sich vorüberziehen lässt. Alles geht der jungen Rita zu schnell, die Schwangerschaft, die Heirat, der Griff zum Alkohol. Die Leichtigkeit der Jugend wird ertränkt in Verpflichtungen, denen sie nicht gewachsen ist.

 
vangardist_mutterseele_Nikolaij-Janocha&Lisa-Weidenmüller_Foto-von-Edi-Haberl
 

Für alle Interessierten gibt es am 28.04. außerdem eine Publikumsdiskussion mit Autor und Darsteller*innen zum Stück und den inhaltlichen Themen. Restkarten für die Vorstellungen am 25., 27., 28. und 29. April sind hier erhältlich. Einen Trailer der letzten Runde “mutterseele. dieses leben wollt ich nicht.” haben wir hier für Euch bereitgestellt:

 

 

Text: Alex Baur

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