Darin ist müde, als wir ihn an einem heißen Nachmittag im Café Savoy treffen, um über die prekäre Situation von Sexarbeitern in Österreich zu sprechen. Der Aktivist und Lehrer aus Ankara hat selbst in verschiedenen Ländern in diesem Business gearbeitet, das zwar steuerlich meist Gleichbehandlung erfährt, in Gesellschaft und Politik aber noch immer als unredlich geächtet wird. Mittlerweile hat er den Beruf hinter sich gelassen und engagiert sich beim Verein „Red Edition“ für die Rechte von migrantischen Sexarbeitern in Österreich.
Sexarbeit wird von den meisten Leuten noch immer als Akt gesehen, bei dem ein männlicher Freier zu einer weiblichen Sexarbeiterin kommt, um sie für penetrativen Geschlechtsverkehr zu bezahlen. Warum hält sich dieses Bild so hartnäckig?
Vermutlich wegen der Kultur und dem Stellenwert von Religion in vielen Nationen der Welt. Wir leben in einer patriarchalen Gesellschaft, in der viele glauben, dass Sex eine passive weibliche und eine aktive oder dominante männliche Person voraussetzt.
Gibt es lokale Unterschiede, die sich auf die Branche auswirken?
Als Sexarbeiter bist du in Kontakt mit vielen Menschen aus allen möglichen Ecken der Welt. Als ich in Istanbul gearbeitet habe, war das als Crossdresser. Die meisten Kunden von dort kamen aus dem Nahen Osten und den arabischen Ländern, da bei ihnen Sexarbeit verboten ist. Sie kommen für Sextourismus in die Türkei. Für sie musst du allerdings wegen ihres sexistischen Weltbilds weiblich ausschauen – auch, wenn sie von dir penetriert werden wollen. Sie wissen, dass sie Sex mit einem Mann haben. Es sind die homosexuellen Männer, die das nicht offen aussprechen können, weil sie diese Ideologie schon so verinnerlicht haben. In Europa suchen diese Männer oft nach männlichen Sexarbeitern und achten dabei gezielt darauf, dass du nicht zu feminin wirkst.
“Auch wenn sie selbst Migrationshintergrund haben, diskriminieren sie dich.”
Und in Österreich schaut das ähnlich aus?
Hier sind die meisten Kunden ziemlich rassistisch. Es ist absurd. Sie sehen dich ja und sind freundlich zu dir, bevor es zum Akt kommt. Erst beim Bezahlen zeigen sie ihr wahres Gesicht, werfen dir das Geld hin, beschimpfen dich oder spucken dich an. Auch wenn sie selbst Migrationshintergrund haben, diskriminieren sie dich. Du bist schließlich Sexarbeiter und das gehört sich nicht – auch wenn sie gerade von dir penetriert wurden. Zusätzlich wirst du als Person of Color hier auch von weißen Sexarbeitern unterdrückt, weil sie Angst haben, dass du ihnen die Kundschaft wegnimmst.
Siehst du einen Zusammenhang von Nationalismus und dem Umgang mit Sexarbeitern?
In den Ländern, in denen der Nationalismus stark ausgeprägt ist, ist auch die Bereitschaft zu körperlicher Gewalt um einiges höher. In Österreich wirst du beschimpft oder angespuckt, in Ländern wie der Türkei oder Ungarn kann es sein, dass du deinen Arbeitstag nicht überlebst, weil du mit Messern angegriffen wirst. Auch in stark religiösen Ländern ist die Lage für Sexarbeiter sehr gefährlich, weil dich Menschen umbringen und dabei glauben, du hast es nicht anders verdient. Aber ja, Nationalismus bedeutet Gewalt.
“Wir wollen mehr gehört werden und es gibt die Möglichkeiten dazu.”
Gibt es irgendwo auf der Welt Beispiele von Ländern, in denen der Umgang mit Menschen in der Sexarbeit gut funktioniert?
In Neuseeland wurde Sexarbeit entkriminalisiert und die Situation scheint sehr gut zu sein. Ich habe die Hoffnung, dass wir in Österreich eines Tages auch an diesen Punkt kommen können. Immerhin gibt es schon Parteien, die Interesse an unseren Anliegen signalisieren und immer mehr auf uns zugehen.
Mit welchen Parteien funktioniert die Zusammenarbeit besonders gut?
Bei „Red Edition“ arbeiten wir hauptsächlich mit den Grünen. Die versichern uns, dass es ihnen ein Anliegen ist, Sexarbeit in Österreich ebenfalls zu entkriminalisieren und auf den Status einer normalen Arbeitstätigkeit zu heben. Von anderen Parteien, wie zum Beispiel der neuen Wiener Partei LINKS erwarte ich mir in Zukunft mehr Einbindung. Aber vielleicht werden sie noch mehr auf Sexarbeiter mit Migrationshintergrund zugehen. Eine Partei, die das nicht macht, kann sich jedenfalls nicht als progressiv oder links bezeichnen. Wir wollen mehr gehört werden und es gibt die Möglichkeiten dazu.
“Es gibt viel zu tun, aber ich bin optimistisch.”
Was muss sich also in Österreich als erstes ändern?
Das ist eine komplexe Frage. Immerhin gibt es kaum jemanden in Österreich, der nicht irgendwie direkt oder indirekt etwas mit Sexarbeit zu tun hat. Trotzdem lehnen es noch viele ab. Andererseits müssen sich auch die Medien verändern. Die Art wie berichtet wird, wer berichtet, wer zu Wort kommt – es ist in österreichischen Medien noch immer normal, die Herkunft von Tätern bei Gewalttaten zu nennen – und zwar vornehmlich dann, wenn es sich um Personen aus dem Ausland oder anderer Hautfarbe handelt. Ändert sich das, werden die Bewohner eines Landes vielleicht offener für Migration und im Weiteren auch für Sexarbeit. Und schlussendlich muss es auch in der Bildung behandelt werden und zwar fundiert und mit Einbindung von Menschen aus der Branche. Es gibt viel zu tun, aber ich bin optimistisch. Abschließend bleibt zu sagen: Wenn die Gleichberechtigung nicht für alle Menschen zugänglich ist, ist es keine Gleichberechtigung.