Es gibt Gemälde, die nicht klar ersichtlich machen, wo die Wand aufhört und wo der Pinselstrich anfängt, die die Grenzen der Leinwand ignorieren oder mit dem Urteilsvermögen der Betrachtenden spielen. In der Malerei von Offerus Ablinger, der in Wien lebt und an der Akademie der Bildenden Künste in Wien bei Ashley Hans Scheirl studierte, finden diese Interpretationsmöglichkeiten häufig im Weißraum statt, der die futuristisch anmutenden Werke umrandet. Zentrale Themen seiner Malerei sind Normativität in einem sich nicht normativ verhaltenden Umfeld, Queerness in diversen Perspektiven, gesellschaftliche Konstrukte und Körperlichkeit. Themen, die oft auf überakademisiertem Niveau dahinsiechen, ohne tatsächlich in der Debatte der Mehrheitsgesellschaft Fuß zu fassen. Deswegen fokussiert Offerus Ablinger subkulturelle Bewegungen und Räume, die die Geburtsstätten für eine progressive Gesellschaft der Zukunft sein können. Grund genug, um dem Künstler einen Weißraum zu bieten, den er diesmal mit Worten und Sätzen anstatt von Pinselstrichen gefüllt hat.
In deinen Gemälden – besonders in der aktuellen Serie „Trans/Masc” – beschäftigst du dich mit den Grenzen des menschlichen Körpers und deren potentiell möglicher Erweiterungen. In dieser Ausgabe beschäftigen wir uns hauptsächlich mit den Grenzen von Nationen und des menschlichen Verstandes. Siehst du da einen Zusammenhang?
Von meiner Perspektive aus betrachtet: Ja. In meiner künstlerischen Arbeit im Allgemeinen und in der angesprochenen Serie „Trans/Masc” im Speziellen setze ich mich mit Maskulinität in der queeren/schwulen Subkultur und dessen Streuwirkung auf den Mainstream auseinander. In meiner künstlerischen Analyse verwende ich dafür eine transhumanistische Science-Fiction-Schablone. Mit Hilfe von Körpererweiterungen, Körperoptimierungen, Modifikationen, Cyborgs und Technologie werden in meinen Gemälden gesellschaftliche Kodierungen aufgebrochen, kritisch hinterfragt sowie neu interpretiert. Begriffe wie „Biomacht” (Foucault), transhumanistische Utopien bzw. Dystopien, Ethik und Gender werden in meinen soziopolitischen Werken neu verortet. Dabei tun sich Fragen auf wie: Was ist ein biologischer Körper und wo fängt in gewisser Weise auch der Geist an? Was sind die Grenzen eines Körpers und die Grenzen des Verstands?
Beim Transhumanismus ist es natürlich naheliegend, sich mit einem futuristischen Setting auseinanderzusetzen. Wie könnte eine Zukunft aussehen bzw. wie könnten Grenzen aussehen, wird es Nationen geben, wird es Grenzen geben? Finden jene in der digitalen Welt oder in der physischen statt? Bei der Cyborgisierung z.B. geht es natürlich – was ist schon natürlich (lacht) – viel um Prothesen, Körpererweiterungen und Co. Vor Kurzem habe ich eine Doku über Prothesen gesehen, in der besprochen wurde, dass das Gehirn dafür eine Art eigene Empfindung entwickeln kann. Das Gehirn steht also in gewisser Maße in Wechselwirkung mit der Prothese. Das macht neue philosophische Felder auf: Was bleibt bzw. was ist denn eigentlich der Kern des Menschlichen, wenn alles ersetzt werden kann? Kann man einen “Geist” in einen mechanischen Körper hochladen? Ist der „Geist” (der Verstand) vom Gehirn trennbar? Kann das Gehirn technisch reproduziert werden? Kann man einen mechanischen Körper steuern und vor allem von wem wird er gesteuert? Foucaults Begriff der „Biomacht” würde sich hier als Denkschablone anbieten.
Im Transhumanismus gibt es viele utopische Ansätze. Eine utopische Welt, in der jedes menschliche Wesen selbstbestimmt über seine “Erweiterungen” und seinen Körper – und vielleicht auch geografische Grenzen oder Grenzen im Allgemeinen – bestimmen kann, ist auf jeden Fall zu ersehnen. Die Frage stellt sich allerdings auch, wer die treibende Kraft hinter Entwicklungen ist und wer profitiert von Grenzen, Nationen und Technik? Stellt man diese Fragen, wird man natürlich ziemlich ernüchternd zum Kapitalismus zurückkatapultiert.
Werden wir vielleicht noch etwas abstrakter: Was sind eigentlich Grenzen? Inwiefern sind sie in unserem Zusammenleben vielleicht auch legitim und wichtig?
Wenn du von Grenzen in diesem Kontext sprichst, denke ich dabei eher an das Wort „Regeln”. Wobei Grenzen natürlich auch Regeln definieren und umgekehrt. Abstrakt beantwortet würde das bedeuten: Eine Grenze hat immer zumindest zwei Seiten und beinhaltet somit auch die Frage auf welcher Seite stehe ich? Bei Grenzen muss also stets hinterfragt werden, wer jene zieht, definiert und was ist der Nutzen für wen daraus? Um Veränderungen zulassen zu können, braucht es die Bereitschaft, Möglichkeiten zuerst im Kopf zuzulassen. Somit geht es zunächst um die eigenen Grenzen in unseren Köpfen, welche durch Sozialisierung und Politisierung uns aufgeladen wurden. Genauso braucht es also den Willen für die Möglichkeit neuer Männlichkeitsbilder. Wir kämpfen mit dem Problem, dass Religion, tradierte Moralvorstellungen und Glaubensdogmen oftmals alles ablehnen, was sich aktiv mit Veränderung im Allgemeinen beschäftigt.
“Mein Queer ist nicht dein Queer!”
Grenzen leben vor allem im nationalstaatlichen Kontext von Ambivalenz. Sie schaffen die Freiheit weniger auf Kosten vieler – Inklusion und Ausgrenzung in einem. Glaubst du an eine Zukunft, in der die individuelle Freiheit mit dem Kollektiv zu vereinbaren ist? Wie schaut der Weg dorthin aus?
Hm, das ist eine Frage, deren Antwort vom Kapitalismus abhängt. Wird er in der Zukunft nach wie vor unser tragendes System sein? Wir können nur unseren so genannten „Wohlstand” bzw. „Lifestyle” weiter so führen, wenn wir andere ausgrenzen bzw. ausbeuten. Meiner Meinung nach hat die Kolonialisierung der Weltmächte gegenüber ärmeren Ländern nie aufgehört. Wir hier in Europa versuchen zwar Entwicklungshilfe zu leisten, die Bereicherung an Rohstoffen, um unser Wirtschaftswachstum voranzutreiben, geht aber damit einher. Mit der Kehrseite, dass diesen Ländern die Möglichkeit genommen wird, ihre eigene Identität zu finden und als ebenbürtiger Mitstreiter*Innen aufs Feld zu gehen.
Vor einigen Wochen war ja der „Earth Overshoot Day”. Wir würden dreimal so viele Rohstoffe benötigen, damit jeder auf diesem Planeten lebende Mensch in etwa den gleichen – mitteleuropäischen – Lebensstandard haben könnte. Und genau das zeigt für mich ganz klar die Grenzen des Kapitalismus im Zusammenhang mit Menschlichkeit auf. Auch Corona hat dem Kapitalismus Grenzen aufgezeigt. Wird der Mensch lernen? Kann der Mensch ein neues System erfinden, welches gerechter für alle ist? Und wie könnte es aussehen?
Ein weiteres Themenfeld von dir ist die queere Subkultur und deren Wirkung auf den Mainstream. Wie queer ist denn der popkulturelle Mainstream deiner Meinung nach heute schon und wie geht das zusammen mit autoritären und rückschrittlichen politischen Tendenzen in weiten Teilen Europas und der Welt?
Die queere Subkultur ist als eine eher internationale Szene anzusehen, die über Grenzen hinaus wirkt. Dennoch gibt es die Problematik, dass diese oft nicht über ihre eigene, akademisch geprägte „Bubble” der Großstädte (wie z.B. Wien) hinauskommt und genauso exkludierend ist. Ich sage gerne: „Mein Queer ist nicht dein Queer!” Wenn ich von schwuler Subkultur spreche, dann sind das meist sichere Orte, wie Bars oder kleinere Clubs. Eine schwule Subkultur ist nicht ein akademischer „Safe Space”, sondern ein sicherer Ort für Minderheiten. Oft sind in dieser Szene Menschen mit Migrationshintergrund bzw. (Queer) Refugees stark vertreten, die diese Freiräume für sich beanspruchen. Es sind jene intersektional diskriminierte Menschen dieser Subkultur, die ausschlaggebend für meine Arbeit sind. Und dann gibt es noch ein weiteres Queer, welches zum Lifestyle-Konzept erklärt wurde, wahrscheinlich auch durch „Pink-Washing” vorangetrieben (Hurra, Kapitalismus), dazu möchte ich mich enthalten (lacht). Es ist aber auf jeden Fall interessant, die Entwicklung zu verfolgen wie auf Veranstaltungen, wie z.B. der letztjährigen Euro Pride in Wien, das mehr einer Summer-Splash-Veranstaltung als einer Demonstration gleicht, die meisten nicht mal wissen, was es mit dem Christopher Street Day und der Stonewall-Bewegung sowie der AIDS-Epidemie in den 80ern auf sich hat. Das ist mir persönlich zu wenig politisch.
Andererseits ist es wichtig, gesehen zu werden und eine Masse zu bewegen und zu begeistern, vor allem in Hinblick auf autoritäre und rückschrittliche politische Tendenzen in immer noch weiten Teilen Europas und der Welt!
“Es ist wichtig achtsam zu sein und da ist jede und jeder einzelne gefragt.”
Wir leben in einer hochkomplexen Welt, in der immer wieder versucht wird, durch gewisse Konstrukte die Funktionsweise unserer Gesellschaften zu diktieren. Dagegen wehren sich immer mehr Menschen, vor allem auch im Zusammenhang mit toxischer Männlichkeit. Befindet sich die Maskulinität in einer Krise? Oder im Aufbruch?
Sowohl als auch! Ich denke, wir sollten aufhören, Bilder von toxischer Männlichkeit zu reproduzieren. Sie sind ein Ausdruck unseres patriarchalischen Systems, an dem der weiße Hetero-Mann an der Spitze steht. Natürlich geht das nicht von heute auf morgen. Wir sind alle geprägt von unserer Sozialisierung bzw. Politisierung, dem sozialen Umfeld sowie diesem patriarchalen System und nicht frei von diesen Zügen. Zum Glück werden Stimmen laut, die das thematisieren, unter anderem auch Veranstalter wie das Porn Film Festival Vienna, was ich als sehr wichtig empfinde, da vor allem im Genre Porno das Machtgefälle in unserem System klar zum Ausdruck kommt. Es geht um die Frage: Bist du bereit etwas daran zu ändern, wenn du diese Seiten an dir entdeckst oder aufgezeigt bekommst? Es ist wichtig achtsam zu sein und da ist jede und jeder einzelne gefragt. Im Idealfall sollte darüber offen gesprochen werden können, denn political correctness ist sexy und sollte die Norm sein!
Auf Demonstrationen oder politisch motiviertem Merchandise liest man immer wieder Sprüche die mit „The Future is …” beginnen und dann mit verschiedenen Messages enden. Die Zukunftsperspektive ist ein tragendes Element deiner Cyborgisierungen des menschlichen Körpers. Worauf würde dein persönlicher „The Future is …”-Spruch enden?
„The Future is … eine Geschichte, die wir jetzt schreiben!”, würde wohl am ehesten auf meinem Schild stehen. Wir brauchen neue Geschichten! Fiktive Welten, in der Kunst erschaffen, gingen des Öfteren der Technik und der Wissenschaft voraus, bevor diese in die Praxis umgesetzt werden konnten. Wir brauchen neue Geschichten, stellte Donna Haraway bereits in ihrem Essay “A Cyborg Manifesto ” von 1985 fest. Die Männlichkeitsbilder in meinen Darstellungen sollen Zeichen im Wandel einer neuen Zeit sein. Prägende Impulse kamen oft aus einer Gegenkultur, in deren Spannungsfeld sie sich zuerst etablierten und sich danach zu einem prägenden Teil des Mainstreams entfalteten.