Kleopatra badete regelmäßig in Eselsmilch, Kim Kardashian injizierte sich ihr eigenes Blut in die Gesichtshaut: Wer schön sein will, darf nicht zimperlich sein – heißt es. Doch wieso sind Menschen auf der ganzen Welt nur so verrückt danach? Und was passiert mit denjenigen von uns, die diesen Standards nicht gerecht werden? Darüber haben wir mit der Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Lechner gesprochen: An der Uni Wien forscht sie zu den Themen Body Shaming, Lookismus und Body Positivity …
Elisabeth, bevor ich dich gerade zum Interview getroffen habe, habe ich noch mal ganz genau im Spiegel nachgeschaut, ob meine Frisur auch wirklich sitzt. Warum tue ich das?
Das liegt vermutlich daran, dass wir in einer Gesellschaft leben, die einen enorm großen Wert auf Äußerlichkeiten legt. In der Fachsprache bezeichnen wir das als Lookismus. Das bedeutet, dass wir in der Gesellschaft aufgrund unseres Aussehens beurteilt und dann entweder bevorzugt oder diskriminiert werden. Wer als schön gilt, hat im Leben Vorteile: Man findet leichter einen Job, Partner*innen, oder hat eine bessere Gesundheitsversorgung. Menschen, die als hässlich oder gar „eklig“ gelten, werden hingegen ausgegrenzt.
Wenn ich schön bin, habe ich es also im Leben leichter?
Dazu müssen wir uns erstmal anschauen, was überhaupt als „schön“ gilt. Auf Basis meiner Forschung würde ich sagen: Das Schönheitsideal ist der Körper eines weißen, schlanken, heterosexuellen cis-Menschen. Dieses Ideal wird in die gesamte Welt exportiert und konkurriert vor Ort mit lokalen Vorstellungen. Spätestens seit dem Kolonialismus richtet sich das globale Schönheitsideal nach einer europäischen, weißen Norm – das ist der Status Quo, an dem Schönheit gemessen wird. Die Krux an der Sache ist aber: Um schön zu sein, braucht man vor allem Geld. Schließlich steckt eine riesige Industrie hinter den Produkten, die uns aufhübschen sollen. Schöne Menschen verdienen mehr, investieren dieses Mehr an Geld dann aber wieder in den Erhalt ihrer Schönheit. Das nennen wir bei Frauen den „Grooming Gap.“
“Wie Studien belegen,
sorgen sich etwa schwule Männer besonders um ihr Aussehen und leiden öfter an Essstörungen
als ihre heterosexuellen Geschlechtsgenossen.”
Sollte ich also aufhören, mir zur Entspannung abends eine Gesichtsmaske aufzutragen, weil ich damit das System der Schönheitsindustrie unterstütze?
Nein, das musst du nicht! Schönheit ist ein ambivalentes Konzept. Es ist überhaupt nichts Falsches daran, Make-up zu tragen, Beauty-Produkte auszuprobieren oder sich waxen zu lassen. Sich um die eigene Schönheit zu kümmern, kann ja auch Spaß machen, Identität stiften und eine Form der Selbstzuwendung sein. Auf einer individuellen Ebene werden wir die Diskriminierung, die mit Schönheit einhergeht, nämlich sowieso nicht lösen. Ein gutes Beispiel ist Make-up für Männer: Auf der einen Seite ist es toll, dass Geschlechterklischees aufgebrochen werden und jetzt immer mehr Menschen ohne Angst vor Hass mit Schminke herumprobieren können. Gleichzeitig bekommt die Schönheitsindustrie aber so neue Konsument*innen und kann plötzlich ganz neue Körperteile zu Problemzonen erklären.
Normalerweise verbinde ich Body Shaming und Schönheitsdruck im ersten Moment mit Frauenkörpern.
Das stimmt, denn das Schönheitsideal ist patriarchal geprägt. Das bedeutet, dass Frauen besonders oft auf ihr Aussehen reduziert und zu Objekten männlicher Blicke gemacht werden. Damit werden sie leider oft auch Opfer von Gewalt. Diskriminierung und Lookismus gibt es aber auch bei Männern. Wie Studien belegen, sorgen sich etwa schwule Männer besonders um ihr Aussehen und leiden öfter an Essstörungen als ihre heterosexuellen Geschlechtsgenossen. Das als biologische Veranlagung zu sehen, erachte ich als hochproblematisch. Ich würde eher sagen, dass queere Männer so sehr unter Schönheitsdruck und Dickenhass leiden, weil sie im Gegensatz zu heterosexuellen Männern nicht die unhinterfragte Norm darstellen, sondern durch ihre Homosexualität schon als „anders“ wahrgenommen werden. Dem Schönheitsideal eines heterosexuellen cis-Mannes zu entsprechen, kann sie vor weiterer gesellschaftlicher Ausgrenzung schützen. In meiner Forschung konnte ich ganz oft feststellen, dass zwar eine Grenzüberschreitung von der gesellschaftlichen Norm mitunter akzeptiert wird, allerdings nicht mehrere. Du bist ein schwuler Mann? Das ist okay, aber dann sei bitte auf keinen Fall dick und gliedere dich auch sonst gut in die Gesellschaft ein. Das gleiche gilt für Plus-Size Models: Für sie ist es okay – mit den richtigen Proportionen – „dick“ zu sein, und somit nicht dem schlanken Ideal der Leistungsgesellschaft zu entsprechen. Gleichzeitig sind diese Models aber perfekt enthaart, geschminkt, gestylt und jung.
“Der utopische, radikale Ansatz wäre wohl, das Patriarchat und
den Kapitalismus abzuschaffen
und einen Weg zur ‘Body Neutrality’ zu finden.”
Das bedeutet also, dass dieser Lookismus manche Menschen besonders hart trifft?
Genau, und zwar auf ganz unterschiedliche Art und Weise, überall auf der Welt. Schönheit wird global in Abgrenzung vom weißen, schlanken, cis-hetero-Ideal verhandelt – das ist die Norm, an der alles gemessen wird. Dicke Frauen weichen damit genauso vom Ideal ab wie schwule Männer oder nicht-weiße Menschen. Mehrfach von der Norm abweichende Menschen sind besonders von Lookismus betroffen. Dass Schönheit gar nicht frei und unabhängig von diesem europäischen Ideal gedacht werden kann, das über koloniale Strukturen und globalen Kapitalismus in die ganze Welt exportiert wird, muss man eigentlich als Gewalt bezeichnen.
Denkst du, es gibt eine Lösung, wie wir gegen dieses Schönheitsideal ankämpfen können?
Der utopische, radikale Ansatz wäre wohl, das Patriarchat und den Kapitalismus abzuschaffen und einen Weg zur „Body Neutrality“ zu finden. Das bedeutet, dass wir unsere Körper nicht mehr als „schön“, „eklig“, „dick“ oder „dünn“ sehen, sondern sie dafür schätzen, dass sie uns einen Zugang zur Welt ermöglichen. Wir würden also unsere Körper nicht mehr als Projektionsflächen für Schönheitsideale sehen, sondern uns miteinander gegen diese diskriminierenden Strukturen auflehnen. Im Grunde würden wir so das Konzept der Schönheit als Ganzes aushebeln.
Also planst du schon die Revolution gegen die Schönheitsindustrie?
In gewisser Hinsicht tue ich das wirklich. Schließlich werden wir ständig gegeneinander ausgespielt. Und das muss aufhören! Es wird nämlich immer Menschen geben, die der Schönheitsnorm mehr entsprechen als andere. Der erste Schritt zur Beauty-Revolution wäre deshalb, die bestehenden Normen zu überdenken. Man darf selbstverständlich weiterhin Lippenstift tragen und Modetrends folgen. Aber man muss dabei auf sich selbst Acht geben und sich bewusstwerden, dass die Schönheitsindustrie mit den eigenen Unsicherheiten Geld macht. Konkret können wir unseren Instagram-Feed ausmisten und all diejenigen Menschen rauskicken, die uns mit dem Reproduzieren einer unerreichbaren Norm ein schlechtes Gefühl geben. Denn wo die sozialen Medien oft verteufelt werden, sind sie auch ein enorm wichtiges Vehikel für den Gegendiskurs: Wer sich dort auf Body Positivity fokussiert, findet sich in einer wirkmächtigen Community wieder, in der alle Körper okay sind.