Meiner bescheidenen persönlichen Meinung nach bewirkt die derzeitige Krise auf lange Zeit hin einen programmatischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systemwechsel, wie er seit der Französischen Revolution nicht mehr da war: Die ganze wirtschaftliche Globalisierung wird langfristig in Frage gestellt werden.
Denn warum kann sich nicht jedes Land einfach nur auf das spezialisieren, was es am besten kann oder ein Alleinstellungsmerkmal hat? Warum müssen wir Dinge von anderen kaufen, die wir selbst auch haben oder produzieren können? Wenn wir es durch digitalisierte, industrielle Automation selbst billiger, fehlerfreier und schneller produzieren können, brauchen wir nicht über weite Strecken zu importieren, was zudem menschenrechtlich und ökologisch sinnvoller ist und bei etwaigen Personalausfall kein Produktionsproblem mehr besteht.
Die grundsätzliche Devise wird ein „think globally“ (in allen politischen, sozialen, humanitären und ökologischen Belangen) und „act locally“ (in vielen wirtschaftlichen) sein. Derzeit ist es genau umgekehrt. Highspeed Finanzspekulationen und -transaktionen werden besteuert und Wetten auf den Fall von Unternehmen, Branchen oder gar Ländern ausnahmslos verboten. Mit den dadurch eingenommen Billionen wäre dann auch der Weg für ein bedingungsloses Grundeinkommen frei.
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Durch die Krise wird zudem deutlich, welche Berufe wirklich von gesellschaftlicher Relevanz sind und daher auch besser bezahlt und gleichzeitig mit weniger Arbeitsstunden sowie mit zahlreichen zusätzlichen Sozialleistungen versehen sein müssen, um erstens jene zu würdigen und zu entlasten, die diese Arbeit jetzt schon tun und zweitens, mehr Anreiz für andere hierfür zu schaffen. Die Krise zeigt auch, auf welche Berufe eine Gesellschaft getrost verzichten kann, weil sie Werte bloß verschieben oder überhaupt keine generieren. Finanzjongleure, Rechtsverdreher, Consulter, überbezahlte CEOs, Fußballer und Stars werden an Ansehen und Einkommen verlieren.
Ein solcher Systemwechsel lässt sich aber nur realisieren, wenn die ganze Welt betroffen ist, wie es jetzt der Fall ist. Denn leider entstanden einige der größten sozialen Errungenschaften und Innovationen der Menschheitsgeschichte während und nach Kriegen und Krisen. Es liegt an der Gewohnheit, Bequemlichkeit und Lethargie der Menschen, dass gute Zeiten ein Anhalten am Ist-Zustand bewirken, ein Durchwursteln, solange es gut geht. Der Zwang zum Umdenken und für Innovationen ist nicht gegeben. Auf welch tönernen Füßen dieses Durchwursteln steht, merkt man jedoch jetzt, da selbst die größten Unternehmen fast keine Kapitaldecke haben, da so gut wie nirgends auf nachhaltige Geschäftsmodelle gesetzt wurde, sondern nur auf kurzfristigen Gewinn und Umsatzwachstum. Zudem werden sich die Menschen bewusst werden, was die eigentlichen wirklich wichtigen Dinge im Leben sind: Liebe, sozialer Zusammenhalt, Solidarität, gegenseitige Unterstützung, Improvisation, Kreativität, Schaffenskraft, Selbstvertrauen sowie reparieren, tauschen und ausleihen, anstatt ständig Neues zu kaufen.
Da das bisherige System nicht gottgegeben, sondern von Menschen erschaffen wurde, kann es von diesen auch geändert werden. So liegt es an uns, diese Krise als Chance zu begreifen und diese Utopie mit Leben und Taten zu erfüllen oder sich danach wieder in gewohnte wirtschaftliche Abhängigkeit und Konsumlethargie zu begeben. Der Weg wird ein langer, steiniger und mühsamer, doch darf er deshalb nicht einem Defaitismus á la „so ist halt das Marktgesetz“ oder „da werden die Superreichen und Konzerne aber nicht mitspielen“, geopfert werden.
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Unsere Gesellschaft soll durch Wort und Tat zu einem Umdenkprozess hingeführt werden. Dieses Umdenken darf aber nicht von außen vorgeschrieben oder auferlegt werden, sondern muss aus dem inneren Bedürfnis nach Veränderung und Verbesserung aus dem Inneren der Gesellschaft heraus gären und von allen gesellschaftlichen Schichten getragen werden. Meinen Ausführungen sollen auch keine Handlungsanweisung, sondern eine gedankliche Utopie sein. Utopien darf man ohnehin nie als 1:1 Blaupause verwenden, sondern nur als eine bescheidenen kleinen Denkanstoß verstehen.
Text: Peter Sodoma
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