Es ist eine leidige Diskussion, die sich länger hält als der undefinierbare Fleck auf dem letzten Darkroom-Outfit: Die Debatte um einen unmöglichen Claim, der sich auch im Jahr 2020 noch auf zahlreichen Dating-Profilen findet und nichts als oberflächliche Diskriminierung ist, die in einer progressiven Community nichts verloren haben sollte. Wir haben drei betroffene Personen nach ihren Erlebnissen und dem Umgang mit solch unappetitlichen Profiltexten befragt.
Metamorkid
Als „femininer Mann“ bzw. als eine Person, die sich nicht nach traditionell binärer Geschlechtsauffassung identifiziert, kann es sehr mühsam sein, in einer sogenannten Masc4Masc-Kultur seinen Platz zu finden. In einer Community, in der Drag Queens als Entertainer und politische Vorreiter fungieren, werden wir beim Dating oft aufgrund von vorgefertigten Geschlechterrollen und gesellschaftlichem Druck vernachlässigt.
Auf den Satz „No Fats, no Femmes or Asians“ reagiere ich meist gar nicht mehr und empfinde es einfach nur als schade, dass wir uns in einer Community, die so von Diversität und Akzeptanz geprägt ist, auf diese Dinge reduzieren. Wenn man an der Pride teilnimmt, empfinde ich es als schlichtweg falsch, auf Dating-Apps Rassismus, Body Shaming, Sexismus und Transphobie zu verbreiten. Zusätzlich wurden wir durch die #BlackLivesMatter Bewegung wieder darauf aufmerksam gemacht, dass systematischer Rassismus in vielen Sparten unseres Lebens noch immer tief verankert ist. Daher sollten sogenannte „Rassenfilter“ aus diesen Apps völlig verbannt werden.
“Als Drag Queen ist es mir ein großes Anliegen, der Gesellschaft zu zeigen, dass hinter der Maske ein Mensch steht, der Liebe verdient hat.”
Es gehört aber dazu gesagt, dass es auch viele Benutzer gibt, die anders sind. Auch durch die Popularität von männlichen Beauty-Influencern bzw. Drag Queens bemerkt man, wie immer mehr Leute verstehen, dass das Anerkennen der eigenen Feminität eine Stärke ist und durchaus attraktiv sein kann. Selbstliebe empfinde ich als etwas sehr Anziehendes. Um RuPaul zu zitieren: „If you can’t love yourself, how in the hell are you gonna love somebody else?” Als Drag Queen ist es mir ein großes Anliegen, der Gesellschaft zu zeigen, dass hinter der Maske ein Mensch steht, der Liebe verdient hat.
Benjamin Haller
„Warum dieser Bauch?”, „Du bist mir zu dick!”, „Lass dir doch deine überschüssige Haut mit einer OP wegmachen!”. Das alles sind Zitate aus meinem Chat-Verlauf. Nachdem ich mein ganzes Leben mit meinem Übergewicht Krieg führte, habe ich schlussendlich 25 kg verloren. Die Betonung liegt auf „verloren”, da sich im Zuge einer Depression mein Appetit eine Auszeit nahm. Aber auch danach gab es keine Veränderung bei der Anzahl an diskriminierenden Kommentaren und Ablehnungen. Erst war man zu dick und dann ist da zu viel Haut.
Man liest auf Dating-Plattformen oft schon in der Headline: #NoFats #NoFemmes #NoAsians. Am Anfang habe ich das nicht schlimm gefunden. Ich hätte mich selbst nicht attraktiv gefunden und dachte, derjenige weiß eben, was er will. Erst als meine eigene Oberflächlichkeit abgenommen und meine Körperwahrnehmung sich verändert haben, bin ich hier sensibler geworden. Das hat mich dazu gebracht, nachzudenken, ob und wie es sinnvoll wäre, hier Leute anzuschreiben und zu sensibilisieren, denn bis jetzt habe ich sie immer nur ignoriert. Aufklärung und Sensibilisierung werden meiner Meinung nach immer wichtiger, denn viel hat sich in den letzten Jahren nicht getan.
“Es braucht Toleranz, Offenheit und Courage.”
Ich lese es noch viel zu oft. Mir erscheint auch, dass ein Zusammenhang zwischen Bildungsstand bzw. sozialem Umfeld und Diskriminierung besteht. Und während ich den letzten Satz schreibe denke ich: „Diskriminiere ich gerade einen bildungsschwachen Mann mit schlechtem sozialem Umfeld?”. Wo beginnt Diskriminierung? Ich habe mir den Kopf über diese Frage zerbrochen und war sogar bei dem Gedanken, dass ich doch auch blonde Männer diskriminiere, wenn ich auf braunhaarige stehe. Ich glaube, dass man nach ethischen Kriterien halbwegs klare Grenzen ziehen kann, ab wann es sich um Diskriminierung handelt, aber unter der Hand, also auch auf den Dating-Apps, kommt es immer auf dein Gegenüber an. Wo hat derjenige seine Grenzen? Es braucht Toleranz, Offenheit und Courage.
Gérard Rabara
Zu versuchen im Internet “Liebe zu finden” kann eine besonders schmerzhafte Erfahrung mit einer sehr limitierten Erfolgsrate sein. Als junge Person of Color im Westen aufzuwachsen brachte so einige Herausforderungen mit sich. Kombiniert mit dem Versuch, seine eigene Sexualität zu akzeptieren, ist das nochmal ein ganz anderer Kampf. Obwohl ich vor der Zeit der Dating Apps zu daten begann, hab ich mich auf meiner Reise der sexuellen Entdeckungen über Dial-Up-Internet und Windows 98 ins Netz geworfen. Es war eine einfachere Zeit – manchmal zu einfach. Obwohl ich in einem diversen Umfeld mit einem internationalen Hintergrund aufgewachsen bin, hatte ich schrägerweise die zu sehr vereinfachte Welt des Gay-Internet-Datings akzeptiert. Meine größte Sorge dabei war, wie ein Szene-Bro zu wirken – der ich klarerweise nicht war – wodurch ich die Tatsache, dass Fragen wie: “Welche Art Asiate bist du?” oder: “Bist du Latino oder Asiate?” kein Small-Talk, sondern eine Einführung in ethnisch-basierte Ablehnung sind, völlig ignoriert hatte.
“Wann immer ich das auf einem Profil sah, konfrontierte ich sie damit.”
Mit der Weiterentwicklung der Technologie nahm auch der offensichtliche Rassismus zu. Je mehr Informationen die Leute über einen haben, desto diskriminierender sind sie. „No fats, no femmes, no Asians”, lauteten die Profile. Nachdem mir als brauner Mann in Europa rassistisches Verhalten nicht fremd ist, ist mir eine dicke Haut gegenüber solchen ignoranten Kommentaren gewachsen. Immerhin war das harmlos im Vergleich zum Kampf gegen Neonazis als Teenager – aber das ist eine Geschichte für einen anderen Tag. Während ich einerseits durch krassen Rassismus scrollte, wurde ich andererseits auch mit schmeichelhaften Botschaften von Tokenism und Exotik überschüttet. Das ist zwar weniger schmerzhaft, aber ebenso schädlich, weil es sich unter falscher Bewunderung verbirgt, angeheizt durch tiefere Unsicherheiten und kulturelle Vorurteile.
Ich glaube ich muss nicht erwähnen, dass ich sie alle gesehen und gedatet habe. Aber von all den dreisten Typen waren es die „No fats, no femmes, no Asians“, die mich am meisten getriggert haben. Wann immer ich das auf einem Profil sah, konfrontierte ich sie damit. Wenn jemand etwas dazu sagte oder es sogar andeutete, war ich nicht zu scheu, um ihnen meine Meinung zu sagen. Natürlich wird niemandem gerne gesagt, dass sie rassistisch sind – besonders wenn sie vom Gegenteil überzeugt sind. Sie würden es normalerweise als “Präferenz” definieren, aber wenn ich mindestens eine Person belehren kann, ist das für mich schon ein Gewinn.