Für ihre Diplomarbeit auf der Wiener Hochschule, die Graphische befasst sich Irena Pejčić, Grafikerin und Kommunikationsdesignerin in Wien, mit dem “Branding” der Frau. Frauen und weiblich gelesene Personen versehen die Teile ihres Körpers, mit denen sie am meisten zu kämpfen haben, mit dem eingebrannten Wort “Ware”. Durch das Brandmal will Pejčić Normen, Stigmatisierung und Diskriminierung aufzeigen, die Frauen und weiblich gelesenen Personen seit jeher metaphorisch ins Fleisch gebrannt werden. Ihre Partnerin in dem Projekt, Jolly Schwarz, hat die Arbeit fotografisch begleitet. Im Interview mit Vangardist berichten Irena und Jolly von der Entstehung ihrer Arbeit, davon, was es heißt, Frau zu sein und wie es mit grab ‘em by the pussy weitergehen soll.
Irena, willst du mal erzählen, wie dieses Projekt zustande kam?
Irena: Für die Diplomarbeit der Meisterklasse hieß es, wir müssten unbedingt ein Thema wählen, das uns schon lange beschäftigt. Für mich war es das Thema Frau. Seit ich über mein Selbst Bescheid weiß, habe ich mich nie zu 100 % als Frau gefühlt – aber auch nie als Mann. Ich hab das ewig beiseite geschoben, weil ich in meiner Heimat Vorarlberg nie wirklich das passende Umfeld dafür hatte. Als ich jedoch 2008 nach Wien zog und Leute kennenlernte, die meine Werte viel eher teilten, konnte ich den Fokus darauf legen. Das Oberthema des Jahres für die Diplomarbeit war “Konsum”. Das Wort “Branding” hat ja mehrere Bedeutungen – aus der Werbung kennen wir den Begriff: Wie verkauft sich eine Brand, eine Marke. Dann gibt es das Brandzeichen, mit dem Tiere markiert werden, als Kennzeichen für ihre Besitzer. So kam mir dann auch das Branding der Frau in den Sinn – als Ware in der Werbung, als Besitz unter dem Patriarchat. Die Auseinandersetzung mit dem Branding der Frau wurde meine Brücke dahin.
Wie kam es dann zu eurer Kooperation?
I: Ich wusste, dass ich richtig ausdrucksstarke Fotos will. Ich schieße zwar gerne selbst welche, bin aber Amateurfotografin. Jolly macht das seit 13 Jahren und deckt auch eine große Bandbreite ab, von Werbung bis hin zu Hochzeiten und Portraits, das fand ich schon immer sehr cool. Ich habe ihr damals bei einem Glas Sekt ein paar Moods gezeigt, die ich auf Pinterest zusammengesucht hatte. Sie wusste sofort, was ich wollte. Es war einfach so klar, dass nur sie das Projekt begleiten konnte.
Der Titel des Werkes lautet “grab ‘em by the pussy”. Warum?
I: Der Titel ergibt sich daraus, dass die Person, die diesen Satz geäußert hat, für all das steht, was uns als Frauen eigentlich schadet und wir uns genau deshalb den Satz zurückholen müssen. Ich vertrete den Ansatz, Wörter und Begriffe zu re-okkupieren. Es gibt gewisse Wörter, die manche Gruppen niemals sagen dürfen, da gibt es keine Diskussion, aber es gibt welche, die man noch zurückgewinnen kann. Ich mag zum Beispiel das Wort “Cunt”, auch wenn es oft als Schimpfwort verwendet wird. Ich würde dieses Wort niemals als Schimpfwort verwenden, ich lieb’s einfach!
Wie ging es dann mit dem Projekt weiter?
I: Ich habe über Instagram eine Story veröffentlicht, mit einem Appell an Frauen und weiblich gelesene Personen. Das hat sich wie ein Lauffeuer verbreitet, innerhalb kürzester Zeit hatten sich mehr als 30 Personen gemeldet.
Jolly: Die Leute sind ins Studio gekommen und Irena hat sie sofort in Liebe gehüllt. Sie hat jede Person erstmal oben ohne und mit einem “Hallo, hier bist du richtig” begrüßt. Damit war automatisch klar, hier ist alles frei, hier ist alles offen.
I: Ehrlichkeit und Offenheit waren uns das Allerwichtigste.
J: Wir haben die Personen gefragt, ob sie mit manchen Stellen ihres Körpers Probleme hätten. Manche von ihnen haben ihre “Problemstellen” angegeben, die wir dann mit dem “Brandmal” hervorhoben, weil wir gesagt haben, wir zeigen diesen Teil des Körpers in der Schönheit, die er hat.
Und wie ging es euch dann nach dem Shooting?
J: Am Abend nach dem ersten Shooting lagen Irena und ich da und fühlten uns so high vor lauter Endorphinen. Es war so schön zu sehen, wie viele Frauen über ihren Schatten gesprungen waren und sich darauf eingelassen haben.
I: Und sich dann auch nicht mehr anziehen wollten!
J: Weil wir die Anonymität der Teilnehmenden wahren wollen, können wir 90% unserer Behind-the-Scenes-Fotos nicht verwenden – weil es immer irgendwo Boobs, Butt, Vulva…
I: …und vor allem Face gibt!
J: Wir haben Bilder von Menschen, die oben angezogen und unten splitterfasernackt sind, während sie Fotos von der nächsten Person machen, weil die das so toll finden. Die sind so aufgeblüht teilweise! Es war absolut fantastisch.
Kann man diese Behind-the-Scenes-Fotos irgendwo sehen beziehungsweise finden?
I: Der Anonymität zuliebe werden sie nur für unsere Augen und die unserer Models zu sehen sein.
Auf Seite 30 deiner Diplomarbeit steht: “Einst Besitz, heute Ware. Wann darf ich Frau sein?” Was heißt es für euch, Frau zu sein?
I: Frausein ist für mich nichts Starres. Es ist wie ein lebendiges Gewebe, das sich stetig verändert, das heute so sein kann und morgen komplett anders. Für mich ist Frausein vielmehr ein Fühlen. Ich weiß nicht, woran ich das jetzt messe, aber es gibt Tage, an denen ich mich gar nicht so als Frau identifizieren kann, da kann ich mich aber auch als nichts anderes identifizieren. Frau sein heißt, viel kämpfen zu müssen, weil unsere Gesellschaft so ist, wie sie ist.
J: Ich glaube, ich könnte niemals sagen, das und das macht eine Frau aus, denn damit drücke ich einer Person ja einen Stempel auf. Ich habe nie Zweifel daran gehabt, dass ich Frau bin. Für mich war’s so: “Ich bin halt Frau.” Je mehr ich darüber gelernt habe, wie viele Möglichkeiten es gibt, sich weiblich zu lesen, desto wichtiger ist mir geworden, dass jede:r für sich selbst herausfindet, was für sie oder ihn richtig ist. Ich bewundere jeden Menschen, der das aktiv nach außen trägt.
Wird es in der Zukunft ein weiteres gemeinsames Projekt geben?
J: Wir wollen weiter an “grab’ em by the pussy” arbeiten, mehr und mehr unterschiedliche Personen dazuholen und es noch größer und diverser machen. Je mehr Frauen und FLINTA mitwirken, desto diverser wird das Projekt.
I: Ok, aber bevor wir uns verabschieden, will ich noch danke sagen. Danke an alle Beteiligten vor und hinter der Kamera. Von ganzem Herzen. Ohne euch wäre dieses Projekt nie zustande gekommen.
Photos
© Jolly Schwarz