Weihnachten steht vor der Tür. Ab geht’s in die Heimat, Mutti und Vati besuchen, die Feiertage im Pyjama auf dem elterlichen Sofa verbringen, tonnenweise Kekse in sich reinschaufeln, den Glühwein-Pegel stets bei etwa 1,0 Promille halten, möglichst wenig Bewegung und wieder Kind sein, zumindest ein bisschen. Man kehrt für ein paar Tage im Jahr an den Ort zurück, an dem man aufgewachsen ist, wo man die Schule besucht hat, seine Teenager-Jahre (v)erlebt hat…
Und da sind dann auch all die Leute, die ihr früher getroffen habt, die ihr mal Freunde genannt habt, mit denen ihr nach der Schule gechillt habt – auch wenn man damals noch gar nicht „chillen“ gesagt hat –, mit denen ihr zum ersten Mal geknutscht, gefummelt oder gevögelt habt. Ehrlich gesagt: Ich habe zu den meisten keinen Kontakt mehr, höchstens eine nicht gepflegte Facebook-Freundschaft. Vollkommen legitim, wie ich finde: Man verbringt eine gewisse Zeit miteinander, macht gemeinsam Erfahrungen, durchlebt auch mal hart Zeiten – und dann trennen sich eben manchmal die Wege. Es gibt auch Personen aus meiner Schulzeit, die ich auch viele Jahre später noch immer stolz zu meinen guten Freunden zähle, mit denen es jedes Mal wieder so ist, als hätte man sich erst gestern gesehen. Auf die freue ich mich. Jedes Jahr. Die dürfen gerne auf meine Couch kommen, mit mir Glühwein trinken und „The Grinch“ anschauen.
GOSSIP, GOSSIP UND NOCHMALS GOSSIP
Und dann sind da eben noch die anderen. Personen, zu denen mir mittlerweile jeglicher Bezug fehlt und die mich genauso wenig interessieren wie ich sie. Warum ich mich dennoch jedes Jahr aufs neue dazu breitschlagen lasse, zu diesen Klassentreffen zu kommen, weiß ich auch nicht so genau. Vielleicht ist es Charakterschwäche, vielleicht aber auch nur meine ungezügelte Leidenschaft für Gossip. Denn den gibt es auf diesen „Reunions“ (so oder so ähnlichen heißen dann die dazugehörigen Whatsapp-Gruppen …) mehr als genug. Er hat sein Studium geschmissen, sie hat ihren Freund mit seinem Bruder betrogen, er hat sich endliche geoutet, sie ist schwanger … Mein kleines Klatschpresse-Herz macht dabei natürlich großen Hüpfer. Eigentlich total absurd, schließlich denke ich das ganze Jahr oft kein einziges Mal an diese Menschen, nur um mich dann einen Abend auf den neusten Stand zu bringen und sie wieder ein Jahr zu vergessen.
GUTE SCHLECHTE VORSÄTZE
Die Gesprächsthemen nebst des Austauschs bezüglich der momentanen Lebenslage: Anekdoten aus der Vergangenheit, aus der Schulzeit, aus den Teenager-Jahren. Warum? Man hat sich einfach nicht viel mehr zu sagen. Ja, früher war schön, die Zeit war lustig, spannend aufregend, aber das ist nun auch schon eine Weile her. Wir sind erwachsen geworden, haben uns anscheinend in sehr unterschiedliche Richtungen entwickelt. Deal with it. Ich ärgere mich jedes Jahr erneut über mich selbst und nehme mir vor, dem Treffen im kommenden Jahr fernzubleiben. Vielleicht gehört das zum Abnabelungs-Prozess, zum Erwachsenwerden dazu? Oder ist das die Arroganz der Stadtkinder, die für ein paar Tage zurück ins Dorf kommen – ohne Bausparvertrag und Verlobungsring?