Tom und Joe haben sich vor elf Jahren ganz romantisch auf einer karibischen Insel kennengelernt. Seither teilen sie nicht nur ihr Leben miteinander, sondern auch einen Sex-Shop in Wien und ihre Vorliebe für Fetisch-Kleidung. Dort kann man den beiden alle Fragen stellen, die man sich normalerweise vielleicht nicht zu formulieren trauen würde.
„Es gibt einen Mann, der macht auch heute noch jedes Mal, wenn er vorbeigeht, ein Kreuzzeichen. Der kommt bis vor den Shop und macht dann die Handbewegung. Aber sonst ist er extrem freundlich, das ist ein Nachbar von uns“, erzählt Tom Wucherer. Mitten im fünften Wiener Gemeindebezirk führt er gemeinsam mit seinem Ehemann Joe Staples seit drei Jahren den Gay-Fetisch-Sexshop ,Gayt’. Von den Nachbarn werden sie mittlerweile akzeptiert. Dass sie ein Tabu mitten ins Grätzel holen, war ihnen damals schon bewusst. In ihrem Shop gebe es dieses aber nicht, man wolle über alles reden, heißt es. Zwischen Latex-Outfits, Sexspielzeug und BDSM-Dungeon verbringen die beiden gemeinsam ihren Tag, bevor sie abends zu ihrem Hund nach Hause gehen.
Lieber Tom, lieber Joe, ihr seid seit mittlerweile elf Jahren zusammen und seit zehn Jahren verheiratet. Ihr wart in der gesamten Zeit nur eine Nacht voneinander getrennt, habt gemeinsam einen Hund und führt euren Shop. Man könnte fast meinen, dass ihr ein konservatives Leben führt.
Tom: (lacht) Nein, es ist eine Sharing-Relationship, die wir führen. Also, es ist keine offene Beziehung, wie es andere Paare machen. Wir sind hauptsächlich monogam, aber wir haben genauso unseren Spaß. Den haben wir dann gemeinsam. Bei uns basiert alles auf Vertrauen, wir erzählen einander immer alles.
Joe: Manche Menschen würden unsere Ehe wahrscheinlich als Tabu-Beziehung bezeichnen, weil sie sich das überhaupt nicht vorstellen könnten. Andere hingegen würden sich diese Form der Beziehung wünschen, was auch nicht immer möglich ist. Das, was Tom und ich haben, ist schon sehr speziell und für uns genau richtig, deswegen funktioniert es auch schon so lange so gut.
Was bedeutet das Wort ,Tabu’ denn eigentlich für euch?
T: Puh, schwierige Frage. Gewisse Leute stehen auf bestimmte Dinge, auf die ich nicht stehe. Sich anpissen zu lassen, zum Beispiel. Aber ich würde auch zu dem nicht Nein sagen, wenn es passiert. Ich habe viele Sachen, von denen ich sagen würde, dass ich sie nicht mache. Aber oft ist es so, dass – wenn man es einmal probiert hat – es nicht so schlecht ist, wie man es sich vorgestellt hat.
J: Ich denke, dass viele Menschen das, was wir machen, als Tabu sehen würden. Die Art und Weise, wie wir unsere Beziehung führen, ist bestimmt für viele Menschen undenkbar. Ich glaube, das ist etwas extrem Individuelles.
Ihr führt euren eigenen Fetisch-Sex-Shop. Gibt es Dinge,
die selbst eure Kund:innen hinter vorgehaltener Hand ansprechen?
T: Also, für uns gibt es keine blöden Fragen. Es kommt vor, dass mich Kund:innen fragen, wie ich mich selbst reinige, weil das etwas ist, was nicht ein:e jede:r weiß. Das ist etwas, das einem vielleicht niemand erzählt. Und für mich ist es selbstverständlich, dass ich ganz genau erkläre, wie ich mich ausspüle. Andere Leute sehen das als Tabu – einerseits, darüber zu reden, andererseits aber auch, danach zu fragen. Das ist genau der Grund, warum wir unseren Shop haben. Wenn mir damals jemand gewisse Dinge erklärt hätte, dann wären bestimmte Situationen anders verlaufen. Uns ist es deswegen enorm wichtig, dass wir diesen Safe Space haben, wo wir über alles reden können. Metall-Cock-Ringe sind zum Beispiel auch so ein Thema. Viele haben Angst, dass sie den Ring nicht mehr runterkriegen und vielleicht ins Spital müssen und der dann mit der Flex runtergeschnitten werden muss. Und dann sag ich halt: „Probier ihn jetzt, hier im Shop, an.“ Den kann ich einfach reinigen und desinfizieren. Wenn man den Leuten nicht die Möglichkeit gibt, so etwas anzuprobieren, dann werden sie nie wissen, wie es sich anfühlt.
J: Ich musste jetzt gerade innerlich lachen, dass dir Tom erzählt, dass wir Kund:innen Metall-Cock-Ringe anprobieren lassen. Aber es ist ja so: Wir lassen Leute Metall anprobieren, wir desinfizieren das, sie verlassen unseren Laden glücklich. Das ist genau der Punkt unserer Geschichte. Frag, was auch immer du wissen möchtest. Es gibt nichts, worüber wir nicht sprechen würden, weil es uns wichtig ist, dass unsere Kund:innen glücklich und sicher sind.
Inwiefern ist Sicherheit bei euch ein Thema?
J: Wir veranstalten demnächst auch Workshops in unserem Keller. Also zum Beispiel Bondage-Seminare. Weil: Möchte ich gefesselt und an die Decke gehängt werden? Ja, bitte! Ich würde das lieben! Aber ich würde es nicht Tom machen lassen (lacht), weil er nicht weiß, wie das geht. Deswegen will ich, dass die Menschen, die zu uns kommen, ihre Kinks entdecken und ausleben können, ohne Schaden zu nehmen.
T: Bei uns kann man sich deswegen auch auf STDs testen lassen. Gemeinsam mit dem Aids Hilfe Haus haben wir ein Programm entwickelt. Das ist total wichtig, denn es gibt Leute, die nicht unbedingt ins Aids Hilfe Haus gehen wollen – die können zu uns kommen. Dann sieht es aus, als würdest du einfach nur zu uns einkaufen gehen, aber lässt dich eigentlich testen. Außerdem machen wir so das Testangebot leichter verfügbar, weil sich unsere Kund:innen spontan testen lassen können. Es gibt immer noch viele Menschen, die nicht gut informiert sind, und da wollen wir bewusst aufklären.
„Ich habe mich wirklich überwinden müssen, selbst mitzumachen, weil ich damals nichts mehr gehasst habe, als auf einer Bühne zu reden. Das habe ich
als Herausforderung gesehen.“
Ihr seid nicht ausschließlich ein Sex-Shop. Im Keller habt ihr euren Dungeon, und ihr habt auch eine Kunstgalerie. Welche Rolle übernimmt die Kunst in eurem Laden?
J: Ich wollte schon immer eine Kunstgalerie haben. Mit unserem Shop hatten wir einfach den Platz dafür. Fetisch-Kunst, die bei uns von verschiedenen Künstler:innen ausgestellt wird, ist teilweise auch Pornografie. Aber ich finde es eben wichtig, weil Kunst es erlaubt, gewisse Tabus zu brechen.
T: Wir haben auch einmal ein Model da gehabt, das von verschiedenen Künstler:innen skizziert wurde. In unserem Dungeon wollen wir auch Live-Acts und Veranstaltungen hosten.
Tom, du wurdest 2017 zum Mister Fetisch gekürt. Wie kam es dazu, und hat es dich Überwindung gekostet, öffentlich zu deinen Vorlieben zu stehen?
T: Über den LMC Vienna, einen Fetisch-Club und Verein hier in Wien, sind wir in die Szene gekommen. Da gibt es verschiedene Contests wie Mister Puppy, Mister Fetisch, Mister Leather und dementsprechend viele Partys. Wir waren dann auf einigen internationalen Fetisch-Events, und es hat mir sehr imponiert, dass die Leute, die den Titel bekommen, sehr viel für die Community tun. Ich habe mich wirklich überwinden müssen, selbst mitzumachen, weil ich damals nichts mehr gehasst habe, als auf einer Bühne zu reden. Das habe ich als Herausforderung gesehen. Und darauf bin ich auch wirklich stolz. Aber öffentlich zu meinen Vorlieben zu stehen ist für mich kein Problem. Ich stehe auf mein Leder, ich stehe auf meinen Latex.
„Ich habe als Jugendlicher schon das Innenfutter meiner traditionell österreichischen Lederhose rausgeschnitten,
weil ich das Leder auf meiner Haut spüren wollte.“
Wie war eure erste Begegnung mit Fetischkleidung?
J: Ein Freund von mir wollte ein Fotoshooting in Latexkleidung machen. Zu dem Zeitpunkt hatte ich so etwas aber gar nicht, deswegen habe ich mir ein Outfit ausgeliehen. Das ganze Fotoshooting hindurch waren wir sehr aufgeregt, also sichtlich aufgeregt, wenn du weißt, was ich meine. Und wir waren überrascht. Wir wussten zu dem Zeitpunkt gar nicht, dass wir auf Latex stehen. Das ist auch etwas, das in unserem Shop passiert. Es gibt viele Menschen, die sich total unsicher sind, was Fetischkleidung anbelangt. Aber dann können sie das hier einfach anprobieren und schauen, ob es ihnen gefällt.
T: Bei mir war es Berlin, da war ich so 17 oder 18 Jahre alt. Ich war in einem Laden, und der Verkäufer hat gewusst, dass ich mir keine Lederhose leisten kann. Aber er hat sie mir trotzdem hingehalten und gesagt: „Probier sie an.“ Und das war für mich das Ding: Auf einmal steht man da, komplett in Leder, weil der Verkäufer dir alles gibt. Aber als Kärntner habe ich mit Lederhosen ja schon ein bisschen Erfahrung gehabt. Ich habe als Jugendlicher schon das Innenfutter von meiner traditionell österreichischen Lederhose rausgeschnitten, weil ich das Leder auf meiner Haut spüren wollte.
Gibt es ein bestimmtes Thema, das für euch vor einiger Zeit noch als Tabu galt
und das ihr jetzt überwunden habt?
J: Elektrische Stimulatoren waren für mich vor einigen Jahren noch ein absolutes Tabu. Damit hätte mir niemand zu nahe kommen dürfen. Dann habe ich es ausprobiert, damit gespielt und heute mag ich es. Also für mich ist es so, dass auch, wenn etwas tabu ist, ich nicht von Haus aus sofort Nein sagen würde.
T: Ich habe früher auch zu Dingen Nein gesagt, sie dann doch ausprobiert und cool gefunden. Also, ich habe heute ein offeneres Mindset, was das angeht.
Photos
© Ryan Noel | @dasryno