Taboo Edition

“Nicht alle Huren hier haben Zuhälter” – Wie queere Sexarbeit tabuisiert wird

Falsche Annahmen über Sexarbeit sind weit verbreitet. Besonders queere Sexarbeit wird noch immer tabuisiert und oft falsch dargestellt. Shiva Prugger (sie/ihr), besser bekannt unter dem Pseudonym Birgit la Sublime, arbeitet seit mehreren Jahren als Domina in Wien und ist im Vorstand der 2020 gegründeten Berufsvertretung Sexarbeit Österreich (BSÖ || IG: kontakt6arbeit). Caspar Tate (er/ihm, @caspar_tate) ist trans-männlicher Sexarbeitsaktivist und essenzieller Part von Trans*Sexworks, einem Projekt von und für trans und nicht-binäre Sexarbeitende in Berlin. Im VANGARDIST-Interview verraten die beiden, was sie an verbreiteten Stigmatisierungen der Sexarbeit stört und welche zukünftigen Entwicklungen sie sich bezüglich queerer Sexarbeit wünschen.

Shiva, wie sieht dein Arbeitsalltag als Cis-Frau im Dominastudio aus?

Shiva: Ich arbeite seit mehreren Jahren in meinem eigenen Lokal, nur auf terminlicher Basis. Es ist in meinem Segment realistisch, ein bis zwei Kund:innen pro Tag zu haben, wobei das langfristig schon emotional fordernd ist. Mir ist wichtig, vorab mit meinen Besucher:innen abzuklären, was sie sich vorstellen, damit auch ich abschätzen kann, ob ich ihre Wünsche erfüllen kann. Wenn jemand zu mir kommt, gibt es zuerst einmal ein Vorgespräch, dann folgt meist eine einstündige Session und danach ist noch Zeit zum Duschen und zum Reflektieren des Erlebten. Ich muss oft nach dem Termin sehr viel reinigen und wegräumen. Als Domina habe ich vorrangig männliche Kunden, aber es kommen ab und an auch Paare zu mir und unlängst das erste Mal eine Frau. Generell kann gesagt werden, dass Frauen – egal, wie orientiert – viel seltener bezahlte Sexdienstleistungen nachfragen und ihre Wünsche eher privat und unbezahlt ausleben. Grundsätzlich können meine Dienste aber von allen Menschen in Anspruch genommen werden.

Der Alltag variiert in jedem Sexarbeitssegment. Wie äußert sich speziell
Queerness in der Sexarbeit deiner Erfahrung nach, Caspar?

Caspar: Natürlich gibt es auch in der Sexarbeit sehr viel queeren Sex – queere Sexarbeiter:innen und queere Kund:innen. Ich würde sogar sagen, dass jede Form der Sexarbeit abseits der Heteronormativität ist. Es wird meist nur von cis-weiblicher Sexarbeit gesprochen. Ein großer Teil der Sexarbeit ist ist das aber nicht. Die meisten Beratungsstellen für Sexarbeitende erhalten nur Förderungen für Frauen und sind aus diesem Grund ausschließlich für Cis-Frauen. Deshalb gibt es kaum Kontakt zu männlicher und Trans-Sexarbeit.

Caspar Tate

Queerness spielt also eine größere Rolle, als gemeinhin angenommen wird. Warum wird Sexarbeit im 21. Jahrhundert dann noch so binär gesehen?

S: Das liegt meiner Meinung nach am Angebot und an der Nachfrage.

C: Ich denke, dass wir immer noch in einer binären Welt leben. Die Sexarbeitsverbände tun aber derzeit nichts gegen diesen Cis-Sexismus. Man müsste halt Betreiber:innen auf ihre Trans- und Queerfeindlichkeit ansprechen. Wenn wir schon dabei sind: Rassismus ist auch massiv vertreten in der Branche. 

 Wie kann die angesprochene Heteronormativität in der Sexarbeit
weiter aufgebrochen werden?

S: Es braucht mutige Anbieter:innen, die den Markt auffrischen. Meiner Meinung nach kann Heteronormativität aufgelöst werden, indem offen darüber gesprochen wird und sich queere Menschen trauen, als Sexdienste professionell anzubieten.

C: Ich fände es toll, wenn Plattformen, Studios, Bordelle etc. nicht nach Geschlecht getrennt wären. Das würde zu mehr Berührungspunkten unter Sexarbeitenden führen. Kund:innen hätten dann auch eine Auswahl. Vielleicht möchte ja ein Kunde mal eine Trans-Person buchen, statt immer eine Cis-Frau. Diese Trennung ist auch eine Form der Diskriminierung in der Sexarbeit. Vor allem Cis-Frauen haben Zugang zu sichereren Arbeitsplätzen wie Bordellen, Studios, Agenturen und so weiter. Queeren Sexarbeiter:innen bleibt oft nur übrig, alleine übers Internet zu arbeiten. Sie haben wenig Kontakt zu Kolleg:innen und können die Kund:innen erst beim Treffen sehen. Das führt zu Isolation, weshalb Projekte wie Trans*Sexwork so wichtig sind.


„Die Angst ist zu groß, aus einem Bordell oder
einem Strip-Club zu fliegen, weil man trans ist. “


Durch die binäre Trennung der Institutionen ist Sexarbeit oft exkludierend für queere Personen. Wo müssen Queers ihre Dienstleistungen also anbieten, um arbeiten zu können? 

C: Für männliche Sexarbeit wird in Deutschland vor allem die Internetseite HUNQZ benutzt. Transpersonen findet man überall. Die meisten arbeiten auf dem Straßenstrich, im Bordell, im Stripclub, im Porno-Bereich oder als Escorts. Trans und nicht-binär ist ja sehr vielfältig. Manche arbeiten auch im sogenannten „Drag”. Das bedeutet, sie arbeiten nicht als ihr echtes Geschlecht. Ich kenne einige Trans-Männer die sich zum Beispiel als Frauen ausgeben, da sie sich als Trans-Personen nicht outen können. Die Angst ist zu groß, dann aus einem Bordell oder einem Strip-Club zu fliegen, weil man trans ist. 

Shiva Prugger

Unsere aktuelle Ausgabe dreht sich um Tabus. Tabu und Stigmatisierung von Sexarbeit gehen Hand in Hand. Welche Formen seht ihr gegenwärtig am problematischsten?

S: Ich glaube, das Schlimmste ist, dass man uns unterstellt, wir würden nicht freiwillig unserer Tätigkeit nachgehen und dazu gezwungen werden. Für die allermeisten von uns trifft das einfach nicht zu. Das sind die Klischees, die seit jeher bedient werden. Die Leute haben wenig Ahnung davon, wie es in der Sexarbeit abläuft, und deswegen gibt es Mythen, die aber nicht der Realität entsprechen. Auch wir Sexarbeitende untereinander, die wir in ganz unterschiedlichen Sexarbeitsbereichen tätig sind, wissen oft nicht exakt darüber Bescheid, wie der Alltag der Kolleginnen abläuft. Und ja, die wenigsten aller Huren haben Zuhälter*.


„Generell werden Trans-Personen oft von Beratungsstellen ausgegrenzt oder erleben dort Diskriminierung.“


Ist das bei queeren Sexarbeitenden ähnlich?
Mit welchen spezifischen Problemen haben sie zu kämpfen, Caspar?

C: Es geht hier einfach um Mehrfachstigmatisierung und -diskriminierung. Die Stigmatisierung als Sexarbeitende ist nicht das Einzige, mit dem queere und Trans-Sexarbeiter:innen zu kämpfen haben. Die spezifische Diskriminierung ist sehr unterschiedlich. In der Trans-Community erfahren viele Sexarbeiter:innen Stigmatisierung aufgrund ihrer Beschäftigung, und unter Sexarbeiter:innen erfahren sie dann Transfeindlichkeit. Ich denke, mann-männliche Sexarbeit wird oft übersehen oder vielleicht sogar absichtlich ignoriert. Es gibt wenige Beratungsstellen und wenig Unterstützung für diese Männer und Jungs. Lesbischen Sexarbeiterinnen, die sich mit männlichen Kunden treffen, wird sehr oft ihre Sexualität abgesprochen. Meine Mitbewohnerin ist zum Beispiel ist cis und lesbisch und schon seit sehr vielen Jahren in der Sexarbeit tätig. Sie hat schon fast überall in der Industrie gearbeitet und hört ständig diskriminierende Witze und Bemerkungen über ihre Arbeit und Identität. Trans-Frauen erleben viel Trans-Misogynie, die oft in Gewalt umschlägt. Trans-männliche und nicht-binäre Sexarbeit wird kaum irgendwo erwähnt. Generell werden Trans-Personen oft von Beratungsstellen ausgegrenzt oder erleben dort Diskriminierung. Viele Queers fangen mit Sexarbeit an, weil sie sich in prekären Lebenslagen befinden. Es gibt auch viele Queers aus Osteuropa, die nach Deutschland immigrieren, um hier sicher leben zu können. Sie haben aber kein Anrecht auf Unterstützung durch den Staat. Also geht man anschaffen!

Was muss sich hinsichtlich Sexarbeit eurer Meinung nach ändern?
Was wünscht ihr euch zukünftig von der Gesellschaft? 

S: Beratungsstellen sollten für alle Sexarbeitenden da sein – egal, ob jemand männlich, weiblich oder queer ist. Leider wird Sexarbeit gesellschaftlich meist als eine Arbeit wahrgenommen, die nur von Frauen ausgeübt wird. Ich wünsche mir von der Gesellschaft, dass man offen ist, hinschaut und den Sexarbeitenden die Möglichkeit bietet, sich gesellschaftlich und vor allem politisch einzubringen. Man soll mit uns sprechen und nicht über uns. Dass es auch queere Personen gibt, die mit Sexarbeit ihr Geld verdienen, wird oft übersehen. Männliche Sexarbeit wird zudem kaum kontrolliert. Ich halte queere Sexarbeit derzeit – noch – für ein recht kleines Arbeitssegment. Im Zeitalter des Internets ist es aber immer mehr Menschen möglich, sich über queere Angebote zu informieren. Wenn immer mehr Menschen queere Sexdienstleistungen anbieten, werden diese auch zunehmend in Anspruch genommen werden.

C: Ich stimme Shiva zu. Ja, hört Sexarbeiter:innen zu und beschäftigt euch mit unseren Kämpfen. Diskriminierung durch Beratungsstellen muss endlich enden. Ich wünsche mir auch, dass Beratungsstellen sich für alle Geschlechter öffnen und sich zu queeren Themen fortbilden. Ich wünsche mir zudem, dass Bordelle, Laufhäuser und Agenturen sich diverser aufstellen. Das ist auch fürs Geschäft gut. Es wäre toll, wenn Kund:innen eine wirkliche Auswahl hätten und nicht nur Frauen im Bordell arbeiten, die weiß, im selben Alter und normschön sind. Gleichzeitig muss ich Shiva in einigen Aspekten widersprechen, denn queere Sexarbeit ist kein kleines Segment. Queers, vor allem Trans-Personen, sind schon seit langer Zeit stark in der Sexarbeit vertreten, vornehmlich auf Grund von prekären Lebenssituationen. Vieles findet einfach in ganz anderen Räumen und Communitys statt als die Cis-hetero-Arbeit. Cis-hetero-Sexarbeiter:innen haben keinen Zugang zu den Stricher-Kneipen, Cruising Areas, Chemsex-Partys, Saunen, Clubs und Events, auf denen Queers anschaffen. Auch die Internetplattformen sind andere. Cis-hetero-Sexarbeiter:innen haben oft wenig Kontakt zu queeren Sexarbeitenden und deren Szene. Daher gibt es nicht einmal Verständnis für Personen, die nicht mitredet können oder gehört werden. Hoffentlich ändert sich das bald!

Pictures
Caspar Tate: © Ian Clotsworthy
Shiva Prugger: © Jasmine Bannauer


Weitere Artikel dieser Ausgabe...

Taboo Edition

Issue #86:
The Taboo Edition

Lang lebe das Denkverbot! Der eigene Dating-Chatverlauf ist eine bizarre...

#Magazine #TABOO

Taboo Edition

Druckfrisch auf deinen Couchtisch: Unsere TABOO

Taboo Edition

“Keeping Up With The Taboos” –

Tabus sind ungeschriebene Gesetze, die innerhalb einer Gesellschaft oder Gruppe...

#TABOO

Taboo Edition

Lang lebe das Denkverbot! – Fünf moderne

Aktualisiert am 25. Januar 2022, 15:19 Der eigene Dating-Chatverlauf ist...

#Beauty #Racism #Sexuality #TABOO

Taboo Edition

The Queer Ambiguous Mind

Nicola Biscan photographed by Ivana Biscan,produced by INTERXENIAL. Der Rorschach-Test...

#Fashion #Shooting #TABOO

Taboo Edition

The Sin of Me Time – Wie wir zu Workaholics

8 Uhr früh. Der Wecker klingelt. Wach bin ich schon...

#Mental Health #selfcare #TABOO

Taboo Edition

Vangardist x TK Maxx – Das große Christmas

Vangardist und TK Maxx sorgen für maxximales Weihnachtsg'fühl Weihnachten naht,...

##Gewinnspiel ##TKMaxx

Taboo Edition

The Stigma of Fetish – Ein Ehepaar zwischen

Tom und Joe haben sich vor elf Jahren ganz romantisch...

#stigma #TABOO

Taboo Edition

Operationen die Traumata verursachen –

Wofür steht das I in LGBTQIA+? Für Inter*-Menschen oder Menschen...

#Gender #identities #INTER #lgtbqia

Taboo Edition

Editor’s Choice – Mit diesen Looks geht

Valentino Hoodie Nuffinz Pants Mr P. Socks Balenciaga Sneakers Story...

#brands #Christmas #decisions #FAIR #fair wear #Fashion #fast #season