Dicke Tränen kullerten über seine Wangen. Tropfen, vollgepackt mit Emotionen, aus den Tiefen der menschlichen Seele. Und alle machten „ohh“ und „du Armer“, und nach 10 Minuten war dann alles wieder gut. Und in 10 Jahren weint er eh nicht mehr, denn dann ist er schon 18. Also erwachsen, und ein Mann, und dann weint man nicht mehr -oder nur, wenn es einen wirklich guten Grund gibt.
Aber wieso bekommen Männer von der Gesellschaft eingetrichtert, sie dürften nicht weinen? Umfragen zufolge besteht ein direkter Zusammenhang zwischen dem Alter und der Häufigkeit, zu weinen. Je älter ein Mann wird, desto weniger weint er. Und desto weniger darf er weinen – das gibt zumindest die Gesellschaft vor. Im Schnitt weinen Männer etwa zweimal im Monat, meistens, wenn etwas Schlimmes passiert ist – das Klopapier ist alle oder so.
Woher kommt das?
Wir werden in dem Glauben erzogen, dass es genau so richtig sei: Mädchen weinen, auch wenn sie Frauen sind, Jungs weinen auch, aber nicht, wenn sie Männer sind. Dabei ist weinen extrem gesund – denn wenn die Dämme brechen, dann spülen sie direkt eine Menge Unrat und Stress aus dem Körper. Studien zeigen, dass durch Wut, Trauer und Eifersucht bestimmte Stoffe freigesetzt werden können, die krankmachen.
Einmal kräftig geweint und alles ist raus.
Also, weint. Weint bitte, was das Zeug hält. Heult Rotz und Wasser, soviel eure kleinen Knopfaugen hergeben. Lasst alles raus, was raus will, und auch wann es will. Und wenn ihr dann am Ende, unter den letzten Schluchzern, durch den Tränenschleier blickt und euch doch schämt, dann denkt bitte daran: Auch Jungs dürfen weinen.
Denn wenn ich eines weiß, dann, dass Jungs überall auf der Welt heimlich weinen, und Mädchen heimlich masturbieren. Und umgekehrt. Und, dass Jungs auch keine Lust auf Sex haben können, und Mädchen Pornos mögen. Dass Mädchen dick und dünn, und Jungs dünn und dick sein können. Und, dass manchmal alles zu schwer ist, um nicht doch eine kleine Träne zu vergießen.
Text: Stephan Otto