HIV kann jeden treffen. Was ein Positivstatus für das eigene Leben bedeutet, hängt stark vom jeweiligen sozialen Umfeld ab. Während die einen in der Lage sind, offen mit den Herausforderungen umzugehen, ohne massive Diskriminierung befürchten zu müssen, käme für andere das Outing dem gesellschaftlichen Selbstmord gleich. Die Helden dieser Ausgabe heißen Philipp, Wyndham und Wiltrut.
Ihr gespendetes Blut ist in dieses Magazin geflossen. Drei Menschen, die eins gemeinsam haben: Sie sind HIV+. Ihre Geschichten könnten
dafür nicht unterschiedlicher sein.
Philipp, 35
Philipp Spiegel ist ein Deckname. Die Person hinter dem Namen zieht es vor, anonym zu bleiben.
„WER BIST DU?”
Im Moment möchte ich nicht allzu viel über meine Person sagen. Das Einzige, was ihr zu wissen braucht, ist: Ich bin heterosexuell und HIV-positiv.
„WARUM HAST DU DICH HIERZU ENTSCHLOSSEN?”
Da ich mich erst relativ kürzlich infiziert habe, bin ich immer noch damit beschäftigt, mit diesem neuen Teil meines Lebens zurechtzukommen. Ich bin momentan dabei, mein Leben neu zu bewerten, also wer ich bin und wie ich in Zukunft mit der Krankheit umgehen werde. In Anbetracht dessen hat mein Leben vor der Diagnose weitgehend an Bedeutung verloren. Aus Angst vor möglichen Folgen – sowohl privaten als auch beruflichen – für mich selbst, meine Freunde und Familie ziehe ich es vor, anonym zu bleiben.
Wyndham Mead, 29
Der in Stockton, Kalifornien geborene Wyndham zog ursprünglich nach New York, bevor er mit 23 nach “freakin’ Berlin” übersiedelte, wo er seit vier Jahren lebt und arbeitet. Er erhielt seine Diagnose im Oktober 2012 und outete sich ungefähr ein Jahr später über #CHANGETHEFACE, wo er seine Geschichte mit anderen teilt, um Gespräche anzuregen, negative Meinungen zu beeinflussen, mehr Aufmerksamkeit für die Krankheit zu schaffen und positive Veränderungen in anderen herbeizuführen. Wyndham ist heute 26.
„WER BIST DU?”
Ich würde mich selbst als einen der normalsten Typen der Welt beschreiben. Ich gehe zur Arbeit, treffe mich mit Freunden, habe einige große Lebensträume, die ich hoffe verwirklichen zu können, und habe möglichst oft Kontakt mit meiner Familie. Aber natürlich hat die HIV-Diagnose mich verändert: Ich bin heute dankbarer für jede Erfahrung, die ich machen darf, eine Eigenschaft, die ich vorher nicht hatte. Überlegt doch mal, wie viel glücklicher wir alle wären, wenn wir jeden Morgen aufwachen und sagen würden: „Danke, Leben, du bist der Hammer.“ Das ist die Art von Person, die ich mich heute bemühe zu sein.
„WARUM HAST DU DICH HIERZU ENTSCHLOSSEN?”
Das Interessante ist, dass mich der Ge-danke an das Stigma, das mit HIV ein-hergeht, mittlerweile gleichgültig lässt. Das kommt daher, dass ich sämtliche Gefühle von Selbsthass und Scham über meine Krankheit fast komplett abgelegt habe. Das geht so weit, dass ich manchmal sogar vergesse, dass ich diese Erfahrung nicht mit jedem Menschen teile. Und dass es viele HIV-Positive gibt, die nicht in der Lage sind, ihre Krankheit zu verarbeiten. Dass sie sie geheim halten und sich von der all-gemeinen Angst vor und dem Unverständnis gegenüber HIV/AIDS beeinflussen lassen. Dieses Selbstvertrauen kann gefährlich sein. Denn diese Art von Gleichgültigkeit ist genau der Grund, warum es – heute, im Jahr 2015! – unter bestimmten Gruppen noch im-mer steigende Infektionszahlen gibt. Ich mache mir also bewusst, dass ich, anstatt mich zufrieden in meinem von Scham befreiten, HIV-positiven Leben einzurichten, weitermachen und meine Gleichgültigkeit (oder Ignoranz) gegenüber dem Stigma zugunsten etwas Größerem als meinem eigenen kleinen Leben einsetzen muss. Ich nehme an, ich mache das hier ganz einfach deshalb, weil ich keine Angst habe. Nach dem Grund für diese Furchtlosigkeit müsst ihr wohl meine Eltern fragen, denn die Furchtlosigkeit gibt es schon viel länger in meinem Leben als das Virus! #CHANGETHEFACE ist ein Versuch, die Dinge für „uns“ zu verbessern und einen Dialog herbeizuführen, der dazu beitragen kann, das Stigma zu beseitigen, das zweifellos noch immer existiert. Mit „uns“ meine ich mich und andere HIV-Positive, aber auch Freunde und Familie und risikoferne Gruppen, die normalerweise wenig Grund haben, sich mit dem Thema HIV zu beschäftigen. Warum stimme ich also zu, dass mein Blut dazu verwendet wird, dieses Heft zu drucken? Weil die Vorstellung, dass jemand mein HI-Virus in Händen hält… Nun ja, der Gedanke schockiert sogar mich ein bisschen. Ich hoffe also, dass diese Tat – die für manche mutig, für andere unbedeutend sein mag – dem Thema HIV eine Flut von Aufmerksamkeit bescheren wird, die ich alleine niemals erreicht hätte. Ich mache das hier, weil ich glaube, dass positiv zu sein etwas Positives sein kann und dass ein fortlaufender Dialog über HIV der einzige Weg ist, noch mehr Menschen von dieser Einstellung zu überzeugen.
Wiltrut Stefanek, 48
Wiltrut lebt seit über 20 Jahren mit einem positiven HIV-Status. Nach ihrer Diagnose hat sie sich für einen offenen Umgang mit ihrer Krankheit entschieden und die Interessensvertretung PULSHIV (www.pulshiv.at) gegründet. Sie lebt und arbeitet in Wien und ist Mutter eines 24-jährigen Sohnes.
„WER BIST DU?”
HIV – drei Buchstaben, die mein Leben massiv veränderten. Viele glauben, dass ich unglücklich bin und an mei-nem Leben verzweifle!? Ich bin zwar HIV-positiv, aber vor allem bin ich Mut-ter, Partnerin, Tochter und Freundin. Viele Jahre führte ich ein Doppelleben in einer von Gewalt bestimmten Ehe, doch als ich vor 20 Jahren erfuhr, dass ich HIV-positiv bin, wurde mir klar, dass ich etwas verändern musste. Die Dia-gnose hat mich endlich wachgerüttelt, sie hat mir gezeigt, wie schön, aber vor allem wie kurz (m)ein Leben sein kann. Ich habe mich trotz meiner Ängste be-wusst entschieden, offen mit HIV zu le-ben, denn ich will mich nicht verstecken und verleugnen müssen. Ich gründete die Interessensvertretung PULSHIV in Wien. PULSHIV versteht sich als Interes-sensvertretung von und für Menschen mit HIV/AIDS und deren Angehörige. Wir informieren, beraten, unterstützen, begleiten und leben mit HIV. Wir sind Menschen mit und ohne HIV/AIDS, die ihr Leben und ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen.
„WARUM HAST DU DICH HIERZU ENTSCHLOSSEN?”
Ich lebe heute ein „normales“ Leben, arbeite, treffe Freunde, gehe meinen Hobbys nach und verbringe so viel Zeit wie möglich mit meiner Familie. Mein soziales Umfeld ist für mich ganz wichtig, Freunde in guten wie in schlechten Tagen. In den Jahren ist mir klar geworden, wie wichtig es ist, über Probleme zu reden. Viele Menschen mit HIV glauben, sie sind allein mit ihren Sorgen, doch das stimmt nicht. Kommunikation ist ein wichtiger Bestandteil meiner Lebensqualität. Seit vielen Jahren lebe ich in einer Partnerschaft mit einem HIV-negativen Mann. Die Anfänge waren schwierig, unsere Mitmenschen akzeptierten unsere Beziehung nicht. Die Vorurteile waren groß, doch meiner Meinung völlig umsonst, denn wir sind heute noch ein Paar, trotz aller Widersprüche. Mein Sohn erfuhr als Sechsjähriger von meinem Positivstatus – in einem Alter, in welchem er noch nicht wirklich realisieren und verstehen konnte, was HIV bedeutet. Mit professioneller Unterstützung lernte er damit zu leben. Es gab Zeiten wo er viel darüber sprach. Heute habe ich den Eindruck, dass HIV genauso zu seinem Leben gehört wie Essen, Waschen,…
Ich habe mich bewusst entschieden, mich für die Belange und Interessen HIV-positiver Menschen einzusetzen. HIV ist nach wie vor ein Tabuthema in unserer Gesellschaft, viel zu oft wird hinter vorgehaltener Hand darüber getuschelt. Doch die wahren Probleme werden nicht thematisiert. Die Mehr-zahl der Menschen mit HIV schrickt vor einem offenen Umgang mit ihrer Infektion zurück, weil auch 2015 viel zu viele Menschen Vorurteile und Berührungsängste haben. Die Mythen der 80er Jahre müssen endlich ausgeräumt und die „positiven“ Veränderungen sichtbar gemacht werden. HIV zum Thema machen, die Gesellschaft sensibilisieren und die Kommunikation auf gesellschaftspolitischer Ebene forcieren: Das ist es, was mich treibt. Mit dem Wissen, dass mein Blut ein Teil dieser gedruckten Zeitschrift ist, möchte ich den Menschen klarmachen, dass HIV im Alltag kein Risiko darstellt. Leben mit HIV stellt nicht nur uns Betroffene vor große Herausforderungen. Mein Sohn, mein Partner und meine Eltern sind meine Helden des Herzens. Trotz aller Probleme halten sie immer zu mir und unterstützen mich auf all meinen manchmal auch steinigen We-gen. Würden wir alle einmal über unseren Tellerrand schauen, dann wäre jeder von uns ein Held.