Pussy Edition

Chapter 8: Wer hat Angst vor der Big Bad Pussy?

„Du wirfst wie ein Mädchen“, „Männer weinen nicht“, „Sei keine Pussy“ – die Möglichkeiten, fragile männliche Egos in Frage zu stellen, sind grenzenlos. Mit weiblichen Eigenschaften in Verbindung gebracht zu werden, ist seit Jahrhunderten eine beliebte Form der Beleidigung. Die Vorstellung, für einen Moment die Fassade des emotional unantastbaren Mannes fallen zu lassen, so etwas wie Verwundbarkeit oder körperliche Schwäche einzugestehen, scheint für viele Männer auch heute noch undenkbar.

Sicher lässt sich behaupten, dass wir uns in den vergangenen Jahren als Gesellschaft recht weit entwickelt haben, was die Offenheit und Akzeptanz gegenüber verwundbaren Männern angeht. Dennoch sind wir gezwungen zu sehen, dass toxische Maskulinität in unseren Medien nach wie vor verherrlicht wird; man braucht sich nur die Berichterstattung über Donald Trumps gesamte Präsidentschaft in Erinnerung rufen. Mehr als genug Nachrichtenmedien lassen sich finden, die Trumps toxisches Verhalten als vorbildlich, wenn nicht sogar charmant beschrieben haben. Das berüchtigte „Grab them by the pussy“ Zitat bringt das Problem dabei auf den Punkt: Noch immer leben wir in einem kulturellen Milieu, in dem es als männlich gilt, sich einfach zu nehmen, was man will.

Aber was genau macht einen Mann denn zur Pussy?

Ist es die Abwesenheit jener rücksichtslosen Haltung, die Trump so gerne zur Schau gestellt hat? Beschreibt „Pussy“ am Ende die vom toxischen Mann verabscheuten Beta-Males? Vermutlich ja, zumindest aus der Sicht jener Männer, die sich aufgrund körperlicher Stärke und unerschöpflichem Selbstbewusstsein als Alphas sehen. Wenn man zusätzlich die Männer in Betracht zieht, die sich sogar selbst als Beta-Males bezeichnen, etwa die Gruppe der Incels, die Frauen die Schuld an ihren eigenen Misserfolgen in Sachen Liebe und Sex geben, dann wird auch klar, dass diese sich zwar ihres Mangels an Durchsetzungsvermögen bewusst sind, aber die gleichen misogynen Werte wie Alphas vertreten. Hier drängt sich die Vermutung auf, dass „Pussy“ nur als Schimpfwort funktioniert, wenn sowohl die schimpfende als auch die beschimpfte Partei der gleichen sexistischen Meinung sind. Was hat es aber mit Männern auf sich, die nicht unbedingt daran interessiert sind, Frauen – zumindest im wörtlichen Sinne – bei der Pussy zu packen?

Als schwuler Mann bin ich mir sicher: Ich bin nicht der einzige, der bei Erinnerungen an Ratschläge und Warnungen, die ihm in seiner Kindheit gegeben wurden, schaudern muss. Ich war noch im Grundschulalter, als mich ein weibliches Familienmitglied darauf hinwies, dass ich weiblich aussähe, wenn ich die Beine überkreuze, und zwar in einem Tonfall, der so herabwürdigend war, dass ich es noch viele Jahre bleiben ließ. Die Frage, warum mir eine weibliche Bezugsperson von etwas ihrer Ansicht nach typisch Weiblichem abgeraten hatte, stellte ich mir damals nicht. In meiner Pubertät hat sich das fortgesetzt. Immer wieder war ich mit der Warnung konfrontiert, mein Verhalten könne als „schwul“ daherkommen. Das Label „schwul“ bezeichnete dabei nicht nur eine sexuelle Orientierung – es beinhaltete auch die Vorstellung, trotz eines männlichen Körpers irgendwie feminin zu sein.

Wird man also automatisch zur Pussy, wenn man schwul ist? 

Vielleicht aus Sicht eines cis heterosexuellen toxischen Mannes. Allerdings möchte ich hier gleich vorwegnehmen, dass auch schwule Männer von der Toxizität nicht ausgenommen sind; denn was ist die Masc4Masc Kultur in der Szene, wenn nicht eine Herabwürdigung femininer Eigenschaften? Ideen und Praktiken der Toxic Masculinity sind etwas, mit denen die meisten von uns aufgewachsen sind – und das ohne Wissen um deren Existenz oder gar einem Vokabular, diese zu beschreiben. Schwule Männer sind den gleichen sexistischen Wertvorstellungen ausgesetzt wie heterosexuelle. Wen wundert es also, dass es in der schwulen Community genauso Männer gibt, für die feminine Eigenschaften absolut inakzeptabel sind? Es gibt mir zu denken, wenn die Bedeutung von Maskulinität in der Szene nicht weiter hinterfragt wird, wenn so viele offen schwule Männer immer noch ein Problem damit haben, ihre eigene Femininität und die anderer Männer zu akzeptieren. Und wenn heteronormative Strukturen einen dermaßen starken Einfluss auf Mann-Mann-Beziehungen haben.

Klar ist also, „Pussy“ ist ein Schimpfwort, das nicht nur Frauen degradiert. Dass auch manche Männer eine Pussy haben, fällt den Pussy-Schimpfenden wahrscheinlich nicht sofort ein – sondern auch jede andere Person, die auf die eine oder andere Weise als feminin gelesen werden möchte. Demnach ist auch klar, dass „Pussy“ als Schimpfwort zu benutzen, nicht nur bedeutet, jemanden für ein Anzeichen von körperlicher oder emotionaler Schwäche zu beschämen; es spricht auch Bände über jene Menschen, die es als Beleidigung benutzen, und die, die sich davon beleidigt fühlen. Auch wenn es mittlerweile auch für Männer akzeptabel ist, zu weinen oder zu körperlichen Mängeln zu stehen, erleben wir weiterhin, dass Toxic Masculinity gelobt und mit weitreichendem Einfluss belohnt wird – was „Pussy“ als Schimpfwort überhaupt erst möglich macht.


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