Pussy Edition

Chapter 2: Rest In Pussy – Wie ein Kätzchen vom Weg abkam

Pussy heißt Power. Pussy heißt Pink. Pussy heißt Vulva. Pussy heißt Schwäche und Pussy heißt Kätzchen. Ein Wort, wie ein nicht durchdachtes Karnevalskostüm – auf den ersten Blick provokant, auf den zweiten schillernd, im falschen Kontext absolut unverzeihlich und im breiten Volksmund prinzipiell sexistisch. Aber wie ist das eigentlich passiert? Wann wurde aus dem süßen Schmusekätzchen ein primäres Geschlechtsmerkmal und überhaupt ein Schimpfwort? Eins ist klar – spätestens seit Donald Trump weiblich assoziierte Bekannte „bei der Pussy grabben“ wollte, wird der Begriff mit aller Verbissenheit zurückerobert, wie unlängst auch Cardi B und Megan Thee Stallion bewiesen haben. Aber, husch ins Körbchen, wir starten mit den Kätzchen…

#1 Pussycat

Wie die zeitgenössische Bedeutung des Begriffes „Pussy“ zustande kam, darüber sind sich Linguist:innen und Internetforen trotz mühevoller Forschung uneins. Das Wort selbst kann bis ins frühe 16. Jahrhundert zurückverfolgt werden, wo „puss“ laut Oxford English Dictionary noch eine ganz allgemeine Bezeichnung für Katze war. Miau. Die englische Variante wiederum stammt wahrscheinlich vom mittelniederdeutschen „pūs“ (auch „pūskatte“) oder dem niederländischen „poes“, was ebenfalls so viel wie „Katze” bedeutet. Zu jener Zeit wurde der Begriff auch schon als zärtlich gemeintes Synonym für FLINTA* verwendet. Aber wer irgendwann mal ein Werk von Will. I. Am. Shakespeare aufgeschlagen hat weiß, dass in jedem noch so eleganten Reim der damaligen Zeit ein dreckiger Witz steckt.

Ein Lied des englischen Dichters Thomas d’Urfey erzählt dementsprechend nur ein knappes Jahrhundert später eine ganz andere Geschichte. Nämlich eine, in der er versucht, das „Kätzchen“ einer Affäre, hier Pussy, zu zähmen, in dem er es streichelt: „A pretty young kitty she had that could purr. Twas gamesome and handsome and had a rare fur. And straight up I took it and offered to stroke it. In hopes I should make it kind.” Ha, erwischt! Von wegen unschuldiges Synonym. Da einem zugegeben ziemlich unbekannten Pergamentpiraten wie d’Urfey nicht unbedingt zuzutrauen ist, ganz ohne Internet ein derart geflügeltes Wort zu etablieren, gehen wir mal davon aus, dass Pussy längst Pussy bedeutete, sobald die Schmusekätzchen an kindlicher Faszination verloren. Spätestens im 19. Jahrhundert war es dann mit der vorgeschobenen Metaphorik vorbei, und Pussy zeigte sich gleichbedeutend mit Vulva, in dem sich auf etwas „weiches, warmes und pelziges“ bezogen wurde. Und so geschah es eines merkwürdigen Tages, dass „I’m getting pussy tonight“ nicht mehr den impulsiven Besuch einer Zoohandlung beschrieb.


Die Gleichsetzung von Pussy und Schwäche könnte dabei kaum weiter von der Realität entfernt sein


#2 Pussy Riot

Obwohl man aufgrund der Kätzchen-Konnotation darauf schließen könnte, dass es sich beim abwertend gemeinten „Pussy“ um eine Anspielung auf die „Schwäche“ des Femininen handeln könnte, rührt das althergebrachte „Du Pussy!“ wahrscheinlich vom englischen „pusillanimus“, das sich schlicht mit „feige“ übersetzen lässt. Die Gleichsetzung von Pussy und Schwäche könnte dabei kaum weiter von der Realität entfernt sein. Schließlich sind die meisten Pussys in der Lage, einen ganzen Menschen aus sich herauszupressen und alle 28 Tage zu bluten, ohne bleibenden Schaden davon zu tragen. Und auch jene, auf die das nicht zutrifft, sind nicht annähernd so zart und schmerzempfindlich, wie das männliche* Skrotum, sondern purer Ausdruck von Willenskraft.

Egal, ob mit weiblicher, männlicher, fluider, diverser oder anderer Definition – es ist schwierig genug, sich mit dem eigenen Gender auseinanderzusetzen und für die eigene Identität zu kämpfen. Dann noch ein patriarchales Paradoxon in Kauf zu nehmen, das uns Schwäche einredet, wo von Unverwüstlichkeit, Regeneration und Schöpfungskraft die Rede sein sollte, zeugt von Stärke, von Pussy Power. An dieser Stelle wird das Kätzchen zur Raubkatze – zu einem Symbol des Widerstands gegen Diskriminierung. Denn ein durchdachter Feminismus ist ein inklusiver und intersektionaler Feminismus – der Pussy sagt, und die Unterdrückten meint. Der beim Women’s March „Pussy Power“ skandiert, und damit ein Recht auf den eigenen Körper fordert. Die Aktivist:innen der russischen Punkband Pussy Riot waren dabei die ersten, die mit massenwirksamen Reclaimment der Pussy erfolgreich waren. Mittels spontaner, illegaler und kostenloser Konzerte verschafften diese FLINTA* sich international Gehör und entwickelten sich schnell zum politischen Dreh- und Angelpunkt feministischen Protests – bis drei ihrer Mitglieder in Russland dafür verhaftet wurden und in ein politisches „Umerziehungslager“ gesteckt wurden.

#3 Pussy Love

Es geht nicht darum, ob wir eine Pussy haben, eine sind, sein wollen, oder eben nicht – sondern wie die Beziehung zu jenen Merkmalen gestaltet wird, mit denen wir uns identifizieren wollen. Von einem psychotherapeutischen Standpunkt aus wird es dann problematisch, wenn starre Beziehungen entstehen, wo fluide Begegnungen vonnöten wären. Wenn man Pussy hört und „obszön“ denkt, ohne die Ebenen zu sehen, die dahinterstehen. Abseits einer plakativen Rückeroberung des Wortes an sich, geht es vielmehr darum, die Beziehung zu den Pussys mal komplett zu überdenken und aus der eigenen Perspektive herauszutreten, statt sich eine pinke Wollmütze mit Katzenohren aufzusetzen und zu denken, dass das schon Feminismus sei. Wenn ein Wort ins Rampenlicht tritt, das erst „Kätzchen“ und dann „Cunt“ war, ist es notwendig, mal von den Vorurteilen abzurücken und sich gegenseitig ein bisschen Liebe zu zeigen. Sich selbst übrigens auch, ganz besonders den queeren Pussys da draußen. Also Bussi Bussi, love the Pussy. 


Vom ursprünglichen Kätzchen ist an dieser Stelle nichts mehr übrig. Weder Wärme noch Flauschigkeit
noch Schwäche.


#4 Pussy Couture

Dass Pussys einfach auch mal ein bisschen mehr gefeiert gehören, hat die Popkultur natürlich längst mitbekommen. Vor allem im Dunstkreis schillernder BIPoC Künstler:innen ist Pussy Pride längst zum charmanten Statussymbol avanciert, wo zuvor in erster Linie Rapper ihre erogenen Zonen mit Lamborghinis, oder, Gott bewahre, Bratwürsten verglichen – I’m looking at you, Rammstein. Anyways. Janelle Monáe erschuf 2018 im Video zu „Pynk“ eine Sphäre, in der Pussy nicht nur künstlerischer Inhalt und feminine Fantasie war, sondern gleich zur Couture wurde. Riesige rosarote Hosen feierten das Wort auf eine Art und Weise, die kaum weniger plakativ hätte sein können. Dabei bediente sich die mit beachtlichem Stimmvolumen ausgestattete Britin ganz bewusst aller gängigen Klischees: „Pynk“ präsentierte sich pink und über die Maßen zärtlich. Einen ganz anderen Ansatz verfolgen bekanntermaßen Cardi B und Megan Thee Stallion, die der prüden US-Gesellschaft kurzerhand die Kinnlade auf den BigMac fallen ließen.

Der Republikaner James P. Bradley kündigte an, „sich die Ohren mit Weihwasser auswaschen“ zu müssen, nur weil zwei Frauen mit dem Schlachtruf „Wet-Ass Pussy“ von ihrer sexuellen Souveränität und der Lust an ihrem Körper rappten. Die beiden wurden kurzerhand zum TikTok-Phänomen, wo auf einmal nicht mehr nur sich gegenseitig empowernde Girls zu Ehren ihrer Pussy twerkten, sondern von cis bis queer auch jeder Dude, der halbwegs etwas auf die Anzahl seiner Gen-Z Follower:innen gab. Interessanterweise wurde Pussy genau zu diesem Zeitpunkt so richtig salonfähig, als Konservative die feuchteste kulturelle Apokalypse seit der Sintflut befürchteten. Und so ist zu beobachten, dass, obwohl die Pussy Couture längst zum guten musikalischen Ton gehört, es sich dabei nach wie vor um ein Wort handelt, das eine Form von Protest impliziert. Vom ursprünglichen Kätzchen ist an dieser Stelle nichts mehr übrig. Weder Wärme noch Flauschigkeit noch Schwäche. Stattdessen sehen wir uns mit einem Bedeutungswandel konfrontiert, der uns die Chance bietet, die Beziehung zur Pussy immer wieder neu zu denken.

Illustrationen:
© Magdalena Weyrer



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