Vielleicht ist es die ständige Suche nach dem nächsten Kick, der ultimative Ausbruch aus dem Alltagstrott, das trotzige Aufbegehren gegen eine konservative Gesellschaft oder einfach nur ein Mittel gegen Langeweile im Bett: Das Phänomen Chemsex ist kein Randthema mehr – fast jeder hat von der Reise der Sexdrogen aus der Poppers-Hauptstadt London in die Metropolen dieser Welt gehört. Doch Chemsex ist mehr als Sex auf Droge – es ist ein kulturelles Phänomen, das längst nicht mehr nur die britische Hauptstadt fest im Griff hat.
Vermutlich hatte jeder schon mal betrunken Sex – ist ja klar, der Alkohol verschönert gelegentlich nicht nur das Gegenüber, sondern entspannt, steigert das Selbstwertgefühl und ist somit oftmals erst der Auslöser, dass man sich traut, überhaupt jemanden anzusprechen. Dass betrunkener Sex aber nicht immer gerade das Wahre ist, wird spätestens am nächsten Morgen klar, wenn man neben der fremden Person aufwacht.
Bei Chemsex spielen Faktoren wie gesteigertes Selbstwertgefühl und mehr Ausgelassenheit natürlich auch eine große Rolle. Jedoch ist aus dieser Sexpraktik mittlerweile viel mehr ein kulturelles Phänomen geworden, bei dem es unter anderem auch um den gemeinsamen Konsum der Drogen geht – und mit diesen ist wirklich nicht zu spaßen. So wird zum Beispiel das als Vergewaltigungsdroge bezeichnete GHB (auch: Liquid Ecstasy), das schon bei einer minimalen Überdosierung zum Tod führen kann, eingesetzt, oder Drogen wie Ketamin (ein Pferdebetäubungsmittel) oder Crystal Meth konsumiert. Die erhofften Effekte sind meisten Schmerzunempfindlichkeit, gesteigerte Lust und gesteigertes sexuelles Empfinden. Aber außerdem – und das überrascht vielleicht viele – geht es den Konsument*innen auch um die intensiven und emotionalen Gespräche, die sie mit ihrem Gegenüber auf Drogen wie GHB oder Ketamin führen können.
Doch die Frage bleibt: Wieso spielen diese Drogenparties gerade in der schwulen Szene so eine große Rolle? Eine neue Studie der University of East Anglia hat das Phänomen untersucht, und kann einige interessante Erklärungsansätze für die Verbreitung von Chemsex geben. So besagt die Studie, dass sich die queere Szene gerade durch die Schließung von fast 50% aller schwulen Clubs in London und der Trend zur Nutzung von Apps wie Grindr ins Private verlagert hat. Durch diesen Rückzug in Wohnungen gab es praktisch keine Regeln mehr – jeder der will kann (billig) konsumieren, was er will. Dadurch stieg die Rate an Chemsex-Parties rasant an, doch die Verbreitung der Drogen hat noch ganz andere Folgen als das kurzzeitige High.
Durch die Wirkung von GHB, Crystal Meth oder Ketamin wurden Konsument*innen zunehmend unvorsichtiger mit der Verhütung, wodurch die Anzahl der HIV-Neuinfektionen erneut stieg. Außerdem findet durch den Konsum stimmungsaufhellender Substanzen wie GHB oder Crystal Meth über lange Zeit ein grundsätzliches emotionales und sexuelles Abstumpfenstatt, wodurch nicht nur immer mehr konsumiert werden muss, sondern “normaler” Sex als langweilig und unbefriedigend empfunden wird. Die Studie zieht daraus die Schlussfolgerung, dass ein Konsum über längere Zeit hinweg bis zu Beziehungsunfähigkeit und Depressionen führen kann.
Egal, wie viel Prävention betrieben wird, es ist leider klar, dass Chemsex nicht von heute auf morgen aussterben wird. Umso wichtiger ist es, Konsument*innen richtig über die Risiken und (Neben-)Wirkungen, sowie sicheren Konsum, Verhütung und Langzeitfolgen für Körper und Psyche aufzuklären. Wenn du selbst also auf Chemsex stehst, oder jemanden kennst, der von der Thematik betroffen ist, solltest du dich unbedingt beraten lassen. Hier bekommst du eine anonyme, schnelle Beratung online. Stay classy, and stay safe.
Text: Alex Baur