Pussy Edition

Chapter 15: Our Pussy is Bleeding


Menstruation. Ein Begriff, der viele Personen die Nase rümpfen lässt, Schultern werden hochgezogen, das Blut fließt nicht nur aus dem Körper heraus, sondern vor allem in den Kopf hinein. Warum? Es ist unangenehm. Es ist unangenehm zuzugeben, dass sich die Gebärmutter einmal im Monat erneuert. Diesen Satz sollten wir ein zweites Mal lesen, ein drittes Mal, wahrscheinlich 100-mal, um die Absurdität darin zu erkennen. Die Stigmatisierung von Menstruation ist eine Form von Misogynie. Indem diese Tabuisierung weitergelebt wird, bekräftigen wir die Idee, dass ein elementarer Aspekt des Lebens nicht benannt werden sollte. Im Jahr 2000 prägte der Historiker Robert S. McElvaine den Begriff „Nicht-Prämenstruelles Syndrom“ (NMS), um den Neid zu beschreiben, der Männer dazu veranlasst, die Menstruation zu stigmatisieren und weiblich gelesene Personen sozial zu dominieren. Der Grund? Kompensation für das, wozu Männer biologisch nicht im Stande sind. Der Diskurs über Menstruation ändert sich nur langsam, weil deren Tabuisierung in unseren Kulturen, Überzeugungen und Geschichten tief verwurzelt ist. Die Gesellschaften, die historisch das Bild von unseren Körpern prägten, wurden um dieses Stigma gebildet. Um Tabuisierungen zu ändern, müssen sich erst Systeme ändern.

Ich blute aus meiner Vagina

Als ich zum ersten Mal menstruierte, wusste ich noch nicht, dass es einen eigenen Begriff dafür gibt, weshalb ich ganz ungeniert verkündete: „Ich blute aus meiner Vagina“. Was mir damals auch noch nicht bewusst war: Dass ich das doch bitte geheim halten sollte. Habe ich nicht verstanden. Schneide ich mir in den Finger und blute, dreht sich schließlich auch niemand peinlich berührt weg. Trotzdem plante ich fortan akribisch, wann und wie ich den Tampon klammheimlich aus meiner Schultasche in meine Jackentasche schleusen konnte, sodass ja niemand bemerken würde, was gerade in mir vorging. Durch diese selbst auferlegte Geheimhaltung, degradierte ich meinen Körper jahrelang, indem ich mir selbst die Möglichkeit verwehrte, es als das anzuerkennen, was es ist: Motherfucking Nature! Während Constantin und Peter vor dem Sportunterricht leidenschaftlich darüber diskutierten, wie lange sie morgens masturbierten, versteckte ich den Tampon in meiner Jackentasche. Mittlerweile bin ich selbstbestimmter als damals, verstecke meine Menstruationsprodukte nicht mehr und suche immer öfter das Gespräch über dieses tabuisierte Thema. Vielen menstruierenden Personen fällt das aufgrund der gesellschaftlichen Stigmatisierung allerdings noch immer schwer.

Alternative Welt

In einer Trilogie von Kurzfilmen stellt sich die Initiative WaterAid vor, wie eine Gesellschaft aussähe, wären es die Männer, die jeden Monat das Endometrium ihrer Gebärmutter verlieren. Eine begleitende Umfrage unter 2.000 Personen ergab, dass 78% glaubten, dass sich die Sportwelt ändern würde. So dachte ein Viertel, weiße Sportbekleidung würde verboten werden und Männer würden mit ihren Menstruationen prahlen. In WaterAids zweitem Film sprechen Fußballkommentator:innen davon, dass die Chance am höchsten sei, ein Tor zu erzielen, wenn der Spieler am zweiten Tag seines Zyklus und deswegen „in der optimalen Leistungszone” sei. Moment mal … Es gibt eine optimale Leistungszone innerhalb der Menstruation? Ist mir neu. So hätte Gloria Steinems satirischer Essay „If Men Could Menstruate“ aus dem Jahr 1978 auch gestern geschrieben werden können. Denn was bislang fehlte, waren kollektive Gespräche über den inhärenten und heimtückischen Sexismus, dem weiblich gelesene Personen durch die Stigmatisierung der Menstruation ausgesetzt sind.


Als weiße deutsche CIS Frau, fühle ich mich extrem privilegiert, von wenig Unrecht betroffen zu sein.
Ein Punkt, für den ich aber in die Bresche springen kann, ist Menstruation.” – Elsa van Damke


Elsa van Damke,  © Mitch Stöhring

Elsa van Damke (she/her | @elsavandamke) ist eine Berliner Regisseurin und Feministin, ihr Lieblingswort ist Fotze, sie studiert seit 2020 auf der Hamburg Media School Regie und redet mit uns über ihren Kurzfilm „OH SH*T!“ (@ohshtfilm), in dem sie die Tabuisierung der Menstruation mit einer Prise Humor verpackt. Elsa und mich verbindet das gleiche Sternzeichen (Fische), wir sind beide im Aszendent Waage und beide klein und laut. Ich schreibe, Elsa macht Filme. Also schreibe ich über Elsas Filme: „OH SH*T!“ begleitet die 27-jährige Maggie (Jane Chirwa) auf ein Date zu ihrem Schwarm nach Hause. Als sie plötzlich ihre Periode bekommt, sieht sie sich mit einem kleinen Monster in ihrem Kopf konfrontiert, welches ihr schon viel zu lange einredet, dass sie ihre Menstruation verheimlichen müsse.”

Du sprichst über viele gesellschaftliche Probleme und für marginalisierte Personengruppen. Was hat die Stigmatisierung der Menstruation für dich so hervorgehoben, dass du diesem Thema einen Kurzfilm widmen wolltest?

Also erstmal fühle ich mich natürlich betroffen. Ich fand es unglaublich interessant, wie ich selber, als sehr emanzipierte, aufgeklärte, links-feministische Frau, immer wieder merkte, wie ich selbst Skrupel hatte, über dieses Thema zu sprechen. Zudem war ich schockiert zu bemerken, wie viele andere menstruierende Personen in meinem Umfeld dieses Problem teilten. Nach einem Menstruationsworkshop hat sich mir plötzlich ein Universum eröffnet, indem ich so viel Anklang und Kraft gefunden habe, das war wie ein Dominostein, der angestoßen wurde. Ein weiterer Schlüsselmoment fand im zweiten Semester meines Filmstudiums statt. Ich bekam während eines Seminars meine Tage und hatte kein Menstruationsprodukt dabei. Ich habe mich daraufhin in einem Anflug von Mut gemeldet und gefragt, ob jemand einen Tampon hat. Ich saß also in einem Raum mit 24 Berliner Filmschaffenden und es herrschte plötzlich Stille. Es ist, als wäre da bei uns so eine internalisierte Stimme: Dieses Wort darf deinen Mund nicht verlassen. Am Ende hat mein Kumpel Milan mir ausgeholfen, da er immer für seine Freundin einen Notfalltampon dabeihatte. Zwischen dem Gedanken „Was ist er für ein cooler Typ“ und der Frage „Warum will ich ihm einen Pokal dafür überreichen, ist das nicht einfach normal?“, habe ich daraufhin beschlossen, in meinem Abschlussfilm die Menstruation zu thematisieren.

Was waren die ersten Reaktionen als du verkündet hast,
einen Film über Menstruation zu drehen? Gab es da negatives Feedback?

Absolut, allerdings hat der Film leider die Bubble nicht verlassen. Ich habe mir viel mehr Feedback, Kritik und Shitstorms erhofft. Tatsächlich habe ich kein negatives Feedback von männlich gelesenen Personen bekommen, die fanden es alle super lustig und es sind tolle Konversationen daraus entstanden. Auch am Set, als fünf Menschen die Köpfe zusammensteckten, um die perfekte Konsistenz von Menstruationsblut herzustellen und Dinge sagten wie: „Mach mal noch ein bisschen mehr Kakaopulver rein, es muss klumpiger werden. Und gib noch ein bisschen Sojasoße dazu.“ Es war eine wundervolle Erfahrung. Das negative Feedback kam tatsächlich von weiblich gelesenen Personen, die sagten, dass die Thematik total lächerlich sei, Menstruation sei etwas Normales, man müsse ja nicht darüber reden, und schon gar nicht einen Film darüber machen. Auf der anderen Seite gab es jene Personen, die nicht nachvollziehen konnten, weshalb ich etwas so Normales überhaupt als tabuisiert darstelle. Fakt ist aber, dass Menstruation etwas ist, worüber wir nicht reden. Deswegen habe ich den Film auch ins Internet gestellt, was mich für viele Filmfestivals disqualifizierte.


“Was es für ein riesengroßes Theater ist,
dass wir nach wie vor versuchen,
die normalste Sache der Welt geheim zu halten.”


Welche Message möchtest du mit deinem Film senden?

Was es für ein riesengroßes Theater ist, dass wir nach wie vor versuchen, die normalste Sache der Welt geheim zu halten. Viele Zuschauer:innen fragen, warum meine Protagonistin am Ende dem Typen nicht einfach sagt, dass sie menstruiert. Woraufhin er dann potentiell sagen würde: „Oh Schnegge, ich bin ein links aktivistischer, cooler Typ, Menstruation gehört respektiert, folge mir auf Twitter“. Es geht in diesem Film aber nicht um die Reaktion der männlich gelesenen Person. Es geht um das internalisierte Perioden-Shaming dieser selbstbewusst inszenierten, erwachsenen Frau. Sie selbst verbietet sich, mit dem Thema offen umzugehen, weil die Gesellschaft sie so weit gebracht hat. Ich hoffe, dass ich es geschafft habe, das mit diesem Film zu vermitteln. Um das zu tun, war das humoristische Stilmittel einer Komödie sehr wichtig, damit der Zeigefinger nicht ganz so weit nach oben geht.

Inwiefern unterscheidet sich Menstruationsaktivismus von anderem Aktivismus?

Ich mag das Wort sehr, ich möchte mich selbst allerdings nicht so bezeichnen. Ich bin Künstlerin und ich leiste meiner Meinung nach keine aktivistische Arbeit. Ich bin Mensch, Künstlerin und Filmschaffende und natürlich auch Influencerin. Auch das ist ein Begriff, gegen den ich mich oft wehre. Denn sowohl der Aktivismus als auch der Influencer:innen-Stempel überschattet sehr viel. Mit Influencerin kommt Hass, mit Aktivistin ganz viel Verantwortung. Würde ich mir diese beiden Schuhe anziehen, würde mich das Gewicht dieser Charakterisierung so sehr nach unten ziehen, dass ich nicht so weit laufen könnte, wie ich möchte. Deswegen versuche ich diesen Begriff immer ein bisschen von mir wegzuschieben. 

„Not all who menstruate are women and not all women menstruate.“ Das De-Gendering der Menstruation ist allein durch seine Vielfalt lange überfällig. Was glaubst du müsste geschehen, um den Diskurs um Menstruation inklusiver zu gestalten?

Die Gesellschaft muss an einen Punkt kommen, wo sie versteht, dass der eine Körper nicht weiblicher ist als der andere. Für die einen ist das Allgemeinwissen, anderen Menschen muss man erklären, was cis bedeutet. Für mich ist das so, als ob man weiß, was plus ist aber nicht, was minus ist. Wenn aber eines der beiden Wörter als Normalität gelesen wird, lernen wir das andere nicht. Unsere Generation ist jetzt gewillt, viele Dinge besser zu machen. So versuchen wir zum Beispiel, gendergerechte Sprache in den Alltag zu integrieren. Die Personen, die sich gegen solche Bewegungen stellen, sind erfahrungsgemäß Menschen, die keine Lust haben, Privilegien abzugeben und das ist ein ziemlich unfaires Spiel.

Jede menstruierende Person findet andere Beschreibungen, um ihren Zyklus zu benennen. Welche Beschreibung findest du für dich am passendsten?

Die Begrifflichkeit, die ich am häufigsten verwende, ist nicht das, was ich am besten finde. Denn meistens sage ich: „Ich habe meine Tage“. Allerdings ist das wieder eine Paraphrasierung, sowie Periode, die nichts mit der Sache an sich zu tun hat. Es gibt natürlich auch ganz absurde Umschreibungen wie „Erdbeerwoche“ oder „Tante Emma ist zu Besuch“. Ich versuche immer mehr das Verb „ich menstruiere“ in meinen Sprachgebrauch zu integrieren. Schließlich ist es etwas, was wir tun.

Wie sehen deine Zukunftspläne aus, gibt es anstehende Projekte?

Mein nächster Film wird ein musikalischer schwarz-weiß Film, ohne Dialog. Ich erzähle die Geschichte einer hochsensitiven Komponistin, die in einem kreativen Loch sitzt und extrem unter dem Leistungsdruck der Gesellschaft leidet und lernt, dass sie loslassen muss, damit Dinge von ganz alleine geschehen können. Ich glaube, dass ich das Talent habe, Leute zum Lachen zu bringen und bin gespannt, was ich in der Zukunft daraus zaubern werde. Ich habe mir aber vorgenommen, in jedem meiner Filme die Menstruation einzubringen und wenn im Hintergrund der Tampon hin und her gereicht wird.

Weiblich gelesene Personen sind in der Sprache noch immer das schwache Geschlecht. Ob es um die Gender-Gerechtigkeit geht oder eben das Verwenden von Pussy als Beleidigung. In diesem Sinne: Woran denkst du, wenn du Pussy hörst?

Das Erste, woran ich denke, ist die Coldmirror Folge: „Harry Potter und ein Stein“. Pussy ist nämlich die Katze des Hausmeisters Filch, der sie immer „meine kleine Pussy“ nennt. Als zweites denke ich natürlich sofort an das weibliche biologische Geschlechtsorgan in Verbindung mit einer Zurückeroberung des Begriffs. Eines meiner Lieblingswörter ist auch Fotze. Das benutze ich gerne positiv konnotiert, was für viele Menschen erstmal komisch ist, da es so lange als Schimpfwort genutzt wurde. Wir dürfen keinen Begriff, der ein Geschlechtsorgan beschreibt, als Schimpfwort umfunktionieren. Somit hoffe ich, dass Personen nach dem Lesen dieser Ausgabe sagen: „Ich hätte auch gerne eine.“


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