Jîn, jiyan, azadî (ن، ژیان، ئازادی). Immer wieder hört man die vielen Menschen schreien: Frau, Leben, Freiheit. Die internationale Solidarität mit den Frauen im Iran ist auch in Wien angekommen. Über 3.000 Teilnehmer:innen protestierten voriges Wochenende gegen die Menschenrechtssituation im Iran – gegen religiöse Unterdrückung, Repressionen gegen Frauen, Queers und ethnische Minderheiten.
Was ist passiert?
Auslöser für die internationalen Proteste war der Tod der 22-jährigen Jîna Mahsa Amini. Sie starb drei Tage, nachdem sie am 16. September von der iranischen Sittenpolizei festgenommen worden war. Grund für die Verhaftung: Amini soll ihren Hijab nicht richtig getragen haben. Das iranische Regime behauptet, Jîna sei an einer Krankheit, nicht als Folge von Gewalt, verstorben. Viele sehen diese Aussage als blanke Lüge, unabhängige Bestätigungen der Obduktion gibt es nicht. Seit dem Tod Jînas sind in zahlreichen Gebieten des Irans massive Proteste ausgebrochen. Vielen Protestierenden geht es damit nicht nur mehr um den staatlich verordneten Kopftuchzwang. Sie protestieren für die Freiheit von Frauen und gegen den autokratischen Staatsapparat. Von einer Revolution kann wohl noch nicht die Rede sein. Aber die Proteste zeigen, dass in der iranischen Gesellschaft schon seit Jahren Unzufriedenheit herrscht. Ein möglicher Umsturz des Regimes würde massive Veränderungen für den Nahen Osten und die ganze Welt bedeuten.
Versäumnis der Medien
Trotz der großen Implikationen, die die Proteste haben, ist die Aufmerksamkeit in deutschsprachigen Medien recht niedrig. Oft werden staatliche Meldungen unkommentiert zitiert, Pressemeldungen übernommen, oberflächlich recherchiert, in vielen Fällen ganz ohne Expert:innenstimmen. Besonders ein wichtiger Aspekt wird in der Berichterstattung oft vernachlässigt: Der Vorname der jungen getöteten Frau ist Jîna. Ein kurdischer Name. Den Namen Mahsa nutzte sie nur für die iranischen Behörden, denn kurdische Namen sind in offiziellen Dokumenten nicht gestattet. Die kurdische Minderheit macht im Iran gut zehn Prozent der Bevölkerung aus. Auch der Slogan der Bewegung, „Jîn, jiyan, azadî“, ist kurdisch. Immer wieder gibt es Auseinandersetzungen des iranischen Staates mit der kurdischen Minderheit. Dass Jîna als Kurdin erkannt und deshalb verhaftet wurde, ist unwahrscheinlich. Trotzdem war sie die einzige unter den mit ihr verhafteten Frauen, die geschlagen wurde. Viele Menschen im Iran streiken als Protest – vor allem in den kurdischen Gebieten. Auch sind sie besonders betroffen von dem gewalttätigen Vorgehen der iranischen Sicherheitskräfte. Laut Amnesty International ist die Zahl der Toten mittlerweile in den Hunderten.
Expert:innen zuhören! – Gegen rechte Hetze
Trotzdem scheuen Konservative und Rechte nicht davor zurück, die Proteste zu instrumentalisieren, um antimuslimischen Rassismus zu verbreiten und Kopftuchverbote zu fordern. Doch nicht nur Frauen, die keinen Hijab tragen wollen, gehen im Iran auf die Straße. Denn es geht darum, dass keine Frau in der Öffentlichkeit einen Hijab tragen oder abnehmen muss. Es geht um die Freiheit zu entscheiden. Es ist gerade jetzt wichtig, Fehlinformationen vorzubeugen und vor allem den Menschen im Iran und Expert:innen Aufmerksamkeit zu schenken und zuzuhören. Wir haben eine Liste von Menschen zusammengestellt, die sich mit dem Iran auskennen und Aufklärungsarbeit leisten. Definitive Folgeempfehlung!
Unsere 6 Follow-Empfehlungen
1. Masih Alinejad, iranisch-amerikanische Journalistin, die im Exil in den USA lebt; hat viele Auszeichnungen für ihre Arbeit bekommen, die vor allem die Menschenrechtslage im Iran kritisiert
Women of Iran-Saghez removed their headscarves in protest against the murder of Mahsa Amini 22 Yr old woman by hijab police and chanting:
— Masih Alinejad 🏳️ (@AlinejadMasih) September 17, 2022
death to dictator!
Removing hijab is a punishable crime in Iran. We call on women and men around the world to show solidarity. #مهسا_امینی pic.twitter.com/ActEYqOr1Q
2. Enissa Amani, Entertainerin, die seit Jahren auch informative Inhalte teilt; geboren im Iran, ihre Eltern mussten als Oppositionelle des Regimes nach Deutschland fliehen
3. Golineh Atai, geboren im Iran; Leiterin des ARD-Büros in Kairo und Spiegel-Bestseller-Autorin von “Iran, die Zukunft ist weiblich”
Interessant, dass hier und da die Sorge vor einer Radikalisierung der Proteste hochkommt. Haben die sich Sorgenden all die Jahre laut geklagt, wie Menschen im Iran ausgepeitscht, erschossen, erhängt werden?
— Golineh Atai (@GolinehAtai) October 11, 2022
Auf den Punkt, dieser Gedanke von @farangissbayat #MahsaAmini https://t.co/iQ51Jsn2Mg
4. Shoura Hashemi, leistet Informationsarbeit und ordnet Meldungen und Videos ein
Nishabur. Demonstrierende zerstören eine Statue von Ayatollah Khomeini, dem Begründer der islamischen Republik. 13. Oktober. #IranProtests2022 #IranRevolution pic.twitter.com/XQB2lgKUMW
— Shoura Hashemi (@ShouraHashemi) October 14, 2022
5. Natalie Amiri, bis 2020 Leiterin des ARD-Studios in Teheran, eine der kundigsten und im Iran bestvernetzten deutsprachigen Journalist:innen, 2021 erschien ihr Buch „Zwischen den Welten: Von Macht und Ohnmacht im Iran
6. Gilda Sahebi, Journalistin, hat jahrelange Erfahrung mit dem Nahen Osten, schreibt seit Beginn der Proteste über die Situation im Iran
Dieses Video ist einige Monate alt. Zu sehen sind Majid Tavakoli und Hossein Ronaghi, Oppositionelle & Menschenrechtsaktivisten. Tavakoli sagt schon damals: Proteste sind der einzige Weg.
— Gilda Sahebi (@GildaSahebi) October 13, 2022
Beide sind nun inhaftiert. Roghani wurde in Evin gefoltert und beide Beine wurden gebrochen. pic.twitter.com/4xghjX3YKJ
Header: Artin Bakhan via Unsplash