Escapist Edition

“Ich traute mich nicht auf CSDs” – Wie Jochen Schropp zum Sprachrohr der queeren Community wurde

Jochen Schropp ist Schauspieler und Moderator. Mit den Podcasts “Yvonne & Berner”, “Knall & Tüte” und seinem Buch “Queer as f*ck” engagiert er sich für queere Menschen. Sein öffentliches Outing 2018 schlug hohe Wellen. VANGARDIST hat er erzählt, welche Hürden er nehmen musste, um heute so offen für queere Themen einstehen zu können. 

VANGARDIST: Hey Jochen! Als ich erfahren habe, dass diese Ausgabe unter dem Motto “Escapist” steht, musste ich sofort an dich denken. Denn wenn wir “Escapist” mit “Ausreißer” übersetzen, dann scheint das ganz gut zu deinem Lebensweg zu passen. Schon im Schulalter bist du für ein Auslandsjahr nach Kalifornien, dann regelmäßig vom ländlichen Teil Hessens an den Wochenenden nach Frankfurt zum Feiern und letztendlich für das Schauspielstudium nach Liverpool gezogen. Woher kam dieser Drang, ständig auszubrechen?

Jochen: Ich glaube, dafür gibt es zwei Gründe: Erstens war ich einfach schon immer echt neugierig. Mit elf Jahren habe ich meine erste Sprachreise alleine nach England gemacht. Und auch Amerika hat mich zeitlebens total fasziniert, weil ich aus einer Gegend komme, in der sehr viele Amerikaner:innen stationiert waren. Dazu kam, dass ich in meiner Heimat nie das Gefühl hatte, frei oder ich selbst sein zu können. Da ich in der Schulzeit von verschiedenen Gruppen gemobbt wurde, habe ich mich zunehmend in eine Ecke gedrängt gefühlt. Ich dachte damals, irgendwas sei falsch mit mir. Auch wenn ich Angst davor hatte, an der High School ein Außenseiter zu sein, war mein Jahr in den USA dann ein Befreiungsschlag.

Blanket: Steiner 1888, Pants: Scotch & Soda
Rain Coat: Steiner

V: Klingt so, als seist du dadurch schnell erwachsen geworden.

J: Ich denke schon. Ich musste mich ja viel mehr um mich selbst kümmern, wenn ich auf Reisen war. Und ich musste einfach sehr früh alleine Entscheidungen treffen, die oft an starke Emotionen gekoppelt waren.

 V: Wie meinst du das?

J: Ich glaube, vielen queeren Jugendlichen geht es so, dass sie sich in jungen Jahren mit Themen beschäftigen müssen, die vielleicht in einem heterosexuellen Leben da noch gar nicht angekommen sind. Zum Beispiel mein Coming-out: Als ich mich zu Hause  geoutet habe, habe ich mich danach nicht wirklich verstanden gefühlt. Die Reaktionen meiner Eltern waren nicht böse gemeint, aber unwissend.


“Niemand sollte sich dafür schämen, queer zu sein.
Wir müssen das enttabuisieren und darüber sprechen.”  


V: Diese Reaktionen beschreibst du in deinem Buch eindrücklich.
Hat sich durch dein Coming-out etwas geändert?

J: Nein, nicht so wirklich. Nachdem ich mich bei meinen Eltern geoutet hatte, konnte ich ihnen offen sagen, wo ich in Frankfurt am Wochenende eigentlich immer hingehe – sonst hatte sich aber nicht viel geändert. Diese Wochenenden in Frankfurt waren damals aber total wichtig für mich. Dort hatte ich meine Gruppe, ich hatte meine Clubs, in denen ich mich wohl und selbstsicher gefühlt habe. Ich hatte das Gefühl, dass ich meine Identität durch das Feiern dort ein Stück mehr entdeckt habe.

V: Hat dir später auch deine Ausbildung an der Schauspielschule dabei geholfen?

J: Ich dachte damals, dass ich an einer deutschen Schauspielschule niemals die Art von Schauspiel machen könnte, die ich eigentlich wollte. Ausserdem hatte ich in den USA angefangen schauzuspielern und wollte auf englisch studieren. Deshalb bin ich nach Liverpool gegangen und hab festgestellt: Dort ist irgendwie alles gleich. Klar gab es auch dort unterschiedliche Menschen und verschiedene Szenen, aber Liverpool ist eine Studentenstadt und ich fand, dass überall die gleichen Leute abhingen. Ich hatte das Gefühl, ich konnte meine Identität nicht mehr so leben, wie ich sie in Frankfurt gelebt hatte. Damals habe ich mich echt ein bisschen verloren gefühlt, bis ich dann in meinen Beruf gestartet bin.

V: Beruflich warst du dann bald auch mit einer weiteren Herausforderung konfrontiert: Wie bist du in der Öffentlichkeit mit deiner sexuellen Orientierung umgegangen?

J: Am Set war ich von Beginn an recht offen damit. Aber gleichzeitig wurde mir immer wieder suggeriert, dass es nicht okay ist, öffentlich darüber zu sprechen, schwul zu sein. Ich bin jahrelang nicht zu CSDs gegangen, weil ich dachte, dass ich dann als queer gelesen werde. Ich traute mich nicht, weil ich dachte: Das muss so sein. Wenn ich das eine – also meine Karriere – will, dann kann ich das andere – also ein öffentliches Coming-Out – nicht haben. Das war in einer Zeit vor #ActOut. Damals sagte man mir immer wieder , ein öffentliches Coming-out könnte das Ende meiner beruflichen Laufbahn bedeuten. Oder dass ich dadurch ein Produkt beschädigen könnte, für das ich ja einen Vertrag unterschrieben habe.

V: Klingt nach sehr viel Druck, unter dem du standest. Du schreibst in deinem Buch von einer Zeit, in der du aufgrund deiner sexuellen Orientierung von einem Journalisten erpresst wurdest.

J: Das war die schlimmste Zeit meines Lebens. Die möchte ich nie mehr erleben und die wünsche ich auch niemandem. Ich hatte damals das Gefühl, als hätte ich den größten Shitstorm meines Lebens – obwohl ja noch gar nichts veröffentlicht war. Und die Scham, die ich als Kind und Jugendlicher schon verspürt habe, die kam da wieder hoch. Ich finde diese Scham, die viele queere Jugendliche haben, ganz schrecklich. Niemand sollte sich dafür schämen, queer zu sein. Wir müssen das enttabuisieren und darüber sprechen. Zum Glück gibt es mittlerweile so viele großartige Menschen, die Vorbilder für queere Jugendliche sein und ihnen Orientierung geben können.

Suit: H&M

V: Du bist auch eins dieser queeren Vorbilder geworden, seitdem du dich 2018 mit einem offenen Brief im STERN selbst geoutet hast. Wie kam es dazu?

J: Dieses zweite, öffentliche Coming-out war für mich ein viel größeres Ding als mein privates. Wenn ich damals im Ausland unterwegs war und dort Leute kennengelernt habe, waren alle total verwundert, dass ich nicht geoutet bin – weil sie auch teilweise aus Ländern kamen, wo viel mehr queere Menschen in der Öffentlichkeit stehen als bei uns.. Es gab dann einen Abend mit einem ehemaligen Austauschschüler, der mich gefragt hat, warum ich nicht offen über meine sexuelle Orientierung spreche. Und da dachte ich selbst: Warum eigentlich nicht? Ich wollte kein Spiel mehr spielen. Ich habe zwar nie etwas vorgetäuscht oder so – aber ich habe einfach eine Seite von mir versteckt und nicht öffentlich gezeigt.

V: Wie hast du die Zeit nach deinem Coming-out erlebt?

J: Im Endeffekt war es genau richtig, wie es gekommen ist. Ein paar Wochen lang war es ein Tsunami der Gefühle, und ich habe immer wieder gedacht: Ich lande gleich unter einer riesigen Welle – immerhin hatte ich vor dem öffentlichen Coming-out davor ja tierisch Angst. Aber als es dann raus war, hatte ich ja nichts mehr, wovor ich mich hätte fürchten können. Ich dachte mir: Jetzt kann nichts mehr kommen. Ich hab es jetzt erzählt. Und damit war die Sache mit der Erpressung auch durch. 

Jacket, Shirt & Pants: COS
Shirt & Jacket: COS

V: Mittlerweile gibt es die Initiative #ActOut, die mehr als 185 queere Schauspieler:innen in Deutschland unterzeichnet haben – als ich davon erfahren habe, war ich überrascht. In meinem Kopf war Queerness im Schauspiel längst kein Ding mehr.

J: Ich dachte bei meinem öffentlichen Coming-out, dass es mir als Moderator weniger schaden würde als in meinem Beruf als Schauspieler. Und schau dir an, wie sich das alles verändert hat! Es haben sich so krass viele Schauspieler:innen geoutet, mit einer so großen Resonanz. Und das in Momenten in ihrem Leben und ihrer Karriere, an denen sie fast ganz oben sind oder es steil bergauf geht. Ich finde das so toll.

V: Seit deinem öffentlichen Coming-out bist du eine Art Spokesperson für queere Menschen in Deutschland geworden. Stellt dich das manchmal auch vor eine Herausforderung?

J: Ich hätte damals auch nicht gedacht, dass ich mal so eine Rolle einnehme. Ich dachte: Vielleicht rede ich jetzt einmal drüber, und gut ist es. Aber ich habe gemerkt, dass es da offensichtlich einen Bedarf gibt, dass ich darüber spreche. Klar stelle ich mir manchmal die Frage, ob dieser Aktivismus manchen Leuten zu viel ist. Ich bekomme immer mal wieder unterschwellig zu hören, dass es seitdem ja ständig um mein Schwulsein geht. Aber wenn man genauer hinschaut, stimmt das nicht. Es geht um ganz normale, alltägliche Dinge eines schwulen Mannes oder eines queeren Menschen, die vorher nicht in der Öffentlichkeit besprochen wurden, weil wir einfach nicht vorkamen. Jetzt reden wir darüber. Ich empfinde das nicht als belastend. Wenn ich irgendwie eine gute Brücke schlagen kann, dann mache ich das gerne.

V: Du bist also nicht nur aus deinem hessischen Dorf ausgebrochen, sondern auch aus deiner eigenen Scham, sogar zwei Mal! Woher hast du die Kraft gezogen und den Ansporn gehabt?

J: Ich glaube, bei mir ist es einfach die Neugier gewesen. Das klingt immer schnell nach Küchenpsychologie, aber ich hab mir selbst oft im Leben die Frage stellen müssen: Wovor hast du Angst? Denn im Endeffekt kannst du immer wieder zurück in dein altes Leben. Ich glaube, diese Neugier wird bei mir auch nie so ganz weggehen.

CREDITS

Editor
Alex Baur | @metaphern

Creative Direction & Styling
Julian Behrenbeck

Photography
Kerstin Hammerschmid

Hair & Make Up
Roman Klammer

Assistant
Leni Pfeiffer
Konstantin Paul



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