Joy of Being Queer Edition

Chapter 15: Born to be Wilde – Frank P. Wilde über das Anderssein & das Gefängnis der Normalität

Als Modedesigner und Gründer des österreichischen Labels „comme il faut“ begann Frank Wilde seine Karriere steil. Der umtriebige 57-Jährige lebt derzeit in Berlin Kreuzberg und hat bereits mit Menschen wie Falco, Nina Hagen und Herbert Grönemeyer zusammengearbeitet. Als Aktivist in vielen gesellschaftspolitischen Bereichen setzt er sich auch für die Lebensräume von Eichhörnchen in Europa ein, was ihm den skurrilen Spitznamen „Eichhörnchenflüsterer” eingebracht hat.

Aufgrund seiner extrovertierten Persona sorgt Wilde immer wieder für die eine oder andere Kontroverse innerhalb der Szene. Ein Gespräch über das Schöne am Queer sein, Role Models und die Philosophie des Älterwerdens.

© David Lindert

Diese Ausgabe trägt den stolzen Namen „The Joy of being Queer“.
Was bedeutet das für dich?

Es repräsentiert für mich vor allem schwules Selbstbewusstsein. Das Wort „queer“ bedeutet störend, abweichend und wurde ursprünglich im englischen Sprachgebrauch als Schimpfwort benutzt, wie im deutschen etwa „Tunte“ oder „Schwuchtel“. Ähnlich den englischen Wörtern „Dyke“ oder „Faggot“ haben die Lesben und Schwulen sich dieses angeeignet und es selbstbewusst und positiv besetzt. Inzwischen steht „queer“ für das ganze Sammelbecken der LGBTQIA+ Community und „the joy of being queer“ repräsentiert ziemlich exakt meine Lebenseinstellung: das Anderssein, das Nonkonforme als Bereicherung und als Geschenk zu sehen. Dem Gefängnis der Normalität zu entkommen und sich seine eigene Sichtweise der Dinge zu schaffen ist vielleicht manchmal ein Kampf, aber es ist auch der Weg zu einem glücklicheren, selbstbestimmten Leben, den ich gerne gehe.

Du bist ziemlich umtriebig in den sozialen Medien.
Spielt das deiner Meinung nach eine besondere Rolle in der Gay-Community?

Wir dürfen nicht vergessen, dass die Selbstmordrate unter queeren Jugendlichen eklatant höher ist als unter gleichaltrigen Heterosexuellen. Wenn ich auch nur einem sexually confused kid in einer Kleinstadt zeige, dass man offen schwul leben kann, mache ich ihm vielleicht Mut, mehr zu sich selbst zu stehen. Ich bin selber in einer kleineren Stadt aufgewachsen und habe als Jugendlicher enorm darunter gelitten, anders zu sein. Ich habe die ganze Wucht der Normalität am eigenen Leib erfahren und mich deshalb viel zu oft in Frage gestellt. Wenn ich nicht Vorbilder wie Romy Haag, David Bowie, Boy George, Harvey Milk oder Rosa von Praunheim gehabt hätte, ich hätte vielleicht nicht die Kraft gehabt, an mich zu glauben und meine vermeintlichen Fehler in Wunderwaffen zu verwandeln. Heute werde ich oft von queeren Initiativen gefragt, ob ich nicht öffentlich für sie sprechen möchte. Ich mache das gerne, weil ich weiß, dass viele Vorurteile aus der Angst vor etwas Ungesehenem entstehen und ich denke, die beste Art, damit umzugehen, ist offen zu leben und sichtbar zu sein. Ich hatte dadurch fast nie Probleme mit Heterosexuellen, ganz im Gegenteil.

Hat dieses offene zur Schau stellen deiner Person auch eine Kehrseite?

Natürlich werde ich auch angefeindet – leider meist von Schwulen, die finden, dass ich mich wichtig mache und versuche, ungebührliche Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. In den sozialen Medien gibt es unglaubliche Chancen, Menschen zu erreichen und sie zu inspirieren, zu bereichern und zu erfreuen. Mein Trick ist, dass ich gerne verführe, mit Bildern, die ästhetisch anspruchsvoll sind, mit Texten, die oft sehr intim sind und einer grundlegend humanistischen Lebenseinstellung folgen, die sich in meinen Beiträgen immer widerspiegelt. Der große Nachteil sozialer Medien ist die Bereitschaft der darin agierenden Menschen, den absurdesten Mist zu glauben, der ihnen ein Feindbild vermittelt, das sie verantwortlich machen können für ihr eigenes, oft wenig zufriedenstellendes Leben. Das zeigt sich vor allem in politischen Fragen, wo gerne Flüchtlinge als Übel einer Krise begriffen und Minderheiten als Bedrohung vermittelt werden. Offen zur Schau gestellter Rassismus, Antisemitismus und jegliche Fremdenfeindlichkeit werden in den sozialen Medien salonfähig gemacht und als Meinung dargestellt, die es zu respektieren gilt.


“Ich möchte, dass die Menschen endlich begreifen, wie viel wir voneinander lernen können und wie bereichernd es ist, wenn wir verschiedene Kulturen und Lebensweisen anerkennen, respektieren und unterstützen.”


Erlebst du diesbezüglich gerade Veränderungen in der Community?

Es ist wohl so: „In times of crisis some people get better, some get bitter.” So zumindest erlebe ich es in meinem Umfeld. Während der überwiegende Teil meines queeres Freundeskreise sich solidarisch verhält, zusammenhält und bedrohte schwule Kneipen, Restaurants und Clubs unterstützt, gibt es natürlich auch einige, die nicht die Wichtigkeit queerer Schutz- und Kulturräume sehen oder die Wichtigkeit eines queeres Magazins, das finanziell bedroht ist. Ich habe gelernt, dass Solidarität das Fundament für gesellschaftliche Veränderungen bildet und will gerne meinen Beitrag dazu leisten.

Wenn ich die letzten 20 Jahre Revue passieren lasse, bist du einer der wenigen Menschen, die gefühlt jedes Jahr jünger werden. Wie machst du das?

Ehrlich gesagt habe ich nicht das Gefühl, jedes Jahr jünger zu werden. Ich bin jetzt 57 und ich finde, ich sehe meinem Alter entsprechend aus. Es ist traurig, dass sich so viele Menschen mit dem Älterwerden so zurücknehmen, gerade als hätten sie kein Recht mehr auf Glamour, Sex und Lebensfreude. Viel zu viele Leute lassen sich alt reden und passen sich den Erwartungen der Gesellschaft diesbezüglich an. Ich will niemandes Erwartungen entsprechen, sondern meinen eigenen gerecht werden, um wirklich gut zu sein – sowohl beruflich als auch privat.

Was sind die Meilensteine, die du unbedingt noch erreichen möchtest?

Oh, da gibt es eine Menge Dinge: Ich möchte, dass mein Lover endlich sieht, wie sehr er mich liebt und mich heiratet. Ich möchte, dass die Menschen endlich begreifen, wie viel wir voneinander lernen können und wie bereichernd es ist, wenn wir verschiedene Kulturen und Lebensweisen anerkennen, respektieren und unterstützen. Und dass Kunst, Kultur und Lebensfreude als systemrelevant erachtet werden. Und ich möchte, dass wir uns als Teil des Universums begreifen und dementsprechend gegenüber unseren Mitmenschen, Flora und Fauna verhalten. Am I asking for too much? I don’t really think so to be honest.

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