Joy of Being Queer Edition

Chapter 7: The New Straights – Ein neues Bild der Männlichkeit?

Sie sind jung, sie leben (hauptsächlich) heterosexuelle Romanzen und sie stellen gesellschaftliche Normen in Frage. Längst schwappt das Reflektieren der eigenen Privilegien und seiner eigenen Stellung in der Gesellschaft aus der Gay-Community zu den Straights über. Ein neues Bild der Männlichkeit hält Einzug, bei der Begrifflichkeiten schnell an ihre Grenzen kommen.

Was in den letzten Jahrzehnten wenig beachtet und erforscht als Metrosexualität abgeschrieben wurde und mit sogenannten “Role Models” wie David Beckham versehen war, findet langsam Anklang in der kritischen Soziologie und Geschlechterforschung. Der Soziologe Robert Heasley nennt seine Theorien dazu “Straight-Queer Masculinities” und beschäftigt sich seit Jahren mit den verschiedenen Typen der Gender-Queerness bei sich selbst als vorrangig heterosexuell definierenden Männern und liefert dabei die theoretische Grundlage für eine Maskulinität, die außerhalb der heteronormativen Gesellschaftsordnungen und neben der Gay-Community bestehen kann, ohne Platz zu okkupieren. Fünf Männer erzählen von ihren Antrieben, ihren Reflexionen und werfen sich nebenbei vor der Kamera in ihre Gender-Bending-Lieblingsoutfits.

Simon
(24, Kellner)

“Anfangs sah ich den Ausdruck meiner Kleidung als eher persönliche Sache und als einen weg, mit mir selbst klarzukommen. Mittlerweile sehe ich es als Aufgabe, Geschlechterrollen zu hinterfragen und Tabuisierungen aufzubrechen. Mein Ansatz ist es, übertrieben offen damit umzugehen. Bereits vor meiner Pubertät hatte ich immer ein weiblich dominiertes Umfeld. Meine Outfitentschedungen waren daher teilweise fremdbestimmt – auf eine wertschätzende Art und Weise. Durch akzeptierendes und empowerndes Feedback erkannte ich auch meine eigene Authentizität, die sich eben nicht durch Rollenklischees ausdrücken lässt. Dieses Shirt habe ich zum Beispiel von einer Arbeitskollegin im Rentenalter aus dem Cafe ‘Vollpension’. Sie heißt Hilde, war früher Schneiderin und hat mir dieses Teil mitgebracht, weil sie dachte, dass es mir gefallen könnte. Auch am Arbeitsplatz ich selbst sein zu können gibt mir ein Gefühl von Akzeptanz, das jedem Menschen im Laufe seines Lebens gegenüber seines persönlichen Ausdrucks zuteil werden sollte.”

Pete
(26, Marketingstratege)

“Wenn ich von meiner Kleidung spreche, verwende ich nicht den ausdruck “feminin” – ich nenne es ‘Menschenkleidung’, obwohl ich dadurch meine feminine Seite zum Ausdruck bringen will. Trotzdem möchte ich das nicht in ein binäres Licht rücken und dadurch festgefahrene Dogmen reproduzieren. Seit Herbst 2018 experimentiere ich daher mit verschiedenen Kleidungen und arbeite dabei am liebsten mit Kontrasten. Schlechte Erfahrungen habe ich dabei bisher keine gemacht. Warum nicht ein Kleid mit Radelhosen und ein paar Narben und Ölverschmierten Beinen kombinieren? Wenn ich mit meinen Outfits auffalle, merke ich, dass mir Menschen gleich offener gegenübertreten und sich Gespräche sehr viel schneller auf einer tiefergehende Ebene entwickeln. Ich hoffe, dass ich damit einen positiven Beitrag zur Entwicklung einer progressiven Gesellschaft leisten kann. Dazu gehört für mich auch, mit dem häufigeren Tragen eines Hochzeitskleids die Konsumgesellschaft in Frage zu stellen, in der solche Kleider häufig nur ein einziges Mal getragen werden.”

Paul
(22, Sportstudent)

“Meine ersten Berührungen mit Mädels-Klamotten habe ich bereits im familiären Umfeld gemacht. Meine zwei älteren Schwestern haben mich bereits als Kind immer wieder eingekleidet. Nach meinem Umzug nach Wien vor drei Jahren habe ich dann Räume kennengelernt, in denen es OK ist, sich mehr über das Äußere auszudrücken. Das waren vor allem Nachtclubs. Dort ist es oft egal, wer du bist und wie du ausschaust. Ich finde Menschen unabhängig ihres Geschlechts oder ihrer Identität in coolen Outfits sehr attraktiv und möchte das im Sinne einer gewissen Androgynität ausdrücken. Für mich trägt jeder Mensch seine eigene Kombination von dem, was wir heutzutage als Geschlechternormen in sich – dieses Schwarz-Weiß-Denken ist längst überholt und ich trug das früher auch in mir.  Das Erleben der Rolle anderer Geschlechter-Expressions macht für mich andere Lebensrealitäten greifbar. Was an einer Frau ästhetisch ist, muss ja auch an Männern irgendwie schön sein können. Bei der Auswahl meines Outfits war meine Freundin maßgeblich beteiligt. Wir haben uns gemeinsam an ihrem Kleiderschrank ausgetobt.” 

Sam
(29, Kunst- und Werklehrer)

“Die Erkenntnis, dass ich doch nicht nur an frauen interessiert bin, hatte ich relativ spät, mit Anfang 20. Damals beschäftigte ich mich viel mit mir selbst und habe dabei relativ viel ausprobiert, aber zu längeren oder intensiveren Kontakten mit Männern kam es zu der Zeit noch nicht. Dieser Drang des Ausprobierens wurde schlussendlich auch in der Beziehung mit meiner Freundin zum Thema. Was am Anfang eher ein Problem war, können wir mittlerweile beide als sexuelles Bedürfnis und Neugierde akzeptieren. Dieses Streben nach Neuem gepaart mit dem Bedürfnis, Strukturen nicht zu akzeptieren, äußert sich auch in meinem Erscheinungsbild. Gerade Kleidung sollte nicht konnotiert sein. Man kann sie zwar als Statement tragen, aber man muss es nicht. Im Alltag kleide ich mich eher leger und unauffällig, deswegen suche ich gerne safe spaces wie Festivals und Clubs auf. Dort kann ich mich mit meinen Outfits völlig austoben und mich selbst ein Stück weiter kennenlernen. Das Gefühl, Stigmata brechen zu können, treibt mich dabei an.”

JP Oliver
(28, Musiker)

“Für die meisten bin ich ein ‘Mann’. Für mich fühlt es sich wie eine Mischung aus verschiedenen Lebenskräften oder ‘Energien’ an. ‘Feminin’ und ‘maskulin’ kennen wir aus dem Wortschatz. Vermutlich gibt’s aber noch mehr. In verschiedenen Lebenslagen mischen sich diese Kräfte immer aufs Neue und ein neues ‘Ich’ entsteht. Teils sind es angelernte Verhaltensmuster, teils sind es Ergebnisse intuitiver Entscheidungen, manchmal sogar ausgewählte und in die Tat umgesetzte Strategien des Umgangs mit anderen, als Ausdruck des inneren Ich. Es ist ein Privileg, sich das erlauben zu können, aber in dieser Position auch meine Verantwortung, dafür zu kämpfen, ‘ich’ zu sein zu normalisieren und den Begriff ‘Mann’ neu zu definieren. Weil ich einen anderen Tonfall nutzen will, weil mir die Auswahl in der Männerabteilung nicht gefällt, weil ich Eyeliner gern habe, weil ich lieber zum Ballett statt ins Fußballstadion gehe, weil ich lieber Cider statt Bier bestelle, weil ich drauf los weine, wenn es mir schlecht geht. Und weil ich sehe, dass es anderen Männern auch so geht.”


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