Andy Warhol ist glitzerndes Sinnbild für eine Ära voller Sex, Drugs, Gayness, Drag und naja … bunte Marilyn Monroes. Er war vielmehr stiller Beobachter der Gesellschaft als tatsächlicher Teilnehmer in der wilden New Yorker Partyszene der 70er. Lieber im dunklen Keller des weltberühmten Studio 54 als oben auf der vibrierenden Tanzfläche. Demnach könnte in jeder Person, die heute am Rande des Dancefloors steht, ein moderner Andy Warhol stecken. Der Schrecken eines jeden DJs.
Warhol schuf mit The Factory sein eigenes Hollywood. Neben dem kollektiven Charakter der Arbeit widersetzte sich die dort geschaffene Kunst jeglichen Vorstellungen der Kunstkritiker*Innen, indem diese immer wieder wie Massenmedien reproduziert wurde. Was meist nicht gezeigt wird, sind jene Arbeiten, mit denen er versuchte, die Frage nach seiner schwulen Identität aufzugreifen – Zeichnungen und Illustrationen und noch vieles mehr, was fernab von bunten Suppendosen existiert.
Derzeit nimmt sich das Wiener Museum Moderner Kunst (mumok) dieser unbekannten Seite des Künstlers an und widmet ihm eine große Ausstellung. Wir haben mit der Kuratorin Marianne Dobner über Warhols komplexe Identität, Boy-Book-Zeichnungen, ergreifende Selbstporträts in Drag-Aufmachung und Warhol in Wien gesprochen …
Was hat Sie dazu verleitet, eine Ausstellung mit dem Unbekannteren von Warhols Schaffen zu kuratieren?
Zu Studienzeiten langweilte mich das Kapitel Andy Warhol zu Tode. „Alles schon gesehen“, dachte ich. 2013 bekam ich die einmalige Chance am Münchner Museum Brandhorst an der von Nina Schleif kuratierten Ausstellung Reading Andy Warhol mitzuarbeiten – eine Aufarbeitung von Warhols künstlerischem Schaffen in Buchform. Es folgten eine Masterarbeit zu dem Thema, eine Dissertation, an der ich nach wie vor arbeite und schließlich die Ausstellung im mumok, die all meine Erkenntnisse der letzten acht Jahre vereint. So gelang es mir, Warhols Œuvre nicht in Form einer klassischen Retrospektive zu präsentieren, sondern einen exemplarischen Überblick über seine Ausstellungspraxis zu geben und damit den warholschen Mythos eines „Charakters ohne Vergangenheit“ in Frage zu stellen.
Inwiefern ist Andy Warhols Homosexualität in seiner Kunst wiederzufinden?
Sucht man danach, findet man sie nahezu überall. Während Warhol in den 1950er-Jahren noch mit sogenannten „gay codes“ operierte – in seinem „Ladies‘ Alphabet“ (1953) jubelte er beispielsweise die vermeintlichen Frauenportäts dreier Männer in Drag unter – wird dies in den 1970er- und 80er-Jahren immer expliziter. Die äußerst humorvolle Serie der Cock Drawings (1950er) fand ihre spätere, wesentlich härtere Entsprechung in Serien wie den Sex Parts (1978), in denen Ausschnitte eines homosexuellen, geschlechtlichen Aktes zu sehen sind.
Andy Warhol lebte seine Homosexualität nie öffentlich aus, obwohl er sie, darauf angesprochen, nie abstritt. Wie kann man demnach seine Beziehung zu seiner Sexualität beschreiben?
Das stimmt so nicht ganz. Warhol konnte zwar in den 50er-Jahren seine Homosexualität nicht öffentlich ausleben, tat dies aber in späteren Jahren umso mehr. Ein Grund dafür fand sich in den strengen Sodomie-Gesetzen, die das New York der 1950er-Jahre stark prägten und Homosexualität zu einer Straftat machten. Hier liegt vielleicht auch der Ursprung seiner oft zitierten Doppelpersona, eines Zwiespalts, dem er nie ganz entkam. Der Ausstellungstitel geht auf ein Zitat Warhols zurück: „Among other things, drag queens are living testimony to the way women used to want to be, the way some people still want them to be, and the way some women still actually want to be. Drags are ambulatory archives of ideal moviestar womanhood. They perform a documentary service, usually consecrating their lives to keeping the glittering alternative alive and available for inspection.”
Andy Warhol hat es verstanden, die Konsumkultur der Gesellschaft für seine Kunst zu nutzen. Wir leben noch immer in dieser Konsumgesellschaft. Denken Sie, würde Andy Warhol in der heutigen Zeit Social Media für seine Kunst verwenden?
Auf jeden Fall würde er das tun! Wir werden leider nie wissen, wie. Fest steht für mich, dass er – ähnlich wie er es in der Malerei, im Film oder in seinen Zeichnungen getan hat – die Grenzen des Mediums ausgelotet, wenn nicht sogar gesprengt hätte.
Andy Warhol war ein König der Selbstinszenierung. Gab es Personen, außer ihn selbst, von denen er Inspiration schöpfte?
Tatsächlich war das Gegenteil der Fall. Warhol schöpfte seine Inspiration vorwiegend aus der Auseinandersetzung mit anderen Künstler*innen. Die Verweigerung der Autorschaft war eine Taktik, welche die Kunst der Zeit stark beeinflusst hat. Die Möglichkeit, dank Industrialisierung Objekte massenhaft herstellen zu lassen und so die eigene Handschrift zu objektivieren, steht ganz im Zeichen der Minimal und Conceptual Art: Kunstbewegungen, die Warhols Praxis stark geprägt haben.
Andy Warhols Prophezeiung, dass jede Person in der Zukunft „15-minutes-of-fame“ erlangt, scheint sich in unserer Social Media Kultur zu bestätigen. Was macht Andy Warhol so besonders, dass er es schon seit sieben Jahrzehnten tut?
Heute scheint es, als wäre Warhol in vielerlei Hinsicht ein Vorreiter gewesen und häufig seiner Zeit voraus. Er ist und bleibt ein Mysterium, das wir bis zum heutigen Tag noch nicht geknackt haben. Eine Tatsache, die ihn und sein Werk einfach nicht langweilig werden lässt.
Die Figur Andy Warhol steht für das Zusammenspiel seiner zwei Identitäten: Die eines bunten, höchst provokanten Pop-Artist und die verborgene, sensible eines schwulen Künstlers. Die Gegenwart erlaubt uns, – was Warhol zu seinen Lebzeiten nicht in vollem Ausmaß möglich war – das Bestehen beider Charaktere nebeneinander. Laut und leise. Bunt und farblos. Materialistisch und idealistisch. Berühmt und schwul. Und immer alternativ glitzernd.
Die Ausstellung ist noch bis zum 31. Jänner 2021 im mumok Wien zu sehen.