Bling Bling Edition

Chapter 7: Identitätskrise – Wie es sich anfühlt, im Internet kopiert zu werden

Für mich war Online-Dating immer ein Fluch und Segen zugleich: Zwar kann man nirgendwo sonst ein so perfekt durchdachtes Bild von sich selbst abgeben, gleichzeitig läuft man immer wieder Gefahr, einem Fake-Profil zum Opfer zu fallen. Mir ist genau das passiert: Ich wurde im Internet kopiert.

„Alex, bist das du oder faket dich da wer?“, lese ich auf dem Sperrbildschirm meines Handys. Die Nachricht ist von meinem Chef, angehängt hat er Fotos. Genauer gesagt: Meine Fotos. Ich blicke mir selbst aus einem meiner besseren Winkel entgegen – es ist ein Selfie, an das ich mich fast nicht mehr erinnere, das aber wohl noch irgendwo auf meinem Instagram-Account zu finden ist. Darunter steht ein Username: dermitdemwolf94. Ich erkenne das Interface der Dating-App sofort, schließlich war ich selbst lange genug dort angemeldet. Als ich mit pochendem Herzen die Bilder durchgehe, finde ich mehr über mein Alter-Ego heraus: Laut Fake-Profil bin ich neun Zentimeter kleiner als in echt und auch im Gewicht hat sich mein Imitator offensichtlich ein wenig verschätzt. Doch eine Tatsache stimmt, bei der sich mir der Magen umdreht: dermitdemwolf94 wohnt angeblich im 8. Wiener Gemeindebezirk – also in meinem Viertel.


“Sein Profil bestückte er
mit zwei Bildern von mir,
die nicht auf meinem Instagram-Profil
zu finden waren.”


Ich verliere meine Identität nicht zum ersten Mal

Eigentlich sollte es mich nicht so treffen, denke ich mir. Schließlich ist es nicht das erste Mal, dass mir so etwas passiert. Schon ein Jahr zuvor erhielt ich ähnliche Screenshots: devotdude hieß das Profil, das damals Fotos von meinem Gesicht verschickte, gepaart mit fremden Dic Pics. „Suche immer coole Typen“ schrieb mein Fake damals. Er steht beim Sex auf Erniedrigung, mag es, angepisst zu werden und ist „nicht so geübt im Blasen“. Sein Profil bestückte er mit zwei Bildern von mir, die nicht auf meinem Instagram-Profil zu finden waren. Ich habe keine Ahnung, wie er an die Fotos gelangt ist. 

Mein Fake-Account ist kein Kompliment
an meine Attraktivität

Damals entschied ich mich lediglich dazu, das Profil sperren zu lassen. Ich sagte mir, dass sowas schon mal passieren könne und gab mir selbst die Schuld. Schließlich hatte ich ja freiwillig Bilder von mir ins Netz gestellt. Mein Instagram-Profil ist öffentlich und auch sonst findet man bei Google schnell das ein oder andere Foto von mir. Als ich einem Freund damals von devotdude erzählte, versuchte er mich aufzumuntern: Eigentlich sei das ja ein Kompliment an mein Aussehen, meinte er. Doch ich fühlte mich alles andere als geschmeichelt. Ich fühlte mich entmündigt und irgendwie schämte ich mich auf eine abgefuckte Art und Weise dafür. Schließlich pries hier ein mir unbekannter Mensch seine sexuellen Bedürfnisse unter meiner Identität an.


“Eigentlich sei das ja
ein Kompliment an mein Aussehen,
meinte er.”


Mit meiner Erfahrung bin ich nicht allein 

Als ich das Profil von dermitdemwolf94 entdecke, ist das im ersten Moment nicht anders: Anstatt Anzeige zu erstatten oder das Profil sperren zu lassen, verkrieche ich mich erstmal unter meiner Bettdecke. Mir ist es unangenehm, dass mein Chef dieses Fake-Profil entdecken musste – wer hat es wohl sonst noch gesehen? Als ich im Supermarkt stehe, kann ich an nichts Anderes denken, als an die Leute, mit denen mein Fake-Profil wohl Kontakt hatte. Ob mich wohl jemand hier als dermitdemwolf94 erkennt – ohne dass ich davon weiß? Ich beschließe mir selbst einen Account auf der Plattform anzulegen, möchte mein Fake-Profil konfrontieren, bekomme aber keine Antwort.

Also beginne ich mich einzulesen: Schon die erste schnelle Google-Suche offenbart, wie viele Menschen von Dating-Fakes betroffen sind. Ich finde zahllose Berichte von jungen Frauen und Männern, deren Bilder gestohlen wurden. Die Meisten davon sind wütend, schämen sich und sind vor allem eins: ratlos.

Mich zur Wehr zu setzen ist alles andere als leicht

Vielleicht ist es die Tatsache, dass ich zum zweiten Mal mit einem Fake-Profil konfrontiert werde. Oder dass mein Chef mich darauf aufmerksam gemacht hat. Oder dass mein Imitator zu wissen scheint, wo ich wohne. Es reicht mir nicht, das Profil sperren zu lassen. Ich möchte herausfinden, wer dahintersteckt. Doch aus meiner Internetrecherche weiß ich bereits, wie gering meine Chancen sind. 


“Wie viele Fake-Profile gibt es wohl noch da draußen, die mit Bildern von mir bestückt sind?”


Trotzdem schreibe ich den Betreiber*innen der Plattform: Sie sperren sofort das Profil und sorgen dafür, dass die Bilder nie mehr auf ihre Plattform geladen werden können. Eine IP-Adresse dürfen Sie allerdings so einfach nicht herausrücken. Ich solle schriftlich Anzeige bei meiner zuständigen Staatsanwaltschaft erstatten. Nur durch ein internationales Rechtshilfeersuchen könnte ich jemals die wahre Identität hinter dem Fake-Profil herausfinden. Die Wiener Staatsanwaltschaft hingegen interessiert sich reichlich wenig für mein Anliegen. Nachdem ich über mehrere Seiten hinweg schriftlich Anzeige erstattet habe, werde ich zu einer Aussage vorgeladen. Ich bin nervös, bringe Screenshots mit, dokumentiere alles fein säuberlich – und höre dann nie wieder etwas von der Justiz.

Die Machtlosigkeit über meine eigene Identität
zehrt an mir

Niemand kann mir die Fragen beantworten, die mich seit Tagen quälen: Wer tut sowas und warum? Wieso trifft es gerade mich schon wieder? Wie viele Fake-Profile gibt es wohl noch da draußen, die mit Bildern von mir bestückt sind? Im Endeffekt ist selbst meine Anzeige gegen Unbekannt nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Schließlich kann mir niemand die Macht über meine eigenen Bilder zurückgeben. Niemand kann mir sagen, wie viele Menschen in Kontakt mit meiner geklauten Identität waren – und was aus diesen Chats geworden ist. 

Aus diesem Gefühl der Machtlosigkeit nehme ich jedoch eins mit: Ich möchte mich nicht dafür schämen oder mir selbst Vorwürfe machen. Selbst wenn ich mich für immer aus dem Internet verabschiede, kann ich meine Existenz dort nicht auslöschen, egal wie vorsichtig ich bin. Eigentlich wäre es Aufgabe der Behörden, Identitätsklau auch beim Online-Dating zu verfolgen: Doch es fehlt nicht nur an rechtlichen Rahmenbedingungen, sondern auch an Verständnis für das, was Betroffene dabei durchmachen. Solange sich das nicht ändert, ist es zu einfach, sich online als jemand anderes auszugeben – und Menschen wie ich müssen weiterhin tatenlos zusehen, wie ihnen die Macht über ihre Identität genommen wird.


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