Bling Bling Edition

Chapter 15: I don’t need your Label – Die Heteroflexibilität und Ich

Der Labelzwang ist überall und kann beim Erforschen der eigenen Sexualität lähmend wirken. Dom hat in der Heteroflexibilität einen Zwischenstopp auf seiner Reise gefunden.

Es war nicht einfach für Dom, seine Sexualität zu erforschen und eine geeignete Definition für sich zu finden. Durch einen Bekannten, mit dem er schlussendlich auch sexuellen Kontakt hat, erfährt er zum ersten Mal vom Konzept der Heteroflexibilität. Ein Ansatz, der ihm dabei hilft, sich auszuprobieren. Schon seit den frühen 00er Jahren erscheinen regelmäßig Studien zum Thema. Die schwierige und teilweise problematische Abgrenzung zur Bisexualität zeigt dabei die grundsätzliche Problematik der Kategorisierung sexueller Vorlieben …

Du bezeichnest dich als heteroflexibel. Wie bist du darauf gekommen?

Die ersten Erfahrungen habe ich in der Volksschule gemacht. Da habe ich mich über zwei Jahre lang immer wieder mit einem gleichaltrigen Jungen versteckt und wir haben uns ausprobiert. Danach kam es erst wieder mit 21. Dabei habe ich versucht, meine Empfindungen zu ordnen. Aber erst ab Mitte 20 habe ich die Sache dann aktiv verfolgt und war relativ wütend – vor allem auf mich selbst. Erst jetzt kann ich es ganz normal ausprobieren, ohne dass ich dabei Angst habe oder Scham verspüre. Lange merkte ich dann auch eine Unsicherheit in meiner Sexualität und ich fragte mich, ob ich denn eigentlich noch auf Frauen stehe. Ich hab das dann Freundinnen und Freunden erzählt und die haben diese Angst dann auch gar nicht nachvollziehen können. 

Was kann man sich unter dem Begriff Heteroflexibilität vorstellen? 

Heteroflexibel bedeutet, dass ich hauptsächlich heterosexuellen Kontakt – also Sex mit Frauen – habe, aber auch neugierig bin, wie es ist, mit Männern zu schlafen. Vor solchen Erfahrungen scheue ich mich nicht und die ersten Versuche gab es auch schon. Wenn ich davon erzähle, werden viele Leute in meinem Umfeld hellhörig, weil sie merken, dass das ein interessanter Weg sein kann zu experimentieren, ohne dabei die sichere Zone ihrer Identität zu verlassen. 


“Ich habe das Ausprobieren als Art Revolte gegen den Konservativismus verstanden.”


Wie hast du erkannt, dass das die passende Definition für dich ist?

Derzeit definiere ich mich als heteroflexibel, aber ich glaube nicht, dass das absolut ist, weil es mir noch an gewissen Erfahrungen mangelt. Ich habe zum Beispiel noch nie mit einem Mann alleine geschlafen, was ich allerdings ausprobieren müsste, um mir diese Klarheit zu schaffen. Ein Dreier-Setting mit einer Frau und einem Mann habe ich schon erlebt. Das war sehr erregend, eben auch wegen dem Mann. Allerdings habe ich da auch gemerkt, dass es mir nur mit einem Mann etwas zu wenig wäre – wobei das natürlich auch an dem einen Mann liegen könnte und nicht an der generellen Vorstellung. Lustigerweise war er es, der mir das Konzept der Heteroflexibilität als erstes vorgestellt hat. 

Klingt recht überlegt das Ganze. Normalerweise passiert sowas doch eher umgekehrt, nicht?

Grundsätzlich hatte ich lange das Gefühl, etwas Neues ausprobieren zu müssen. Als Art der Revolte gegen den Konservativismus. Das hat mich aber nicht wirklich glücklich gemacht, weil ich mir dabei nicht im Klaren war, was genau mich eigentlich treibt beziehungsweise mir gefällt. Das hat mich dann dazu gebracht, meine Gefühlswelt bewusster zu erforschen. Das Ganze wurde dadurch erschwert, dass ich bei Menschen ein schlechtes Radar hab, was das Flirten betrifft. Das heißt, dass ich mir immer schwer getan habe, zu erkennen, worum es meinem Gegenüber im Gespräch gerade geht, was oft zu schwierigen Situationen geführt hat, weil die Person mit mir schlafen wollte und ich das ganz anders gedeutet habe. 


“Ich glaube, dass wir uns im Wandel befinden und neu aufkommende Definitionen ein Weg dafür sein können, von Zuschreibungen
weg zu kommen.”


Wie ging deine Identitätsfindung weiter?

Ausschlaggebend war die Zeit, in der ich aktiv Männer in meinem Freundeskreis gefragt habe, wie das bei ihnen ausschaut. Die haben mir dann teilweise sehr offene Einblicke gegeben. Einer davon hat sich zu dem Zeitpunkt als heteroflexibel bezeichnet und mir von seiner Erfahrung mit einem Mann erzählt. Dass es schön war, aber dennoch etwas gefehlt hat. Das habe ich dann spannend gefunden und selbst ausprobiert. Der erste bewusste Kuss mit einem Mann war dann für mich sehr verblüffend, weil es sich einfach ganz normal angefühlt hat.

Was löst dein Gefühl aus, dass es da noch etwas gibt, dass du erforschen musst?

Manchmal sehe ich Männer, bei denen ich sofort das Bedürfnis habe, ihnen nahe zu sein und sie kennenzulernen. Außerdem habe ich auch in meinen sexuellen Kontakten mit Frauen gemerkt, dass ich sehr viel anale Lust empfinden kann, was mir natürlich sofort zu denken gibt, was es da für mich selbst noch zu entdecken lohnt. Die zwei Faktoren fallen mir da als erstes ein. 

Du sagst, du weißt noch nicht, wo dein Weg hingehen wird. Du hast deine endgültige Definition noch nicht gefunden. Glaubst du, das wird sich noch entwickeln oder hast du eine konkrete Idee, in welche Richtung du sexuell experimentieren möchtest?

Weder noch, ich glaub eher, dass ich grundsätzlich für Menschen offen bin und wenn mir jemand in seiner oder ihrer Ausstrahlung gefällt, dann ist das mein Fokus. Alles andere hat mich bisher eher blockiert. Deshalb habe ich absolute Zuschreibungen hinter mir gelassen, betrachte Menschen so, wie sie vor mir stehen und möchte neugierig bleiben. Ich glaube, dass wir uns im Wandel befinden und neu aufkommende Definitionen ein Weg dafür sein können, Zuschreibungen, ob sie sich jetzt auf Geschlechtsidentitäten, Charakterzügen oder Orientierungen beziehen, hinter uns lassen können.


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