Beruflich Musik zu machen stand bei W1ze nie auf der Agenda. Nach dem Abitur in Simbabwe entschied sich W1ze nach Österreich zu ziehen, um Familienmitglieder wiederzusehen und eine Karriere im Hotelbusiness zu starten. Durch die Musik fand W1ze, 26, nicht nur einen alternativen Berufsweg, sondern auch zu sich selbst. Während sie/er noch dabei ist, ihre/seine weibliche Seite zu entdecken, spricht W1ze auf Sozialen Medien darüber, sich selbst treu zu bleibt und seinen inneren Freak zu akzeptieren. Wir haben uns mit W1ze zusammengesetzt und über Rollenbilder, Repräsentation, Selbstfindung und die Ablehnung von gesellschaftlichen Normen gesprochen.
W1ze, du bist seit 2019 bei Sony Music unter Vertrag.
Im selben Jahr hast du angefangen, deine eigenen Songs zu schreiben.
Wie hat sich das auf deine persönliche Entwicklung ausgewirkt?
Es war ein Heilungsprozess. Mit jedem Tag lerne ich mich durch die Musik besser kennen. Ich sage immer, dass die Person, die ich jetzt bin, nicht die ist, die ich 2019 war. Damals kannte ich noch nicht einmal meine Pronomen und jetzt merke ich, wie viel ich durch den Prozess über mich selbst herausgefunden habe. Ich habe all meinen Schmerz und meine Erfahrungen aufgeschrieben und fühle mich dadurch so befreit. Das ist wirklich schön. Ich fühle mich heute frei, weil ich die Person sein kann, die ich sein will. Heute identifiziere ich mich als er und sie und ich habe das Gefühl, das war schon immer in mir.
Freiheit ist auch ein zentrales Thema in deinen Songs.
Hast du dich immer schon frei gefühlt, dein wahres Ich auszudrücken?
Als Kind habe ich mich sehr feminin gefühlt und wusste, dass ich weiblich bin, aber ich habe das nicht verstanden. Ich bin sehr konservativ aufgewachsen und hatte nicht die Freiheit, diese Seite von mir auszuleben, also musste ich das alles in mir behalten. Das war aber nicht der richtige Weg, weil ich dadurch einen großen Teil von mir nicht kennenlernen konnte. Es ist schade, dass es so lange gedauert hat, aber ich bin dankbar zumindest jetzt diese offene Einstellung zu haben und mein wahres Ich entdecken zu können.
Du bist in Simbabwe aufgewachsen. Hattest du Idole in deiner Kindheit, zu denen du aufgeschaut hast?
Ja, besonders Sänger:innen. Vielleicht ist es ein bisschen seltsam, aber ich war ein riesiger Fan von Beyoncé. Und auch von Prince und Whitney Houston. Für mich waren es diese Leute, denen alles egal war. Das habe ich an Prince besonders geliebt – dass er frech war und an die Liebe glaubte. Geschlechtslose Liebe, die Liebe an sich. Das war ein Wahnsinn für mich. Und bei Beyoncé war es unglaublich mitanzusehen, wie sie von einer sehr jungen Sängerin zu der Ikone wurde, die sie heute ist. Es ist äußerst inspirierend zu beobachten, wie eine Afroamerikanerin so viel erreicht. Dafür habe ich enormen Respekt. Wenn es jemanden gibt, zu dem ich aufschaue, dann ist es Beyoncé, sie ist die Königin.
Wie ist es für dich, sowohl deine Femininität als auch deine Maskulinität anzunehmen?
Ich betrachte meinen Körper als Raumschiff und sage immer, er ist zu modern für diese Welt. Dein Äußeres spielt keine Rolle – was du in dir trägst, ist alles, was zählt. Und innerlich empfinde ich mich als sehr feminin. Im Moment könnte ich sagen, dass ich mich mit beiden Seiten wohlfühle, aber ich erforsche jetzt mehr die weibliche, weil ich sie wirklich kennenlernen möchte. Es ist, als würden sich meine Weiblichkeit und Männlichkeit umarmen.
„Es ist keine Entscheidung, ob man cis, trans, nichtbinär etc. ist. Dementsprechend kann man sich auch nicht umentscheiden.“
Was ist dein Schlüssel zu Selbstvertrauen und dazu, alle verschiedenen Seiten von dir selbst – der männlichen, der weiblichen und allem dazwischen – auszuleben?
Mir wurde in meinem Leben immer „Nein” gesagt und irgendwann war ich an dem Punkt, wo ich diese Negativität nicht mehr wollte und ich sie ins Positive gewandelt habe. Ich war es so leid für andere Menschen und deren Meinungen zu leben, sodass ich einfach beschloss glücklich zu sein. Ich wusste nicht was Glück ist, aber ich wusste, dass ich Freude empfinden wollte. Also fing ich irgendwann an mir mein eigenes „Ja“ zu geben, ich selbst zu sein und zu sehen, was passiert. Ich meine schlimmer als „Nein“ kann die Antwort nicht werden, daher ist es doch besser etwas auszuprobieren und zu wissen, ob etwas funktioniert oder nicht, als es gar nicht erst zu probieren. Aber einfach ist das nicht. Ich selbst bin noch immer am Lernen und habe Zweifel und Unsicherheiten.
Deine Musik lässt sich kaum einem Genre zuordnen.
Ist das ein Spiegel deiner Persönlichkeit?
Meine Musik ist definitiv ein Spiegelbild von mir. Sie lässt sich in keine Kategorien einordnen aber sie klingt gut und hat einen bestimmten Vibe. Ich würde sagen, es ist queere Musik. Ich habe das Gefühl, dass sie definitiv von Leuten verstanden werden kann, die sie verstehen wollen. Der Inhalt hat die größte Bedeutung, denn meine Musik handelt hauptsächlich von Dingen, die ich persönlich erlebt habe.
„Ich möchte einfach als Mensch angesehen werden.
Als Mensch, der Liebe erlebt, Liebe gibt.“
Auf deinem Instagram-Account sprichst du sehr deutlich aus, dass du dich ausschließlich an deinen eigenen Standards orientierst. Was genau meinst du damit?
Ich möchte nicht gesagt bekommen, woran ich mich zu halten habe. Wenn du nicht hetero bist, nehmen die Leute an du bist schwul und erkennen den ganzen Zwischenraum nicht. Ich habe mir immer Vorwürfe gemacht, dass ich so negative Gefühle mir selbst gegenüber hatte. So zu sein, wie ich bin, wird ja manchmal noch als etwas Negatives angesehen. Und das ist der Grund, warum ich mir nicht gerne ein Label zuschreibe. Oft ist so viel Negatives mit Kategorien verbunden. Das will ich nicht. Ich möchte einfach als Mensch angesehen werden. Als Mensch, der Liebe erlebt, Liebe gibt.
Glaubst du, du bist zu dem geworden, was von dir erwartet wurde? Oder bist du, wer du heute bist, weil du gemacht hast, was du wolltest?
Ich glaube, dass die Menschen immer noch Erwartungen an mich haben, aber daran werde ich mich nie halten. Ich werde immer ich selbst sein und das tun, was ich will, denn das ist mein Leben. Ich glaube niemand hat gedacht, dass ich so laut sein und Musik machen werde, aber ich bin froh, dass alles so gekommen ist wie es ist – es war eine Wendung zum Besten.
„Selbst die queere Repräsentation, die wir gewohnt sind, ist noch nicht alles, was die queere Community ausmacht.“
Wir leben in einer heteronormativen Gesellschaft, aber Apps wie TikTok scheinen Bewusstsein für Themen wie Sexualität und Identität zu schaffen. Stimmst du dem zu?
Sind wir in einer Blütezeit der Repräsentation?
Ich finde, es ist schon besser geworden, aber wir brauchen noch viel mehr davon. Ich fand es fantastisch, als Lil Nas X sich mit einem Knall geoutet und damit der Welt ganz klar gesagt hat: „Fuck you!“ Davon würde ich gerne mehr sehen, vor allem in Österreich. Selbst die queere Repräsentation, die wir gewohnt sind, ist noch nicht alles, was die queere Community ausmacht. Es passiert so viel mehr. Ich persönlich habe die Schwarze Queer-Szene noch nicht entdeckt und würde mir wünschen, mehr Repräsentationen der PoC-Queer-Szene zu sehen. Wenn es mehr Sichtbarkeit gibt, fühlen sich mehr Menschen irgendwo zugehörig.
In einer deiner Instagram-Storys hast du gesagt,
Wien brauche eine Queen. Möchtest du diese Königin sein?
Ja, ich sage, Wien braucht eine Queen, und ich bin diese Bitch. Ich bin bereit, die Königin von Wien zu sein – eine Person, die unsere Gemeinschaft mehr hervorbringt. Ich möchte stark sein und eine Community aufbauen, die vielfältig, aber für ein Miteinander und gemeinsames Wachstum da ist. Die Zwischenräume sind noch sehr leer, da braucht es noch viel mehr Sichtbarkeit.
Hast du das Gefühl, in Bezug auf deine Identität angekommen zu sein?
Ich fühle mich tatsächlich wie in einem Bus. Nein, eigentlich wie in einem Privatjet. Ich bin gerade auf der Durchreise und das endgültige Ziel kommt noch, aber ich bin definitiv auf dem Weg.
Danke, W1ze, für deine Zeit und deine Offenheit.
Pictures:
© Rod Smiles, dasryno, Ryan Noel