Pussy Edition

Chapter 12: De-Sexualize The Vulva

Viki Krug und Daniel Nuderscher sind Künstler:innen, die sich kennenlernten, als Viki sich als Model für Daniels Fotoprojekt (@portraithanoi) meldete. Auf der Suche nach einem Schlafplatz in Graz verbrachte der Fotograf schließlich eine ganze Woche auf Vikis Couch – umgeben von 127 Vulven aus Gips. Die in Kärnten aufgewachsene Künstlerin präsentiert diese unter anderem auf ihrem Instagram-Account @vulvacasting. Das hatte auf Daniel Nuderscher, der sich intensiv mit seiner eigenen toxischen Männlichkeit beschäftigt hatte, eine augenöffnende Wirkung. Für Vangardist hielten Viki und Daniel diesen Moment in einer Fotostrecke fest. Im Interview sprechen die beiden über Lerneffekte bei der Arbeit, die Auseinandersetzung mit sich selbst und den Weg, festgefahrene Rollenbilder zu überwinden…

Viki: Die neue Ausgabe des Vangardist heißt also Pussy. Mit diesem Begriff sind wir gleich mittendrin im Geschehen. Bei mir geht es die ganze Zeit um Pussies, obwohl es eigentlich überhaupt nicht um Pussies geht. Pussy ist nämlich ein Wort, das ich gar nicht mag, weil es so negativ besetzt ist. Mir schwebt die ganze Zeit dieser Satz im Kopf rum: „Don’t be a pussy!“ Und was bedeutet der Satz für Leute, die eine Pussy haben und für Leute, die keine Pussy haben? Es ist für niemanden irgendwie gut gemeint. Wie würdest du reagieren, wenn ich das zu dir sage?

Daniel: Ich würde mich tatsächlich angegriffen und kritisiert fühlen. Wenn man das so sagt, ist es ja sehr negativ behaftet, wodurch ich mich in meiner Männlichkeit gekränkt fühlen würde. Was schade ist – immerhin wird damit ein primäres Geschlechtsmerkmal von etwas mehr als der Hälfte der Weltbevölkerung bezeichnet.

Viki: Die neue Ausgabe des Vangardist heißt also Pussy. Mit diesem Begriff sind wir gleich mittendrin im Geschehen. Bei mir geht es die ganze Zeit um Pussies, obwohl es eigentlich überhaupt nicht um Pussies geht. Pussy ist nämlich ein Wort, das ich gar nicht mag, weil es so negativ besetzt ist. Mir schwebt die ganze Zeit dieser Satz im Kopf rum: „Don’t be a pussy!“ Und was bedeutet der Satz für Leute, die eine Pussy haben und für Leute, die keine Pussy haben? Es ist für niemanden irgendwie gut gemeint. Wie würdest du reagieren, wenn ich das zu dir sage?

Daniel: Ich würde mich tatsächlich angegriffen und kritisiert fühlen. Wenn man das so sagt, ist es ja sehr negativ behaftet, wodurch ich mich in meiner Männlichkeit gekränkt fühlen würde. Was schade ist – immerhin wird damit ein primäres Geschlechtsmerkmal von etwas mehr als der Hälfte der Weltbevölkerung bezeichnet.

Viki: Wer sensibel ist, wird Pussy genannt. Das will niemand sein. Eine Pussy hat für mich aber nichts Schwaches. Sie wird krank, sie blutet, sie gebärt Kinder, die bringt Spaß. Manchmal ist sie präsent, manchmal ist sie versteckt.

Daniel: Seit ich mal bei dir war, verwende ich tatsächlich nur noch den Begriff Vulva. Das ist einfach ein Workaround, weil es irgendwie schön wäre, das Wort Pussy wieder positiv zu besetzen.


Allein die anatomische Vielfalt und diese entpersonalisierte Betrachtungsweise, der nichts Erotisches oder Sexuelles anhaftet, war eine intensive Erfahrung.


Viki: Bei meinen kleineren Vulva-Skulpturen habe ich tatsächlich eine Insta-Umfrage gestartet, weil ich von der Community wissen wollte, ob ich die „Pocket Pussy“ nennen kann. Das war eine Idee, die vorerst eigentlich scherzhaft mit meiner Schwester entstanden ist. Schlussendlich ist dann genau das herausgekommen, was du gesagt hast. Nämlich die Frage, wer denn bestimmt, dass das ein negativ konnotierter Begriff sei? Damit haben wir uns das Wort wieder angeeignet. Sie heißen jetzt tatsächlich so. Ich finde das total spannend, dass du auch meinst, dein Blick hat sich nach dem Betrachten der Statuen geändert.

Daniel: Es war total interessant. Ich wusste ja von deinem Insta-Profil, was mich ungefähr erwartet. Aber sie dann live zu sehen, war tatsächlich etwas überfordernd. Mit so vielen Vulven – dabei sind es ja nur Statuen – konfrontiert zu sein, das habe ich noch nicht erlebt. Allein die anatomische Vielfalt und diese entpersonalisierte Betrachtungsweise, der nichts Erotisches oder Sexuelles anhaftet, war eine intensive Erfahrung.

Viki: Mir war das so gar nicht bewusst, weil ich ständig von den Vulven umgeben bin. Aber grundsätzlich sehen wir in der Gesellschaft als weiblich dargestellte Körper fast ausschließlich sexualisierte. Egal wo wir damit konfrontiert werden. Ich musste 27 Jahre alt werden, um zu verstehen, dass nicht alle Menschen mit Vulva so ausschauen, wie ich ausschaue. In meinem Projekt geht es deshalb genau darum, diese Perspektive zu schaffen. Wenn eine Frau beispielsweise nur mit Männern schläft, sieht sie mitunter nicht viel mehr Vulven, als ihre eigene. Und auch das nicht wirklich ordentlich, denn die Spiegelansicht in kompletter Verrenkung lässt doch zu wünschen übrig. Eine Alternative ist die Pornografie, aber dass diese Bilder und Körperformen nicht repräsentativ sind, wissen wir bereits. Deshalb habe ich nach einer entsexualisierten Darstellungsform gesucht. Ansonsten gab es ja nur schlechte Schulbuchzeichnungen oder es hat eben ganz gefehlt.

Daniel: Ich finde tatsächlich auch, dass eine Zeichnung und selbst ein Foto etwas ganz anderes sind. Wenn du diese Gipsvulven siehst und dann noch in dieser Menge, wirkt das ganz anders. Und zum Punkt der Sexualisierung: Auch in der Werbung werden Körper generell extrem sexualisiert – vor allem Frauenkörper. Da muss es sich nicht mal um eine Vulva drehen. Das kotzt mich an. Ich glaube, das kann für Menschen in unserer Kultur auf vielen Ebenen schädlich sein.

Viki: Dadurch werden eben diese Ideale hergestellt, die eigentlich keine sind. Und das schließt dann auch männlich gelesene Körper wieder ein. Es werden einfach unerreichbare Optimalformen konstruiert. Darunter leiden dann im Endeffekt alle. 

Daniel: Ein Mann muss stundenlang Sex haben können und einen Riesenpenis haben, genau. Aber darüber redet man nur selten. Es wäre schön, wenn das auch unter Freund:innen mehr thematisiert würde. 


Man muss stark sein und deshalb auch nicht an seinem Körper oder sich selbst zweifeln.


Viki: Mir kommt vor, dass Frauen da auch eher drüber reden. Da sind wir beim Punkt toxischer Männlichkeit. Man muss stark sein und deshalb auch nicht an seinem Körper oder sich selbst zweifeln. Ich werde oft gefragt, warum ich keine Penisse abforme. Das mache ich nicht, weil Vulven unterrepräsentiert sind, aber es gibt auch von Menschen mit Penis Anfragen bei mir. Im Endeffekt wird aber auf beiden Seiten zu wenig gesprochen. Du arbeitest ja auch hauptsächlich mit Frauen, kannst du benennen, warum dich Männer seltener anfragen. Hat das was mit dieser doch sehr intimen Nähe zu tun?

Daniel: Das Projekt läuft seit letztem Sommer und meine Hauptintention war die Auseinandersetzung mit Intimität durch Nähe. Schnell hat sich dann gezeigt, dass sich hauptsächlich Frauen melden. Dadurch wurde ich glücklicherweise mit Themen konfrontiert, die viele verschiedene Frauen zwischen 20 und 30 Jahren derzeit bewegen. Einiges davon hatte ich gar nicht am Schirm. Auf 70 Sessions mit Frauen kamen ungefähr fünf mit Männern. Ich vermute, dass sich weniger Männer gemeldet haben, weil ich in meinen Aufrufen immer Begriffe wie Intimacy oder Emotional Closeness verwendet habe. Für viele Personen, die sich als Männer definieren, ist das eben nicht männlich. Seit ich mich aktiv damit auseinandersetze, merke ich, dass ich einem Mann gegenüber viel größere Hemmungen habe, zu sagen, dass ich ihn mag. Jetzt habe ich angefangen, das bewusst auszusprechen und das sind meist sehr positive Erfahrungen.

Viki: Wenn ich Frauen kennenlerne, die mir sympathisch sind, frage ich meistens relativ früh und direkt, ob wir Nummern austauschen und mal etwas trinken gehen. Von Männern habe ich nicht wirklich mitbekommen, dass sie so Freunde finden. Ebenfalls so ein Symptom. Man weiß halt nie, bis zu welchem Grad welche Handlung noch männlich ist, wodurch dann wieder die Hemmungen steigen.

Daniel: Wie ich bei dir gewohnt habe, habe ich ja auch deinen Nachbarn kennengelernt, den ich sehr schnell mochte. Ich hätte richtig Lust gehabt, mit dem über meine Gefühle zu sprechen, habe aber gemerkt, dass es in mir eine Mauer gibt, die mir das verunmöglicht.

Viki: Der Feminismus findet natürlich eher bei Frauen Anknüpfungspunkte, will aber im Endeffekt ja auf allen Seiten Rollenbilder abbauen. Die tun nämlich offenbar niemandem gut. Aber natürlich muss es nicht so weitergehen und es passiert auch relativ viel. Die Leute interessieren sich für ihre eigenen Körper, ihre Sexualität. Sie möchten mehr ausprobieren und es kommt ein Umdenken von allen Seiten. Und wenn man sich ertappt, in alte Muster zurückzufallen, hat man schon mal das Problem erkannt, wofür es Lösungen zu finden gibt.

Daniel: Ich kann jedem Menschen und vor allem Männern nur empfehlen, sich mit toxischer Maskulinität zu beschäftigen. Diese Auseinandersetzung kann für verschiedene Personen auch unterschiedlich ausschauen, klar. Ich rede beispielsweise viel darüber. Bei mir merke ich vor allem durch meine Arbeit, dass es gegen die Intuition steht, was mitunter der bessere Weg sein könnte. Mittlerweile sage ich auch Männern, dass ich sie mag. Seitdem ich das tue, merke ich, dass es mir auch viel leichter fällt, diese als typisch männlich bezeichneten Charakterzüge zu genießen und auf reflektierte Art zu leben. Ich merke also, seitdem ich mehr Emotionalität mit Männern zulasse und sie auch aktiv suche, wie sich mein Verhältnis zu mir selbst im positiven Sinne verändert hat.


“Eine Person hat mir letztens gesagt, dass sie nicht gegen eine toxic masculinity arbeiten möchte, sondern viel mehr für eine healthy masculinity.”


Viki: Das Wichtige ist, dass etwas passiert und aufgebrochen wird. Wie das im Endeffekt genau aussieht, ist ja egal, solange man weiß, in welche Richtung man sich entwickeln will.

Daniel: Es haben ja sowieso alle Menschen irgendwo unterschiedliche Vorstellungen. Eine Person hat mir letztens gesagt, dass sie nicht gegen eine toxic masculinity arbeiten möchte, sondern viel mehr für eine healthy masculinity. Einen positiven Zugang einfach, der sich fragt, was man inwiefern machen kann und soll, anstatt sich Verhaltensweisen einfach so zu verbieten. Das fand ich einen spannenden Ansatz, weil es sich auch sehr menschlich anfühlt.

Viki: Menschlich. That’s it. Und die Gespräche können nach solchen Impulsen ja immer wieder geführt werden. Dadurch geht etwas weiter und Dinge ändern sich.

Wer Interesse hat, sich selbst im Rahmen eines Fotoshootings oder Vulva Castings mit dem Thema Entsexualisierung der Vulva auseinanderzusetzen, die eigene Einstellung zu hinterfragen und über Vulven zu lernen, kann Daniel und Viktoria für Sitzungen kontaktieren / buchen. Weitere Infos findet ihr unter:

www.vulvacasting.com
www.danielnuderscher.com


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